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nmz-archiv
nmz 2006/03 | Seite 45
55. Jahrgang | März
Bücher
Heilsame Informationsquelle für jedermann
Ein neues Werk zur Musikerphysiologie
Christoph Wagner: Hand und Instrument. Musikphysiologische
Grundlagen, Praktische Konsequenzen (unter Mitarbeit von
Ulrike Wohlwender), Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2005,
368 S., € 36,00, ISBN 3-7651-0376-4
Seit vielen Jahren ist Christoph Wagners Arbeit über Musikerphysiologie
bekannt und hoch geschätzt und es ist beleibe nicht übertrieben
zu sagen, dass dieses Buch mit Spannung und Ungeduld erwartet wurde.
Wer sind die Wartenden? Für wen ist dieses Buch geeignet? Alle
(!) diejenigen, die zum Musizieren ihre Hände benötigen
und bei sich oder ihren Schülern/Studierenden Spielhemmungen
beobachten oder Schäden verstehen und möglichst beseitigen
wollen. Also Musiklehrer, Musikstudierende und – im Sinne
einer selbstverordneten Pflichtlektüre: Professoren.
Vielleicht wird diesem Werk am ehesten Gerechtigkeit zuteil, wenn
ich als einer unter vielen Typen von Benutzern individuell meine
Suche und deren Resultate schildere: Als Pädagoge und Methodiker
mag man zuerst auf die Chance eines erleichterten Einstiegs für
Neuinteressenten schauen. Man findet – wie vom Verlag verheißen
– Lehrbuch, Nachschlagewerk, Ratgeber. Uns Neugierige interessiert
zuerst das Nachschlagewerk und wir finden im Inhaltsverzeichnis,
was wir als Erstes wissen wollen: „Die instrumentenspezifische
Untersuchung der Hand“. Die Unterteilung führt zu Pianisten,
Streichern, anderen Instrumenten. Sofort an der eigenen Hand ausprobieren
wird man die eingelegten Messtabellen, differenziert nach Frauen
und Männern und zusätzlich beigefügt speziell für
die Hand der 10- bis 14-Jährigen (wie sinnvoll!). Schon 1985
auf dem EPTA Kongress wies Wagner darauf hin, dass eine einzige
kleine, oft unsichtbare Spielbegrenzung zu Krankheit führen
kann. Mit Hilfe dieser Tabellen wird die Chance, solche Details
zu erkennen, außerordentlich vergrößert.
Doch dies war ein Sprung mitten in das Buch. Die Kapitel der Reihe
nach: A) „Hand und Instrument – ein gespanntes Verhältnis?“
B), „Das Instrument muss fast ein Teil des Spielers werden“,
C) „Halten und Bewegen: Kleine Physiologie für Musiker“.
Hier erfährt der Leser knapp und präzise, was er über
Kraft, Ausdauer und Ermüdung, Sehnen, Haltearbeit et cetera
wissen sollte. Dass jeder dieser Punkte auf eine halbe bis ganze
Seite konzentriert dargestellt wird, mag die Wahrscheinlichkeit
erhöhen, dass diese fundamentalen Informationen tatsächlich
gelesen werden, mitunter wiederholt, wenn man dieses Buch als Nachschlagewerk
verwendet. D) „Das Werkzeug Hand: Kleine Anatomie für
Musiker“, E) „Die instrumentenspezifische Untersuchung
der Hand“ (siehe oben!), F) „Wie unterschiedlich sind
Musikerhände?“ und G) „Musikerhände –
Musikerschicksale“. Wer die Materie dieses Buches bislang
noch als beliebiges Beiwerk für die Interessierteren –
vor allem der Lehrenden – hielt, dem wird dieses Kapitel die
Augen öffnen können. Vor allem die vielen überzeugenden
Hinweise, in der Praxis ja tausendfach analysiert und bewährt,
lenken unseren Blick auf Bereiche, die selbst einem Interessierten
verborgen bleiben könnten: „Vorsicht: Nebenfach!“
Ja, es muss nicht der Hauptfachlehrer schuld sein, wenn auf der
Geige plötzlich ein physiologisches Problem auftritt! Unter
den Kapiteln „Frühe Anzeichen“, „Erfolgreiche
Hände“ bis zum Bereich der Prävention findet man
dasjenige, was man wohl selbst als das Erforderliche bezeichnen
würde.
Im letzten Kapitel H) finden wir noch „Konsequenzen aus
der Einschätzung der Hand“: Kann ich die Hand durch Training
überhaupt verändern? Kann ich das Instrument verändern?
Ein umfangreicher Anhang bringt für denjenigen, der es –
schnell überschaubar – genauer wissen möchte, Statistisches.
Fazit: Es gibt bereits eine beachtliche Reihe von Büchern
zum Thema Musikergesundheit und -physiologie, in denen zum Teil
auch Fragen des Lernens, Auswendigspiels, Aufführungsängste
et cetera in wunderbarer Weise abgehandelt werden. Diese werden
nicht ersetzt durch Wagners Buch. Aber dieses ist in seiner klar
umgrenzten Thematik das Standardbuch über Hand und Instrument
überhaupt. Möge es in unserer hochperfektionierten Musikwelt
eine heilsame Informationsquelle für jedermann werden!