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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 47
55. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Wie der west-östliche Diwan klingt
Das Festival „Forum Neuer Musik“ im Deutschlandfunk
Indonesisch aus dem linken, Niederländisch aus dem rechten
Kanal. Das Zuspielband stoppt, in die Pause der Auslöseschlag
des Dirigenten: Einsatz von Ensemble Gending. Gamelan-Klänge
füllen den Sendesaal des Deutschlandfunk. Begegnung mit dem
anderen Eigensein, wovon bereits Debussy so fasziniert war, dass
er sich aufs eigene Anderssein besann, um es in „Voiles“,
„Pagodes“, „Cloches à travers les feuilles“
Kunst werden zu lassen. Schöpfungen freilich für sein
Instrument, für das Klavier. Wahrscheinlich hätte er nicht
schlecht gestaunt, wäre er Zeuge des Abschlusskonzertes vom
Forum Neuer Musik 2006 geworden, erklang hier doch ausnahmslos Gamelan-Musik
der Gegenwart.
Makiko
Goto und ihre Koto, eine japanische Zither. Foto: M. Maspaitella/DLF
Deren Komponisten, Roderik de Man (geb. 1941) beispielsweise, sind
entweder selbst indonesischer Herkunft oder beziehen sich wie Paul
Bruinen (*1958) auf die niederländische Besatzung Indonesiens,
an der sein Vater beteiligt war. Historische Konflikte, die aufgehoben
sind in des Wortes dia-lektischer Bedeutung. Überwunden zwar,
aber aufbewahrt in der Kunst, wenn de Man Gamelan-Geläut mit
indonesischer und niederländischer Lyrik collagiert oder Bruinen
in „Angstzweet“, „Angstschweiß“, abgedämpfte
Schmerz- und Schreckensschreie aus dem Zuspielband von Kratzgeräuschen
der Gamelan-Stachelgeige kommentieren lässt. „Begegnungen
FernMittelOst“ sind, so scheint es, ohne ein Bewusstsein für
Konflikt- und Widerspruchspositionen, ohne Kratzgeräusche also,
nicht zu haben.
Nach altem Brauch haben die Spieler vor ihren Instrumenten Platz
genommen, den Gongs, Gongspielen, Metallophonen, Felltrommeln. Pittoresk,
wie das Arsenal die komplette Bühnenbreite des Kölner
Sendesaals füllt. Doch die scheinbare Exotik wird gestört.
Ensembe Gending spielt aus Noten, realisiert Partituren, bedarf
somit der Zeichengebung, der Klangbalance eines Dirigenten. Was
an drei Veranstaltungstagen in Porträt- und Ensemblekonzerten,
in Klangperformance und Elektroakustik an musikalischen Akkulturationsprozessen
Ost-West aufgedeckt wurde – hier hatte die „Acculturatie
Oost West manifeste“ Gestalt angenommen. Gamelan, auf Bali
und Java traditionell undirigiert, traf auf eine westliche, von
der neuen Musik geprägte Ensemblekultur, ablesbar am gestaltungsbewussten
Dirigat wie an der Biographie eines Jurrien Sligter, den jahrelange
Erfahrungen mit Asko-Orchester, Asko-Ensemble und anderen zeitgenössischen
Formationen verbinden.
„Begegnungen FernMittelOst“, diesjähriges Thema
im Forum neuer Musik, fanden im Utrechter, auf zeitgenössische
Musik spezialisierten Gamelan-Orchester ihr überzeugendes künstlerisches
Schlussbild. Gelungener Schlusspunkt einer von Musikredakteur Frank
Kämpfer initiierten Versuchsanordnung, die keine Trends und
Tendenzen bedienen will, keine quotenträchtigen Megastars der
Szene ins Programm hievt. Kleiner, jünger, auch in der Ausstattung
bescheidener als andere Festivals rund um das zeitgenössische
Komponieren, hat Kämpfer in Anspruch und Zuschnitt des von
ihm kuratierten Mini-Festivals eine auf den ersten Blick wenig öffentlichkeitswirksame
Position bezogen. Ein Forum Neuer Musik sieht er vielmehr in der
Pflicht, Echolot zu sein für künstlerische Reaktionen
auf Realverhältnisse, womit in diesem Festival-Zyklus die bekannten
Auf- und Umbrüche in Asien gemeint waren.
