[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 45-46
55. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Wer hat Angst vor klassischer Musik?
Ein Kinderkonzert mit dem Münchner Kammerorchester und einer
Uraufführung
Dem immer akuter werdenden Problem, dass die Klassikhörer
älter und weniger werden, begegnen die von klassischer Musik
lebenden Institutionen mit intensiver Nachwuchspflege. Fernziel
und Hintergedanke ist, den Klassikhörer und Konzertbesucher
von morgen heranzuziehen.
Timing
von Sprache, Musik und Illustration stimmte: Unser Bild
zeigt Jörg Hilbert als Sprecher und Christoph Poppen
als Dirigent des Münchener Kammerorchesters. Foto:
Terzio Verlag
Das Münchner Kammerorchester meint es ernst damit und bietet
in seiner Saison 2005/2006 gleich drei Kinderkonzerte an. Beim zweiten
Konzertprojekt, über das hier berichtet wird, wurde kein Aufwand
gescheut. „Wer hat Angst vor Mister Werwolf?“ wurde
viermal aufgeführt, zwei Aufführungen (!) am 12. März
im Münchner Prinzregententheater, als Schülerkonzert am
16. März in der Münchner Philharmonie und als Gastspiel
in der Kölner Philharmonie am 19. März.
Der künstlerische Leiter Christoph Poppen will neben den
vorhandenen Kompositionen für Kinder (Prokofieff, Saint Saëns
etc.) neue Inhalte und Formate initiieren. So wurde mit „Wer
hat Angst vor Mister Werwolf?“ eine aufwändige Uraufführung
produziert, bei der alle Zutaten gestimmt haben. Das Autorengespann
Jörg Hilbert (Text, Illustration) und Felix Janosa (Musik),
bekannt durch seine zahlreichen „Ritter Rost“-Bücher
und -Musicals, schuf eine musikalische Detektivgeschichte. Der Klaviersatz
wurde von Tobias PM Schneid kunstvoll für Kammerorchester orchestriert.
Sprecher war der erfahrene Hörspielautor und Schauspieler Martin
Baltscheit.
Das gut einstündige Konzert bot zu Beginn eine von Christoph
Poppen moderierte Vorstellung der Orchesterinstrumente. Dann holte
der erfahrene Moderator und Dirigent Jörg Hilbert und Tobias
PM Schneid zu sich auf die Bühne und befragte sie zu ihrer
Arbeit. Hier wurde anhand von prägnanten Beispielen die musikalische
Machart und Charakterisierung der Protagonisten vorgestellt. Eine
Orchesterstelle wurde regelrecht in ihre Einzelstimmen zerlegt und
wieder zusammengesetzt – das war schon recht anspruchsvoll,
aber instruktiv. Bei der gut halbstündigen Aufführung
der Detektivgeschichte stimmte alles: Das Timing von Sprache, Musik
und Illustration, die engagierte und fesselnde Interpretation durch
den Sprecher und die Musiker. Einen nicht zu unterschätzenden
Anteil am Erfolg der Uraufführung haben die auf einer grossen
Leinwand hinter dem Orchester eingeblendeten Illustrationen zur
Geschichte von Jörg Hilbert. Hier wählte man – zum
Glück – nicht ein rasantes Popvideo-Tempo, sondern einen
ruhigen, gemessenen Bilderbuch-Rhythmus. Das zahlreiche Kinderpublikum
forderte eine Zugabe und bekam sie in Form einer Gedichtrezitation
von Jörg Hilbert.
Text und Musik transformierten gekonnt und ziemlich genau das
Genre des Detektivromans (Dashiell Hammett und Raymond Chandler)
in die spannende und amüsante Geschichte „Wer hat Angst
vor Mister Werwolf?“. Detectiv Peter erhält von einer
geheimnisvollen, anziehenden Katzendame den Auftrag, nach einer
verschwundenen Ente zu suchen. Die Spur führt zu Mister Werwolf
und dessen zwielichtiger Bar „Zum Diamanten“. Dort trifft
er den Pianisten Grandpa Johnson, der ihm entscheidende Hinweise
für die Lösung des Falles gibt. Außerdem treten
brutale Gangster, zwei unfähige Geheimpolizisten und natürlich
die geheimnisvolle Auftraggeberin als Nachtclubsängerin auf.
Mehr soll nicht verraten werden, außer dass detective Peter
den Fall löst, weil er keine Angst vor Mister Werwolf hat.
Die wie eine Filmmusik durchgängig konzipierte Partitur charakterisiert
die Protagonisten mit je eigenen musikalischen Themen und Timbre.
Die Nähe zum Jazz, besonders in einigen swingenden Cool-Jazz-Reminiszenzen
in den Bar-Szenen war stilecht und passend. Die Orchestrierung war
abwechslungsreich und sehr gekonnt. Es gab keine Runterbuchstabierung
oder „Vereinfachung“ für Kinder, im Gegenteil:
die Musik war dicht und anspruchsvoll gesetzt. Mir schien, dass
durch die grosse Dichte und konsequente Durchkomposition der Musik
– ich beziehe mich auf die Kammerorchesterfassung –
die Gefahr besteht, dass selbige als Hintergrundtapete – wie
eben Filmmusik – wahrgenommen wird. Die musikalische Interpretation
war auf hohem Niveau.
Fazit: Den Kindern hat’s gefallen; den Erwachsen, die sich
an den zahlreichen Anspielungen auf die „Originale“
ergötzten, ebenso. Eine Buchveröffentlichung mit CD ist
für den Herbst 2006 geplant. Ob mit solchen Veranstaltungen
das obige Problem beziehungsweise die Aufgabe gelöst wird,
ist eine andere Frage. In der Regel kommen zu den Kinderangeboten
von Opern, Theatern oder Orchestern Kinder (mit ihren Eltern), die
einen bürgerlich kultivierten, klassischen Hintergrund mitbringen.
Interessant wäre es aber, gerade noch nicht mit Klassik in
Berührung gekommene Kinder und Jugendliche zu erreichen (die
zahlreichen Jugendorchester in Venezuela!). Erfolgreiche Vermittlung
von Klassik funktioniert durch Mitmachen, Einbeziehen. Insofern
lohnt es sich, in Formate zu investieren, in denen Kinder zum kreativen
Mittun animiert werden. Sonst verbleibt die klassische Aufführungssituation
und Trennung zwischen Bühne und Publikum starr und allzu bekannt
aus der Schule. Hier also sind Ideen nicht nur der Institutionen,
sondern auch ein Mitmachen der Schulen und der Eltern gefordert.