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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 16
55. Jahrgang | März
Hochschule
„Was soll aus euch nur werden?“
Diskussionsforen des Landesmusikrats NRW zur Ausbildung von Berufsmusikern
Mögen deutsche Universitäten auch längst den Glanz
alter Tage verloren haben und der akademische Nachwuchs von einem
Studienplatz in Stanford, dem MIT oder Berkeley statt in Göttingen,
Tübingen oder Heidelberg träumen: Der Ruf der deutschen
Musikhochschulen strahlt unvermindert weit und erreicht die entferntesten
Regionen. Dort, wo die abendländische Klassik noch besonders
oder erstmals groß geschrieben wird, in Ost-europa, in Korea,
Taiwan, China oder Japan, steht der Musikausbildungsplatz Deutschland
hoch im Kurs. Der Ausländeranteil der Studentenschaft, die
bei uns ja allein nach Fähigkeit, nicht nach Nationalität
ausgesucht wird, beträgt an einigen Instituten auch darum bereits
über 50 Prozent – die Tatsache, dass zumindest das Erststudium
kostenfrei und ein Aufbaustudium allemal sehr kostengünstig
ist, trägt dazu nicht unerheblich bei.
Der nähere Hinblick freilich offenbart, dass auch im scheinbaren
Paradies längst Wolken aufgezogen sind. In den Musikhochschulen
hallt die Krise des Musiklebens wider. Der künstlerischen Instrumental-
und Vokalausbildung ist ein Berufsziel gemeinhin nicht vorgegeben,
aber in der Regel führt sie einen Studenten zum Orchester,
in einen Chor oder gar zur Karriere als Solist. Ob sie das heute
wirklich noch tut und ob sie es überhaupt noch könnte
und zwar in dem Maße, wie es die Verantwortung gegenüber
dem Studenten gebietet, daran herrscht immer lauter werdender Zweifel.
Die vier Diskussionsrunden, die der Landesmusikrat NRW im Sommer
2005 dem Thema „Ausbildung und Beruf“ widmete, hatten
in der momentanen und wohl auch zukünftigen Krise der deutschen
Orchester und Stadttheater ein allgegenwärtiges Szenario. Bedrohliche
Zahlen wurden genannt, die den meisten ohnehin gut bekannt waren:
Die Orchesterschließungen, Etat- und Stellenkürzungen
seit den frühen 1990er-Jahren haben die Berufsaussichten für
Absolventen von Instrumentalstudiengängen drastisch verschlechtert.
Haben die Hochschulen angemessen reagiert?
Diese Frage, obgleich nahe liegend, greift anscheinend noch zu
weit. Zumindest in den vier Berufsforen des Landesmusikrates herrschte
kein Einvernehmen darüber, was eine Musikhochschule nun in
erster Linie überhaupt ist: eine Stätte der Berufsausbildung
oder eine klassische Kunsthochschule. Als Kunsthochschule hätte
sie die möglichst gute Ausbildung eines Studenten zum Künstler
zum Ziel. Die spätere Einbindung dieses Künstlertums in
einen Berufsalltag wäre dann Sache des Künstlers, nicht
wesentliches Problem der Hochschule. Nun werden zwar die meisten
Verantwortlichen an den Hochschulen ob einer solchen strikten Trennung
der Sphären beruhigend abwinken und auf die real existierende
Alltagstauglichkeit der Hochschulausbildung verweisen: Zumindest
im Kreise der Diskutanten der Berufsforen wurde aber mehr als einmal
Kritik an einem fortwährend gepflegten Ideal der Meisterklasse
geäußert, in der ein als Solist möglichst renommierter
Professor möglichst begabte Studenten auf eine am Ende dann
doch meist unmögliche Solistenkarriere konditioniert.
Nun kann die Hochschule auf die geschilderten (oder auch anderen)
Probleme reagieren und – wenn das gewünscht wäre
– die Ausbildung im Sinne einer gezielten Berufsausbildung
weiter verbessern. Andererseits kann die Hochschule kaum die gravierenden
Verschiebungen in unserer Musikkultur und im Kulturverständnis
allgemein beeinflussen: den mal stärker, mal weniger stark
ins Auge springenden, unterm Strich aber nicht zu leugnenden gesellschaftlichen
Bedeutungsverlust, den die klassischen Kernbereiche unserer Kunstmusikkultur,
Oper und Konzert, erleiden. Wo der Markt versagt, beziehungsweise
dort, wo er nie wirkliche Kräfte entwickelt hat, nämlich
beim schwer zu Vermittelnden, Schwierigen und Anspruchsvollen, dort
erlahmt mehr und mehr auch die rettende Hilfe durch die öffentliche
Hand. Urbanistik-Forscher Albrecht Göschel prophezeite schon
im ersten Impulsreferat, dass die wankenden Säulen unserer
Subventionskultur, die Haushalte der Städte, in der Zukunft
weiter an Standhaftigkeit verlieren und zum Teil ganz einstürzen
werden. Das allerdings beträfe, und damit ist ein weiteres
Feld innerhalb der Foren resümiert, die etablierten Institutionen
weit mehr als die freie Szene. Als wesentlicher Impulsgeber des
Musikbetriebs und längst auch als wichtiger Arbeitgeber für
Musiker hat die freie Szene aus öffentlichen Kassen ohnehin
kaum jemals eine ihrer Leistung angemessene Unterstützung erfahren.
Die Zahlen aus Köln, die genannt wurden, sind wohl auch für
andere Städte aussagekräftig: Von allen Geldern, die vonseiten
der Stadt für Musik ausgegeben werden, fließt weit weniger
als ein Prozent in die freie Szene. So kann die Ausbildung sich
optimieren, soviel sie will: Die Bedingungen, unter denen Studenten
als professionelle Musiker später zu leben und schlimmstenfalls
zu leiden haben, vermag sie kaum zu verändern. Vielleicht bleibt
am Ende nur übrig, dem Vorschlag von Manfred Trojahn zu folgen,
der den abschließenden Vortrag in der Veranstaltungsreihe
des Landesmusikrats NRW hielt: Wenn die Nachfrage wirklich dauerhaft
sinkt, so argumentiert er, muss auch das Angebot reduziert werden,
müssen sich Hochschulen zu dem schweren Schritt entschließen,
von den Besten nur noch die Allerbesten auszubilden und dem Rest
schon früh alle Illusionen zu nehmen. Oder aber sie halten
trotz allem fest an der alten Idee der Kunsthochschule: Dann geht
es allein um Kunst, und Kunst kann sich nach dem Markt nun einmal
nicht richten.