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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 14-15
55. Jahrgang | März
Musikwirtschaft
Wer sich weigert, kommt auf die schwarze Liste
Zur Praxis der Zwangsinverlagnahme: Einschätzungen und Aussichten
Gewöhnlich gilt bei Verträgen zwischen Partnern, dass
sie gerecht sein sollen und fair. Der eine gibt etwas und der andere
bekommt etwas. In der Musik ist das auch so, zum Beispiel beim Abschluss
eines Verlagsvertrages zwischen Komponist und Verleger. Der Komponist
komponiert ein Stück Musik und der Verlag verlegt das Werk,
er druckt es vielleicht sogar, er kümmert sich um seinen Komponisten,
erledigt eben die typische Verlagsarbeit. „Die Aufgabe der
Musikverlage ist in erster Linie, Noten herzustellen und zu vertreiben“,
so sieht es das Verlagsgesetz vor. Darüber hinaus kümmert
ein Verlag sich ebenso um die Verbreitung des Werkes, beispielsweise
durch Vermittlung an Rundfunkanstalten. Auf diese Weise generieren
sich dann für den Komponisten und für den Verlag weitere
Einnahmen, die über die GEMA ausgeschüttet werden. Allerdings
gibt es Musikwerke, für die eine so geartete verlegerische
Tätigkeit (Notenherstellung und Vertrieb) keine so bedeutende
Rolle spielen. Das ist naturgemäß bei Werbefilmen der
Fall, das gilt sicherlich aber auch für einen großen
Teil der Fernseh- und Filmmusiken, im Zweifel auch für die
so genannte U-Musik (hier vor allem Pop und Schlager).
Gewöhnlich sind Verlag und Auftraggeber getrennte Unternehmen.
Die Praxis sieht seit vielen Jahren jedoch häufig anders aus.
Es kommt immer öfter vor, dass die Auftraggeber selbst Verleger
werden. Kürzlich so geschehen bei der Werbeagentur Jung von
Matt (jüngst aufgefallen durch die Abwicklung der umstrittenen
Werbeoffensive „Du bist Deutschland“) durch die Gründung
ihres Verlags „White Horse“. Es bestehen laut eines
„Offenen Briefes“ des Composers Clubs (CC) allerdings
Zweifel daran, ob dieser Verlag tatsächlich einem sinnvollen
Verlagsziel folgt. Der CC schreibt: „Wir wollen Ihnen gerne
glauben, dass Sie im Gegensatz zu solchen Scheinverlegern ‚richtige‘
Verleger sein möchten. Allerdings weisen wir darauf hin, dass
für die Verwertung von Werbemusik ein Verlag in aller Regel
keinen Sinn macht: Die Verbreitung des Musikwerkes, die ja eigentlich
zentrale Aufgabe des Verlages wäre, erfolgt hier ohnehin durch
die vorher geplanten Sendetermine.“ Der Composers Club spricht
nicht direkt aus, was er hier befürchtet, dass nämlich
in Zukunft Komponisten, die mit dieser Werbeagentur zusammenarbeiten
wollen, „White Horse“ als ihren Verlag akzeptieren müssten.
Das aber wäre eine Zwangsinverlagnahme. Denn: „Sollte
sich der Komponist jedoch trotz all dieser Vorzüge gegen den
Abschluss eines Verlagsvertrages entscheiden, so steht es ihm selbstverständlich
frei, sein Werk unverlegt, das heißt als so genanntes Manuskript,
oder im Eigenverlag anzumelden, denn er hat (gemäß Deutschem
Urhebergesetz) das Recht, frei über die Verwertung seines Werkes
zu bestimmen.“ „White Horse“ hat sich mittlerweile
gegenüber dem Composers Club so geäußert, dass ein
solches Vorgehen wohl nicht in deren Absicht liege.
Was genau ist eine Zwangsinverlagnahme? Der Composers Club fasst
den Komplex so zusammen: „Von einer Zwangsinverlagnahme spricht
man dann, wenn der Auftraggeber die Erteilung eines Kompositionsauftrags
davon abhängig macht, dass ihm der Komponist die vertragsgegenständlichen
Verlagsrechte überträgt. Eine verlegerische Tätigkeit,
wie zum Beispiel die Verbreitung des Werkes, findet hier meist nicht
statt. Zwangsinverlagnahme bedeutet darüber hinaus das Partizipieren
eines Auftraggebers an den GEMA-Tantiemen für das Auftragswerk
meistens ohne angemessene (häufig sogar ohne jede) Gegenleistung
für den Komponisten. Zwangsinverlagnahme gibt es vermutlich
schon so lange, wie es Verlage gibt, aller-dings hat diese Praxis
in den letzten Jahren durch die zunehmende Tätigkeit von Sender-
und Filmproduzentenverlagen stark zugenommen.“ Die Vorteile
für diese Auftragsverleger sind nahe liegend: „Der Zwangsinverlagnehmer
refundiert einen Teil seiner Produktionskosten durch einen Anteil
an den GEMA-Einnahmen des Komponisten und verfügt darüber
hinaus über die Rechte, das Werk nach Belieben vervielfältigen
zu dürfen. Die Nachteile für den Komponisten im Bereich
der TV-Auftragsmusik: Er muss meist auf ein Drittel seiner GEMA-Tantieme
(Aufführungsrecht und mechanisches Recht) verzichten, um den
Auftrag überhaupt zu bekommen. Es macht daher wenig Sinn sich,
wie früher üblich, exklusiv an einen unabhängigen
Verlag zu binden, der ihn finanziell, künstlerisch und in seinem
Bekanntheitsgrad fördern könnte. Und aufgrund der häufig
unzureichenden Fachkompetenz der Zwangsverleger muss der Komponist
in vielen Fällen sämtliche Anmeldungen sowie die Kontrolle
seiner GEMA-Abrechnungen selbst übernehmen.“
Das Problem ist lange bekannt, dagegen vorzugehen, scheint aber
schwer. Komponisten, die sich weigern, derartige Verlagsverträge
abzuschließen, werden gerne auf schwarze Listen gesetzt und
von weiteren Aufträgen ausgeschlossen. Dem Composers Club liegen
schriftliche Verträge von Sendern und Filmproduktionsfirmen
vor, die die unerlaubte Kopplung von Kompositions- und Produktionsauftrag
mit der Verpflichtung zur Übertragung der vertragsgegenständlichen
Werke zum Inhalt haben.
