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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 12
55. Jahrgang | März
Nachschlag
Kultur der freien Presse
Der Karikaturenstreit ist selbst zur Karikatur verkommen. Und
der Westen steht durchaus nicht gut da. Die europäische Welt
verweist immer wieder auf die bei uns errungene Pressefreiheit und
erhebt den Zeigefinger gegen den Islam. Das müsse dieser halt
noch lernen: Die freie Presse kämpfe mit der Gewalt des Wortes
und diese Gewalt richte sich auch manchmal unliebsam gegen einzelne
Personen oder Gruppen. Demokraten halten das aus.
Diese
Argumente wurden angeführt, um sich vor einem zu drücken:
vor der Entschuldigung für die zunächst in Dänemark
und dann noch in verschiedenen anderen Medien veröffentlichten
Karikaturen des Propheten Mohammed, wo man diesen zum Beispiel mit
einem im Turban versteckten Sprengsatz sehen kann. Dies verletzte
tiefreligiöse Gefühle in den islamischen Ländern.
Es bestätigte den dort immer wieder aufkommenden Verdacht,
dass der Westen zwar am arabischen Öl oder an anderen Geschäftsbeziehungen
zu den islamischen Ländern interessiert sei, dass er aber sonst
die Region für zurückgeblieben, für im Mittelalter
stehen geblieben halte. Eine Entschuldigung seitens der dänischen
Regierung, der sich auch die anderen Länder angeschlossen hätten,
in denen die Karikaturen erschienen sind, hätte vieles entzerrt.
Im Grunde hätte sie sich von selbst verstanden.
Natürlich geht es gar nicht um Pressefreiheit, ohne dass hier
ein genauerer Blick darauf geworfen werden soll, wie es um diese
bei uns wirklich bestellt ist. Freiwillige Selbstzensur, das wissentliche
Verbreiten von Lügen, wenn sie ins politische Umfeld passen,
aber auch der Verlust von Arbeitsstellen oder der Veröffentlichungsmöglichkeiten,
wenn ein Artikel zu sehr gegen herrschende Interessen verstößt,
all dies ist durchaus an der Tagesordnung. Unsere vom Gesetz verbriefte
Freiheit der Presse – das Erkämpfen dieser Rechte sei
gar nicht abqualifiziert, es ist eine große Errungenschaft
– endet schnell an übergeordneten Machtverhältnissen.
Sachen, die man vom Gesetz her vielleicht sagen darf, können
die Gefühle anderer verletzen. Wenn man zum Beispiel gegenüber
einem Arbeitslosen erwähnt, dass viele Arbeitslose gar keine
Lust zum Arbeiten haben, dann kann man sich gegenüber dem dadurch
Verletzten nicht mit dem Recht auf freie Meinung herausreden. Wenn
man einem Kind etwas Beleidigendes sagt und dieses, vielleicht unbeabsichtigt,
tief erschüttert, dann kann man nicht damit argumentieren,
dass sich das Gesagte im Rahmen der Legalität bewege.
Es ist eine Frage des Anstandes, der eigenen Würde wie der
des anderen, hier entschuldigende Worte zu finden.
Stolz und Überheblichkeit sind es häufig, die dies verhindern.
Und so ist es auch im Karikaturenstreit. Die Regeln des menschlichen
Umgangs miteinander wurden verletzt und es nutzt auch nichts, mit
belehrender Miene auf die Gegenseite und deren Verfehlungen zu verweisen.
Die westlichen Länder hätten die Chance gehabt, eigene
Kultur zu beweisen. Kultur heißt immer wieder auch Rücknahme,
Respekt, Einfühlungsvermögen, Freiheit des anderen. Sie
haben im Eigendünkel kläglich versagt.