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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 9
55. Jahrgang | April
www.beckmesser.de
Falsch gelacht
Jede Haupt- und Staatsaktion hat das, was früher einmal Satyrspiel
hieß – ihr Echo minderen Rangs. Dem so genannten Karikaturenstreit,
in dem sich ein Konflikt zwischen einer Schar von Medienzynikern
und Millionen manipulierter Fanatiker zum weltweiten Glaubenskrieg
emporschaukelte, folgte auf dem Fuß die Frankfurter Notizblockaffäre:
Schauspieler gegen Kritiker, Stichwort „Hau ab, du Arsch“.
Beide Male prallten unterschiedliche Lebenswelten und Wertesysteme
unver- söhnlich aufeinander.
Der ganz große Glaubenskrieg soll hier nicht kommentiert
werden, sondern nur einige Facetten des bundesdeutschen Feuilletonaufruhrs,
der eigentlich gar keiner war, weil das Ganze rasch zur persönlichen
Angelegenheit eines überempfindlichen Kritikers umgebogen wurde.
Damit war der Fall erst einmal erledigt, die Freiheit der Kunst
blieb unangetastet.
Vorauszuschicken wäre noch: Da ich mir lieber im Fernsehen
„Southpark“ anschaue als das freudlose Gerammel schauspielernder
Selbsterfahrungsgruppen, habe ich natürlich die besagte Theateraufführung
nicht gesehen. Um die geht es aber auch nicht primär, sondern
um das, was hinterher in den Zeitungen stand. Und das kann jeder
nachlesen.
Zum Beispiel den unsterblichen Satz aus dem Interview der „Berliner
Zeitung“, mit dem der Regisseur der Frankfurter Aufführung,
Sebastian Hartmann, den ausgeflippten Schauspieler in Schutz nahm:
„Wir wollen Herrn Lawinky doch zugestehen, dass er aufgeregt
ist. Er weiß, dass er un-gefähr eine Viertelstunde später
sein Glied entblößen wird.“ Wir sind nicht beim
Onkel-Doktor-Spiel, sondern im Theater, und so folgt gleich das
nächste Highlight: „Als eine Schauspielerin mit Tränen
in den Augen ungefähr anderthalb Meter von Herrn Stadelmaier
entfernt einen toten Vogel gebar, lachte der Kritiker höhnisch.“
Die Szene muss man sich vorstellen und versuchen, dabei nicht an
die Vogelgrippe zu denken. Und da wagt einer einfach zu lachen!
Klar, dass sich da der zutiefst verunsicherte Exhibitionist sagt:
Den knöpfe ich mir jetzt prophylaktisch aber mal vor. Denn
wenn der in einer Viertelstunde wieder lacht, was mach’ ich
dann mit meinem Pipifax?
Lachen kann bekanntlich töten, und keiner hat das besser
vorgeführt als Jacques Offenbach. Unter dem Gelächter
seiner Musik schrumpft auch der gewaltige General Bummbumm auf Normalmaß.
Doch im Gegensatz zum Zweiten Kaiserreich mit seinen lustigen Eisenbahnbaronen,
Börsenhaien und Arbeiterheeren leben wir heute bekanntlich
in einer entmenschlichten Zeit, als deren grausiges Emblem Hartz
IV über unseren Köpfen schwebt. Deshalb: Wehe dem, der
lacht! Schauspieler, zeigt euer Leiden und entblößt eure
Glieder! Das Theater muss der Spiegel sein, in dem dieser beschissenen
Gesellschaft ihre eigene Fratze respektive ihr Hinterteil entgegengehalten
wird. Unbeschönigt, unversöhnt.
Und so sitzen denn, wie man dem Hamburger „Spiegel“
entnehmen kann, beim „Macbeth“ in Düsseldorf nackte
alte Männer auf dem Donnerbalken und kacken um die Wette. Womöglich
steckt darin ja eine tiefere Wahrheit. Braun, die deutsche Farbe.
Das könnte erklären, warum diese Variante von Regietheater
ausgerechnet auf deutschen Bühnen so beliebt ist.
Die Wiener Aktionisten arbeiteten schon in den 60er-Jahren mit
Tierblut, Kot und Urin. Sie hatten Wilhelm Reich gelesen und wollten
mit ihrer Provokation den Faschisten aus dem Kleinbürger herauskitzeln.
Wenn ihre Happenings mit Polizeieinsatz, Verhaftung und Hasstiraden
des Boulevards endeten, sahen sie ihre These als bewiesen an. Ihre
traurigen postmodernen Nachfahren können sich bei ihren Sandkastenspielen
abstrampeln wie sie wollen – keine Polizei, keine öffentliche
Empörung, kein Faschismus. Höchstens ein Kritiker, der
im falschen Moment lacht. Da bleibt nur Selbstmitleid.
Das alte Spiel der Tabuverletzung entfacht hier zu Lande keinen
Skandal mehr, weil es keine Tabus mehr gibt. Da muss man schon auf
andere Religionen los, wie es die schlauen Dänen vorgeführt
haben. Ein ganz klein wenig funktioniert es hingegen noch, wenn
etwa Autoabgase in eine alte Synagoge geleitet werden, in rein künstlerischer
Absicht natürlich. Er wolle „auf die Banalisierung der
Erinnerung an den Holocaust aufmerksam machen“, wird der Urheber
dieser Aktion, der spanische Künstler Santiago Serra, zitiert.
Außerdem gehe es ihm gegen Staatsmacht und Kapital.
Damit liegt der unerschrockene Aufklärer natürlich hundertprozentig
richtig. Das Unternehmen wird von der Stadtverwaltung in Pulheim
bei Köln freundlich gefördert, denn Kultur bringt bekanntlich
Standortvorteile. Das Feuilleton nimmt das, von Ausnahmen abgesehen,
eher gelangweilt zur Kenntnis. Man ist ja tolerant geworden. Es
melden sich höchstens ein paar humorlose Juden, die das Wesen
der ästhetischen Provokation noch nicht begriffen haben und
die Autoabgase in ihrer alten Synagoge seltsamerweise ganz persönlich
nehmen. Aber die haben ja den deutschen Humor schon immer ein bisschen
missverstanden.