Der Composers Club schreibt ferner, es sei bemerkenswert, „dass
die Praxis der Zwangsinverlagnahme von den großen Sendeunternehmen,
auch den öffentlich-rechtlichen Sendern, stillschweigend geduldet
und teilweise auch selbst betrieben wird. Eine Umfrage unter den
CC-Mitgliedern im Bereich Fernsehmusik habe ergeben, dass als Voraussetzung
für das Erhalten eines Kompositionsauftrages regelmäßig
die Verlagsrechte an den Auftraggeber oder einen von ihm benannten
Verlag übertragen werden müssen. Angesichts der Realität
von Konkurrenz und Preisdruck müssen sich selbst bekannte und
erfolgreiche Komponisten dem wirtschaftlichen Kräfteverhältnis
beugen.“
Nach Ansicht des Rechtsexperten Wilhelm Nordemann ist eine Zwangsinverlagnahme
ein eindeutiger Rechtsbruch. Er führte zum Thema „Zwangsinverlagnahme
im Bereich der TV-Werbung“ im November 2003 aus:
„Soweit der Komponist sich zur Zwangsinverlagnahme verpflichtet,
ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten, ist eine solche
Klausel auch sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB. In solchen
Fällen liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung vor. Auch eine verwerfliche Gesinnung
des Auftraggebers kann hier ohne weiteres angenommen werden. Dies
ist auch deshalb der Fall, weil der begünstigte Vertragsteil
die wirtschaftlich schwächere Position des anderen teils
bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt und sich gleichzeitig der Einsicht
verschließt, dass der andere Teil sich nur unter dem Zwang
der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt.“
Momentan arbeiten zwei Komponistenverbände, der Composers
Club und der Deutsche Komponistenverband in vielerlei Hinsicht auf
eine Veränderung der Situation hin, indem sie zum Beispiel
das Gespräch mit dem Deutschen-Musikverleger-Verband suchen.
Anfangs schienen diese Gespräche allerdings noch nicht sehr
Erfolg versprechend. Auch heute spricht der Musikverlegerverband
immer noch von „so genannter“ Zwangsinverlagnahme, als
käme solcherlei Verhalten nicht vor. Der Geschäftsführer
des Musikverlegerverbandes, Heinz Stroh, meint jedoch auf Nachfrage,
dass mittlerweile „die Gespräche in einer sehr konstruktiven
Atmosphäre“ verliefen. „Ziel ist es, zu einem gemeinsamen
Lösungsansatz zu gelangen.“ Das spricht für sich.
Ebenso aktiv geht man gegenüber der GEMA in Stellung, die
ja neben den Textdichtern vor allem Komponisten und Verleger zu
Mitgliedern hat. Der Composers Club weist darauf hin, dass im letzten
Herbst eine Diskussionsrunde unter Beteiligung von Auftragskomponisten
und Verlegern ins Leben gerufen wurde. „Natürlich setzen
die Komponisten große Hoffnung in dieses neue Forum: Dass
eine solche Runde nicht als Instrument dienen soll, Zeit zu gewinnen
und die allgemeine Empörung kurzfristig zu beruhigen. Dass
die Gemeinschaft der Verleger tatsächlich gewillt ist, Maßnahmen
gegen schwarze Schafe in ihren Reihen mitzutragen. Und dass es zu
gemeinsamen, mehrheitsfähigen Anträgen zur diesjährigen
GEMA-Mitgliederversammlung kommt, um Scheinverlegern zukünftig
ihr Geschäft zu erschweren.“ Ein Komponist schlägt
folgendes Prozedere vor: „Es wäre schön, wenn die
GEMA dagegen vorginge und dann bei erwiesenen Zwangsinverlagnahmen
den Verleger vom Verteilungssystem ausschließen würde.“
Die Situation bleibt von Komponistenseite gegenwärtig problematisch.
Unter den gegebenen Marktbedingungen für Auftragskomponisten
wird es schwer sein, diese Zwangsinverlagnahme-Verlagsverträge
nicht zu unterzeichnen. Dagegen später juristisch vorzugehen
scheint ebenfalls schwierig, weil man damit inkaufnehmen muss, auf
jene „schwarzen Listen“ zu kommen und künftig nicht
mehr angefragt zu sein. Der Deutsche Musikrat schweigt sich übrigens
zum Thema komplett aus und war zu keiner Stellungnahme bereit. Als
Dachverband der Musikverbände könnte ein klares Wort von
seiner Seite durchaus hilfreich sein.