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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 11
55. Jahrgang | April
Cluster
Geistiges Eigentor
Eine Bagatelle ist eine Bagatelle. Dass Bagatellen nicht Kleinigkeiten
sein müssen, das weiß man spätestens seit jenen
von Beethoven. Das heißt aber keinesfalls, dass jeder Bagatellschaden
einen Weltuntergang nach sich zieht, selbst in Anbetracht dessen,
dass ein Sack mit Plagiaten in China umfällt. Las man hingegen
Statements aus Kulturorganisationen zur so genannten Bagatellklausel
im Rahmen der Urheberrechtsnovelle, dann schien es gerade so, als
sei das Ende der Kunst nahe. Der Deutsche Kulturrat, dem die topografische
Nähe zur Bild-Zeitung offenbar nicht gut bekommt, titelte reißerisch
„Justizministerin will Kleinkriminalität legalisieren“.
Dabei ging es „nur“ um unautorisierte Kopien von Musik-CDs
in kleinem Umfang. Ich muss zugeben, ich bin so ein kleinkrimineller
Künstlermörder. Ich plädiere aber dafür, bei
unserer Kulturheiligen, den Geschäftsführern und Generalsekretären
der Kulturorganisationen, Kunstrazzien durchzuführen (nach
Selbstanzeige), gegebenenfalls auch zu Hause. Sie müssen ja
keine Angst haben, denn man weiß, es sind die reinsten Künstler-
und Kunstliebhaber, sie kaufen musikökologisch gerecht und
spenden überzählige Euros in entsprechende Unterstützungsfonds,
freiwillig selbstredend. Sie lieben ebenso Schnappis Komponisten
und Textdichter wie den des Holzmichels und kaufen Partituren von
Manfred Trojahn allein schon aus Solidarität; jeden Text, den
ihr Name ziert, haben sie selbst verfasst. Sie sind die Großgutmenschen
schlechthin. Jede Form von Kopie wird man vergebens suchen, sowohl
bei Musik als auch bei Software.
Dabei bräuchte man das doch alles gar nicht. Die Geräteindustrie
bietet längst Kopierschutzmechanismen und digitale Rechteverwertungsmechanismen
an. Aber das ist irgendwie auch nicht genehm. Das sei ja böses
kapitalistisches Verhalten und ist so unkünstlerisch und dann
ist da auch noch der Datenschutz und das informationelle Selbstbestimmungsrecht
zu beachten und überhaupt. Die Gerätehersteller kontern
intelligent. „Es kann nicht sein, dass die Urheber das Inkasso
ihrer Vergütung weiterhin pauschal auf die Hersteller und Käufer
von digitalen Geräten abwälzen, wenn sie selbst in der
Lage sind, individuell gegenüber den Nutzern ihrer Inhalte
abzurechnen.“ Stimmt! Gerade aus Sicht der Kulturschaffenden,
die eine faire Entlohnung wünschen, stimmt das. Doch das will
in Wirklichkeit niemand, denn dann müsste man sich ernsthaft
Gedanken über die Funktion, Aufgabe und den Sinn von Kunst
in der Gegenwartsgesellschaft machen. Inhaltliche Fragen sind jedoch
die letzten, die heute noch irgendwen interessieren. Die Wichtigkeit
des eigenen Metiers wird erst juristisch zu einer solchen, nämlich
dann, wenn etwas strafbar wird oder ist. Je höher die Strafe,
desto höher das Gut, das da geschützt wird – so
einfach ist die Logik dieser Kulturfunktionalisten von Kulturrat
bis ver.di. So werfen die von Kleinkriminellen und Technologiefetischisten
umzingelten Herrschaften also den ersten Stein, sie sind ohne Schuld
und Fehl und Tadel!