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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 16
55. Jahrgang | April
Hochschule
Über die transdiziplinäre Kunsthochschule
Interview mit Hans-Peter Schwarz, Gründungrektor der Zürcher
Hochschule der Künste
Die Zukunft der Musikhochschulen ist die Hochschule der Künste
(HdK). Der Begriff HdK ist allerdings dehnbar und wird von den Instituten
in Deutschland je nach örtlichen Gegebenheiten zu Recht unterschiedlich
aufgefasst. Die einen sehen in der groß dimensionierten Kunsthochschule
den Ozeanriesen, der sich – von Bürokratie überhäuft
– kaum bewegt. Die inhaltliche Kritik lautet: Die autonomen
Künste existierten in solchen Institutionen nebeneinander her.
Das erhöhe den bürokratischen Aufwand enorm.
Gründungsrektor
Hans-Peter Schwarz. Foto: HGKZ
Die andere Sicht der Dinge dagegen: Die Verbindungen der Künste,
die sich größtenteils im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts
voneinander abgesondert haben, werden heute wieder stärker.
In Zürich hat man sich auch aus diesem Grund für einen
transdiziplinären Ansatz entschieden. 2000 wurde der deutsche
Kunsthistoriker Hans-Peter Schwarz zum Gründungsrektor der
Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) gewählt. Die
zukünftige Hochschule wird die Bereiche Musik, Film, Theater,
Design, Tanz, Medien & Kunst sowie Kulturwissenschaft und Kunstvermittlung
umfassen und ist ein Zusammenschluss von Hochschule für Gestaltung
und Kunst Zürich (HGKZ) und Hochschule Musik und Theater Zürich
(HMTZ). Sie wird mit über 2.000 Studentinnen und Studenten
sowie zirka 800 Lehrenden eine der größten Kunsthochschulen
im deutschsprachigen Raum werden. Der Start ist für das Herbst-Semester
2007/08 geplant. Die neue musikzeitung sprach mit H.P. Schwarz.
nmz: Was war die Grundidee der neuen ZHdK?
Hans-Peter Schwarz: Man wollte die Kunstausbildungen,
die bislang privat waren – Theater, Tanz und Musik –
mit den Kunstausbildungen, die schon seit längerem verstaatlicht
waren, also mit der bildenden Kunst, Design und Kunsterzieherausbildung,
vereinen. Dazu kam noch der Wunsch nach transdisziplinären
Lehrangeboten. Wir könnten also von einer Wiedervereinigung
dieser vormals getrennten Künste auf der Ebene der Hochschule
sprechen. Dabei war uns wichtig, dass das, was bisher als Ausbildungskern
gilt, auch weiterhin beibehalten wird. Das war die grundsätzliche
Bedingung an die politischen Kräfte, gerade um die Turbulenzen,
die Fusionen immer mit sich bringen, zu vermeiden.
nmz: Es wird weiterhin die Musikhochschule geben,
die aber in eine Administration der Hochschule der Künste integriert
ist?
Schwarz: Wir werden in der ZHdK das Departement
Musik haben, das auch mit Abstand das größte sein wird,
mit 800 Studierenden und – interessanterweise – fast
400 Lehrenden. Insgesamt planen wird fünf Departements: ein
Departement „Kunst und Medien“, ein Departement „Design“,
ein Departement „Darstellende Künste“ mit Tanz,
Theater und Film – wir haben auch die größte Filmhochschule
der Schweiz –, das Departement „Musik“ und ein
Departement, das „Kulturwissenschaft und ästhetische
Vermittlung“ heißt. Hier werden künftige Kunsterzieher
ausgebildet werden, aber auch Theoriebereiche angesiedelt sowie
der Museumskomplex, den die Hochschule der Künste auch haben
wird.
nmz: Hat das so einfach funktioniert, dass man
die altehrwürdige Hochschule für Gestaltung und Kunst
(HGKZ) in etwas Neues überführt?
Schwarz: Es handelt sich insofern um einen Identitätswechsel,
weil diese Hochschule ursprünglich eine Designschule mit ein
bisschen Kunst war. Die neue Kunsthochschule kehrt die Vorzeichen
um: Sie ist eine Schule klassischer Prägung mit einem bedeutenden
Designbereich darin.
nmz: Kann man die HdK Zürich mit der UdK
Berlin vergleichen?