Dass eine programmatische Offenheit stets die ganze Wirklichkeit
spiegelt, liegt auf der Hand. So gewährte die intendierte Auslotung
aktueller Komponiersphären asiatischer Regionen und Traditionen
auch Einblicke in jenen globalen Krisenprozess, in dem sich die
Akteure, mangels objektiver Kriterien, nur mehr darin unterscheiden
können, in welchem Maß sie sich ihrerseits dieser Krise
bewusst geworden sind. Die vom Hamburger Ensemble Intégrales
vorgestellten Komponistinnen und Komponisten aus Kasachstan, Iran,
Japan, China, Malaysia, Mongolei schienen davon jedenfalls noch
einigermaßen entfernt. Auf der Basis eines europäischen
Instrumentariums kam es zu mehr oder weniger dynamisch-motivisch
ausdifferenzierten Geräuschmusiken, mit Verharrungstendenzen
im Konventionell-Atmosphärischem. Östliche Herkunft und
westliches Instrumentarium machen noch keine west-östliche
Diwan-Qualität.
Ansätze dazu zeigten sich im Porträtkonzert, das dem in
Kalkutta geborenen, in Köln beheimateten Computer-Komponisten
Klarenz Barlow zum 60. Geburtstag gewidmet war. „Ludus Ragalis“
nennt Barlow einen Werkzyklus von „12 Präludien und Fugen
für Tasteninstrumente“, worin Bach-Schuss- und Raga-Kettfäden
zu einem seltsam schwirrenden Gebilde mit eigenartig geformten und
rhythmisierten Fugen-Themen zusammentreten. Ein in den 70er-Jahren
begonnenes kompositorisches Akkulturationsunternehmen, dessen erlesene
Schrulligkeit einen Hauch von Hafis-Heiterkeit verströmte.
Auch Barlows „Variazioni e un pianoforte meccanico“
waren augenscheinlich lustig gemeint. Dass diese am Ende, wenn auch
unfreiwillig, die Antiquiertheit des Interpreten demonstrierten,
kam so: Ein von Barlow programmiertes Selbstspielklavier drängte
sich in die Beethoven-Interpretation des Pianisten, alias Barlow,
um diesen schließlich ganz zu verdrängen. Ein Gag. Als
der sich verlaufen hatte, Barlows Automat aber gar nicht mehr aufhören
wollte, breitete sich im Saal ob solcher Selbst-Abdankung der Kunst
Ratlosigkeit aus. Auf hohem technischem Niveau, doch fern jeder
Technologieverfallenheit, agierten Makiko Goto und Jeremias Schwarzer.
Das Duo kombiniert die Koto, die japanische Zither und die europäische
Blockflöte. Eine geniale Ost-West-Verbindung, die dank der
Integration von archaischen Ritualmusiken in ein zeitgenössisches
Programm die tönende Seelenverwandtschaft von Alter und Neuer
Musik frei legte. Wie sich ein energiegeladenes Solostück aus
dem 13. Jahrhundert für die Shakuhachi, von Schwarzer auf der
Blockflöte interpretiert, gegen das Verklingen wehrt, sich
mit immer neuer Intensität auflädt, korrespondierte der
Durchsichtigkeit der „composition no. 60“ von Erwin
Koch-Raphael (*1949), einem Isang Yun-Schüler. Koto, Blockflöte,
Sprech- und Gesangsstimme – eine der schönsten Forum-Bilanzen
2006 – brachten den west-östlichen Diwan zum Klingen.