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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 11
55. Jahrgang | März
Forum
Keine Meinung abseits des Mainstreams
Leserbrief zu „Orwells Triumph: die Kulturen der Lüge“,
nmz 2/06, S. 14
Düster ist es geworden, „alles brüchig“,
„der Boden vergiftet“, Orwells Roman „1984“
Wirklichkeit geworden: „die ,freie’ Presse im siegreichen
Westen wirkt oft merkwürdig gleichgeschaltet“, passend
dazu ein „neuer ,big brother’-Totalitarismus“,
schlimmer noch, „Kulturen der Lüge“ haben sich
etabliert!
Nur gut, dass es die Neue Musikzeitung und Ihren Autor Helmut Hein
gibt, die sich des heiklen Themas endlich annehmen und dem Lügentrend
trotzen, indem wenigstens Sie ehrlich und aufrecht genug sind, uns
die Wahrheit zu offenbaren.
Wobei es dem einfachen Leser zunächst schwer fällt zu
kapieren, worum es eigentlich geht. Denn Hein lässt die Katze
erst in der zweiten Spalte richtig aus dem Sack. Zu Anbeginn geht
es nämlich teilweise noch um Kunst und Musik („die ,reinste‘
aller Künste“), für die Neue Musikzeitung kein ungewöhnliches
Thema. Kunst und Musik, so Hein weiter, „existieren nicht
in einem (…) Elfenbeinturm, (…) sondern mitten in der
Gesellschaft“. Davon kann wahrlich jeder Musikschullehrer
ein Lied singen!
Im weiteren Verlauf lernt der neugierige Leser, dass Kunst (also
auch Musik) neben anderen Ausformungen der Gesellschaft auf einem
„Humus“ gedeiht, nämlich auf der Kultur beziehungsweise
den Kulturen. Und das war’s dann mit Musik und dergleichen,
denn jetzt öffnet der Autor sein Kuriositätenkabinett:
Zum Normalfall ist offenbar die „Kultur der Lüge“
geworden, „wer einfach nur sagt, was er denkt“, verfällt
dem „Verdikt“.
Bei so was wird’s mir immer sofort kribbelig, denn die Ansicht,
man könne in Deutschland nicht sagen, was man wolle, wird besonders
gern von Gruppen am äußersten rechten Rand des politischen
Spektrums vorgetragen. Aber egal, hier geht es nicht um die Nazis,
sondern um den Komponisten Stockhausen. Der sagte nämlich zum
11. September:
„Was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt
müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte
Kunstwerk, was es je gegeben hat.“ Und: „…dann
werden 5.000 Leute in die Auferstehung gejagt.“
Offenbar war es mein Fehler, 2001 nicht mein Gehirn umzustellen,
denn wenn ich einfach nur sage, was ich denke, so dies: Wie kann
ein vernünftiger Mensch bloß so einen Schwachsinn reden?
Hein sieht das anders: Mitgefühl für die Opfer ist bei
ihm „rituell“, also unaufrichtig, wohingegen Stockhausen
überlegenerweise „rein ästhetisch und analytisch
reagierte“. Zur Beruhigung des Autors sei angemerkt, dass
der dem Verdikt verfallene „misfit“ Stockhausens wieder
häufiger aufgeführt wird, ein Blick auf seine Homepage
genügt.
Ein weiteres Opfer der Lügenkultur findet Hein in der indischen
Autorin Arundhati Roy: Sie sagte, was sie dachte, nämlich dass
Bush und Bin Laden „,dunkle‘ Brüder“ seien.
Ihre Argumente, die uns Hein leider vorenthält, seien nicht
geprüft worden. Schade! Aber dass Frau Roy totgeschwiegen würde
(„man kann auch lügen, indem man verschweigt“),
ist glatt gelogen: Sie schreibt zwar noch nicht für die nmz,
aber immerhin schon mal für den SPIEGEL. Daneben heimste die
Frau diverse Preise ein und reist von einem viel beachteten Vortrag
zum nächsten.
Auch der iranische Staatspräsident Ahmadineschad wird böswilligerweise
falsch interpretiert: Er will keine Juden ermorden, sondern den
„,zionistischen‘ Staat Israel nur durch ein multi-ethnisches,
,demokratisches‘ Palästina“ ersetzen. Prima, dass
sich Ahmadineschad für Demokratie stark macht, wer möchte
da nicht laut Beifall klatschen? Doch die gleichgeschalteten Medien
unterstellen dem armen Mann, so Hein, „schiere Mordlust“.
Dazu ein paar Fakten: Ahmadineschad möchte das heute schon
multi-ethnische und demokratische Israel von der Landkarte tilgen,
oder beispielsweise nach Schleswig-Holstein verlegen. Dummerweise
wollen die Israelis nicht schon wieder auf Wanderschaft gehen. Die
vom Iran unterstützte Hamas möchte trotz internationaler
Appelle und in Aussicht gestellter finanzieller Hilfe nicht von
ihrem Grundsatz abrücken, Israel zu zerstören. Daneben
hat Ahmadineschad die Creme-de-la-Creme der Revisionisten-Szene
zu einer Holocaust-Konferenz geladen, deren Ergebnisse man sich
unschwer ausmalen kann. Und bis Ende des Jahres hat er dann noch
Atomwaffen… Für Helmut Hein offenbar alles halb so wild,
denn „man kann auch lügen, indem man (…) die Geschichte
so erzählt, dass sie der Zuhörer falsch versteht“.
In der Tat!
Und so geht es weiter im Rundumschlag: Da wird der Steuerexperte
Kirchhof mal eben zum „Steuerexperten“ Kirchhof. Klar
doch, Pollini ist auch nur „Pianist“. Und am Schluss
wird’s ganz böse: Da wird Langzeitarbeitslosen angeblich
„gedroht“, wenn sie nicht zu Hause sind. Dazu sei gesagt,
dass es selbstverständlich Aufgabe der Ämter ist, Missbrauch
bei Hartz 4 zu bekämpfen. Und es ist einfach nur praktisch,
bei einer sich auftuenden Arbeitsgelegenheit den Suchenden gleich
an der Strippe zu haben.
Zum Abschluss noch eine kleine Bemerkung: Wer wie Hein schreibt:
„Zu manchem scheint eine abweichende Meinung nicht möglich,
weil man dadurch seine Existenz, seine Stellung riskierte (sic!)“,
meint offenbar, seine Meinung sei vom üblichen Mainstream abweichend.
Weit gefehlt, lieber Helmut Hein! Hier unterliegen Sie dem populären
Irrtum, Sie gehörten, mit dem, was Sie schreiben, zu einer
exotischen Minderheit.
Ich empfehle daher, bei der nächsten Party einfach mal Folgendes
vom Stapel zu lassen:
„Also ich finde Bush gar nicht so schlecht. Erst den Irak
befreien, dann mit zehn Billionen US-Dollar neue Umweltschutztechnologie
fördern.“