Schwarz: Wir sind natürlich etwas kleiner
als Berlin. Dennoch wohl die zweitgrößte Kunsthochschule
im deutschsprachigen Raum mit ungefähr 2.000 Studierenden,
etwa 1.000 Mitarbeitern, wovon zirka 800 Lehrende sind. In Berlin
sind die einzelnen Hochschulen noch eigenständiger als in Zürich.
Wir haben versucht, den Departement-Begriff stärker durchzusetzen.
Wir gehen davon aus, dass es zwar eigene Bereiche gibt, die individuell
konstruiert und autonom sind, aber dass darüber hinaus das
Ganze auch so angelegt ist, dass transdisziplinäre Studien
möglich sind, insbesondere im Bereich von Forschung und Entwicklung.
Auch in den Bereichen der Präsentation – wir haben Museen,
Theater und Konzertbetrieb – wird über die Departement-Grenzen
hinaus enger zusammengearbeitet werden; ebenso im Bereich von bestimmten
Masterstudiengängen. Im Bachelor-Bereich wäre Transdisziplinäres
dagegen unsinnig. Das ist wichtig: transdisziplinär bedeutet
problemorientiert und nicht prozessorientiert. Wir setzen uns also
nicht zusammen und erfinden ein Problem. Sondern das Problem ist
da und wird bearbeitet – allerdings aus der Sicht der einzelnen
Disziplinen.
nmz: Von 1992 bis 2000 waren Sie Direktor des
Medienmuseums am Zentrum für Kunst- und Medientechnologie in
Karlsruhe (ZKM). Sind Sie nach Zürich berufen worden, weil
Sie in Karlsruhe genau in diesen transdisziplinären Feldern
Erfahrung gesammelt haben?
Schwarz: Das ist richtig. Das war in Karlsruhe
natürlich Programm. Wobei es nicht darum geht, die Zürcher
Hochschule zu einer Medienhochschule zu machen. Das waren Schlagworte
aus den 90er-Jahren, die jetzt ein bisschen vorsichtig gesehen werden
müssen.
nmz: Gibt es genügend Plätze zur Begegnung
der Künste?
Schwarz: Ein großes Industriegelände
in Zürich-West (Toni-Areal) wird zu einem gemeinsamen Gebäude
der Hochschule für Künste umgebaut. Eine Gegend, in der
schon jetzt sehr viel zeitgemäße Kultur gemacht wird.
Es gibt da große Lounges und mehrere kleine Clubs in „Züri-West“.
Es findet sich – etwas pathetisch gesagt – die Kulturszene
des 21. Jahrhunderts. Das Gebäude soll schon 2009 fertig werden
und wird mit immerhin 80.000 Quadratmetern ausreichend Fläche
zur Begegnung bieten.
nmz: Kunststudium und Berufswelt – in welchem
Verhältnis stehen in der ZHdK die angewandten und die autonomen
Künste in Zürich?
Schwarz: Man kann darüber streiten, ob Bachelor-Studiengänge
schon zur Berufsbefähigung führen sollten. Das wurde in
der Schweiz zwar durchgesetzt, aber wir sind der Ansicht, dass sie
nicht wirklich eine Berufsbefähigung für einen voll ausgebildeten
Konzertvirtuosen bieten können, sondern nur für ganz bestimmte
Arten von Berufen. Auf der anderen Seite – und das finde ich
durchaus sehr gewichtig, auch im Unterschied zu Berlin – halte
ich es für wichtig, dass die Lehre insofern „angewandt“
ist, dass sie tatsächlich auf die Möglichkeit hinarbeitet,
dass die Studenten ihr Geld mit diesem Beruf verdienen. Das Problem
liegt ja nicht darin, dass die freie eigenständige Entfaltung
der künstlerischen Tätigkeit – sei sie musikalischer
Natur oder im Theater oder der Bildenden Kunst – dass diese
damit eingegrenzt wird. In der Filmausbildung haben wir damit bereits
begonnen. Wir haben eine Ausbildung für Medientechnologie mit
integriert und es gibt jetzt ganz erfolgreiche Absolventen, die
nicht freie Regisseure geworden sind und sich von einem Projekt
zum anderen hangeln, sondern einen gut gehenden Medienbetrieb führen.
nmz: Wie profitiere ich als ausgebildeter Musiker
von derartigen Studiengängen?
