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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 45
55. Jahrgang | März
Bücher
Vom Versuch, die Freiheit für sich zu retten
Matthias Schmidt zieht Parallelen zwischen Mozart und Schönberg
Matthias Schmidt: Schönberg und Mozart – Aspekte
einer Rezeptionsgeschichte (Publikationen der Internationalen
Schönberg-Gesellschaft, Bd. 5), Verlag Lafite, Wien 2004, 354
S., Abb., Notenbsp., € 34,00, ISBN 3-85151-073-9
Das kann man schon machen: Man öffnet eine Klammer, um darin
einen großen ästhetischen Horizont zu umreißen.
Das versucht auch Matthias Schmidt in seiner Abhandlung „Schönberg
und Mozart – Aspekte einer Rezeptionsgeschichte“. Aber
ist diese Klammer auch sinnfällig? Manches mag zunächst
dafür sprechen. Mit Haydn und Mozart beginnt die große
Zeit der Wiener Musik, mit der Zweiten Wiener Schule, also mit Schönberg,
Berg und Webern endet sie. Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner
und Mahler sind die überragenden Etappenpunkte dazwischen.
Und Arnold Schönberg hat sich als Komponist wie als Lehrer
immer wieder auf Mozart berufen. Da ist das gerne zitierte Bonmot
zwischen Schönberg und George Gershwin, die sich in Beverly
Hills immer wieder zum Tennisspielen trafen. Gershwin soll vom Plan
eines Streichquartetts erzählt haben. Sein Satz „Aber
es wird etwas Einfaches sein, wie Mozart“ soll Schönberg
maßlos erregt haben. Denn einfache Musik war nicht seine Sache.
Schönberg hatte, wie vermutlich jeder Komponist, eine eigene
Hierarchie der Vorgänger, von denen er Entscheidendes lernte.
Das waren bei ihm (neben Mozart) Bach, Beethoven, Wagner und Brahms.
Zu jedem merkte er in einem Aufsatz von 1931 mit dem Titel „Nationale
Musik“ an, welche Techniken des jeweiligen Komponisten ihn
besonders beeinflussten. Bei Mozart waren dies die „Ungleichheit
der Phrasenlänge“, die „Zusammenfassung heterogener
Charaktere in eine thematische Einheit“, die „Abweichung
von der Geradtaktigkeit im Thema und in seinen Bestandteilen“,
die „Kunst der Nebengedankenformung“ und die „Kunst
der Ein- und Überleitung“. Kein Zweifel: Mozart war ein
Komponist, der Schönberg in der Formulierung seiner eigenen
musikalischen Techniken maßgeblich prägte. Aber von welchem
Musikschöpfer könnte man sagen, dass das nicht so ist?
Eine grandiose und zugleich singuläre Erscheinung trägt
eben diese Früchte.
Von hier ab beginnt das Buch zwanghafte Züge zu tragen. Schmidt
gliedert in zwei Großteile, in einen geschichtsästhetischen
und einen analytischen, der sich Schönbergs Werksnotizen zu
Mozart und dann einzelne Kompositionen von Schönberg und Mozart
vornimmt. Wer das Buch liest, um eine Vielzahl von Aspekten und
Zitaten aus den musikästhetischen Debatten zwischen 1780 und
1950 mitzubekommen, der wird (vor allem im ersten Teil) durchaus
auf seine Kosten kommen, denn er hat eine Materialschlacht auf durchaus
profunder Basis vor sich. Was das Lesen freilich so schwierig macht,
ist die Tatsache, dass man immer wieder zu Konnotationen zwischen
Mozart und Schönberg gedrängt wird, die schief liegen.
Denn viel zu verschieden sind die Bedingungen, unter denen Mozart
und Schönberg ihre Musik schrieben.
Mozart war in glücklicher Situation, denn die musikalischen
Sprachmittel seiner Zeit trafen sich mit den allgemein verständlichen.
Seine Größe machte aus, dass er dieses Glück nicht
akzeptierte, sondern von innen heraus unendlich differenziert dagegen
anschrieb. Bei Schönberg hingegen bewegten sich die Ausdruckstechniken
bereits in isoliertem Umfeld. Was er an Mozart bewunderte, war dessen
freier Geist, dessen Ungebundenheit sich bis in thematische Strukturen
verfolgen lässt. Diese Freiheit suchte er auch für sich
zu retten, aber er hatte einen diametral anderen Preis als Mozart
zu entrichten. Darum nützt es wenig, wenn, wie Schmidt es auf
Schritt und Tritt unternimmt, Parallelen in der thematischen Gestaltung,
im motivischen Denken zwischen Mozart und Schönberg aufgewiesen
werden.
Die Wiener Schule versuchte selbst immer aufzuweisen (etwa in Weberns
Vorträgen „Der Weg zur Neuen Musik“), wie sehr
sie in der Tradition wurzelt. Von einem Buch mit dem Titel „Schönberg
und Mozart“ wäre über technische Parallelen und
dankenswerte Materialfülle hinaus mehr Auskunft über das
Extrem dieser Konsequenz zu erwarten gewesen.