Schwarz: Also ein gutes Beispiel wäre zum
Beispiel die Filmmusik. Wir verfügen an der Hochschule für
Musik und Theater über eine große Filmabteilung und es
gibt darin auch schon eine kleine Filmmusikabteilung, die künftig
sicher einen größeren Stellenwert bekommen wird. Die
digitalen Bildmedien beispielsweise beinhalten oft sogar mehr Audio-
als Bildanteile, werden im Moment aber größtenteils nur
von Leuten behandelt, die eigentlich für Visuelles geschult
sind. Hier ist ein ganz großer Effekt in diesen transdisziplinären
Problemstellungen gegeben. Oder eine ganz klassische Sache, die
bald einen großen Stellenwert bekommen wird: das Bühnenbild,
welches auch ausgeweitet werden kann von der realen Bühne bis
zum virtuellen Raum. Szenographical Design kann nur an einer Hochschule
wirklich richtig gelehrt werden, wo es diese Vielzahl an gestalterischen
Bereichen gibt. Das führt dazu, dass ein Bühnenbild sowohl
von den Leuten, die sich mit digitalen Medien beschäftigt haben,
als auch von den Leuten, die aus der klassischen Bühnenbildnerei
kommen, den Theaterleuten und den Musikern realisiert wird.
nmz: Im Idealzustand werden Sie das Bauhaus des
21. Jahrhunderts. Ein Haus, in dem alle Künste unter einem
Dach zusammen sind.
Schwarz: Das Bauhaus hatte eine harte und eine
weiche Phase. Die harte Seite – und die würde ich nicht
so sehr schätzen –, das war die von Walter Gropius, wo
im bezeichnenderweise kreisförmig angeordneten Curriculum die
Architektur in der Mitte stand. Davor gab es ein sternförmiges
Curriculum mit Tanz in der Mitte. Und diese Art von Bauhaus, mit
Tanz in der Mitte, ermöglichte es, so extrem unterschiedliche
Leute wie Klee auf der einen und Itten auf der anderen Seite zusammenzubringen.
Eigentlich zwei Künstler, die gerade nicht das rationale oder
funktionale des Bauhauses verkörperten. In dieser Form, wenn
man das sagen kann – und Tanz ist für mich in einer besonderen
Art und Weise eine transdisziplinäre Disziplin, die in der
Mitte steht und in die jeweiligen Disziplinen ausstrahlt –,
ist das Bauhaus durchaus ein Vorbild.
nmz: Jede Musikhochschule, jede Kunsthochschule
muss sich neu legitimieren in den nächsten Jahren – wie
positioniert sich Ihre Hochschule? Wie ist die Situation in anderen
Ländern?
Schwarz: Es ist noch nicht lange her, dass ich
zum Gründungsrektor gewählt worden bin, und ich habe interessanterweise
vor allem aus Finnland Glückwunsche erhalten, weil dort gerade
genau diese Diskussion, dass man die einzelnen Spartenhochschulen
zu größeren Kunsthochschulen zusammenfasst, im Gange
ist. Das zeigt, dass sich eben nicht nur in der Schweiz diesbezüglich
was ändert, sondern auch in anderen Ländern. Allerdings
entstehen Probleme, wenn so etwas von außen aufoktroyiert
wird. Hier in Zürich ist es ja wirklich aus der Überlegung
der Fachleute und der Hochschulen selbst entstanden.
nmz: Ist die ZHdK nicht ein Sparmodell?
Schwarz: Jeder Rektor, der heute diesen Job macht,
muss auch sparen. Allerdings sollten wir nicht sagen, was können
wir uns leisten, sondern was wollen wir uns leisten. Und wir müssen
gezieltere Curricula aufbauen und dafür auf Dinge verzichten,
die „nice to have“ sind. Damit gibt man der Hochschule
sogar ein schärferes Profil. Wenn Sparübungen zur Konzentration
von Curricula führen und nicht zum „Braindrain“,
dann finde ich das absolut akzeptabel. Da wollen wir auch ein bisschen
Vorbild sein.