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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 8
55. Jahrgang | April
Magazin
Das Ideal einer Gemeinsamkeit in Freiheit
Ein Gespräch mit der Bratschistin Tabea Zimmermann
In der nächsten Arbeitsphase des Bundesjugendorchesters wird
die Bratschistin Tabea Zimmermann in einem zeitgenössischen
Violakonzert des Engländers Mark-Anthony Turnage mitwirken.
Reinhard Schulz, neue musikzeitung, führte mit der Interpretin
ein Gespräch, bei dem sich kurz auch ihr Ehemann Steven Sloane
(der die Tournee leiten wird) beteiligte.
neue musikzeitung: Frau Zimmermann. Sie haben
früher schon mit dem Bundesjugendorchester zu tun gehabt.
Das
Vermeiden von Routine hält wach und macht stark. Die
Bratschistin Tabea Zimmermann. Foto: Christoph Fein
Tabea Zimmermann: Ich war selbst 1981/1982 Mitglied
und dann habe ich kurz darauf, 1984, einmal als Solistin zusammen
mit Thomas Zehetmair mitgewirkt.
nmz: Ich glaube, dass das Orchester heute technisch
weit besser ist als in den Jahren nach der Gründung 1969. Auf
der anderen Seite beobachtet man eine Wegwendung der Jugend von
der klassischen Musik. Das Publikum überaltert.
Steven Sloane: Ich glaube, die Nähe zur
Kultur beginnt mit Bildung. Dass sich die Jugend den medialen Möglichkeiten
der Popkultur zuwendet, ist verständlich und auch ihr gutes
Recht. Aber wenn sie die Möglichkeit hat, sich, wie zum Beispiel
im Bundesjugendorchester, mit klassischer Musik auseinanderzusetzen,
dann kann das wie eine Droge sein. Das werden sie ihr Leben lang
mitnehmen.
Zimmermann: Die Konzertbesucher überaltern
außerdem nur als Spiegel unserer Gesellschaft. Die ist insgesamt
zu alt. Dennoch muss man diese Schere beobachten und hier wird heute
auch verstärkt etwas von Orchestern und Veranstaltern getan.
Aber das ist nach wie vor schwer. Es ist nun mal eine Insider-Kultur.
Und insbesondere wenn man sich mit zeitgenössischer Musik beschäftigt.
Das dem Mann auf der Straße oder der Frau im Supermarkt nahe
zu bringen, also dass da auch etwas für sie dabei ist, ist
nicht einfach. Das Elternhaus ist sehr wichtig. Ich habe schon mit
drei Jahren mit der Bratsche begonnen. Zu meinen Altersgenossen
ist dadurch freilich kein richtiger Kontakt aufgekommen.
nmz: Mit drei Jahren Bratsche? Geht das?
Zimmermann: Das geht wahrscheinlich nicht wirklich,
aber ich habe damals schon einen Dickschädel gehabt, den ich
heute auch an meinen Kindern beobachten kann. Meine älteren
Geschwister spielten Geige, Cello und Klavier.
nmz: Und da fehlte also die Bratsche.
Zimmermann: So kann man es sagen. Es war allerdings
eine 1/8-Geige mit Bratschensaiten. Es muss jämmerlich geklungen
haben.
Sloane: Es beginnt immer von klein an. In kleinsten
Städten oder Dörfern sollten musikalische Kontakte, kammermusikalische
oder in kleinen Orchestern aufgebaut werden. Dann wird die Faszination
auch anhalten.
nmz: Mahler, Adams, Turnage, das ist ein kühnes
Programm.
Sloane: Es ist mit Bedacht zusammengestellt.
Die „Harmonielehre“ von Adams ist ja ein Kommentar,
ja eine Parodie über Schönbergs Harmonielehre von 1911.
Hier war der Bruch zwischen Ende der Romantik und Beginn der Moderne
formuliert. Und gleichzeitig dazu ist Mahlers Zehnte angefangen
worden: Das Ende der deutschen Romantik, das finde ich sehr spannend.
Und John Adams ist für mich ein Meister des Minimalismus, mit
viel Ausdruck fast im romantischen Sinne. Als Amerikaner kann ich,
so hoffe ich, vieles davon dem BJO vermitteln. Turnage kam, weil
ich irgendwelche Kontakte mit der Bratschistin habe.
Zimmermann (lacht): Wir wollten auch keinesfalls
wieder Berlioz, Bartók oder Hindemith machen, sondern uns
einem auch für uns ganz neuen Stück zuwenden.
nmz: Vielleicht auch als Brücke zwischen
deutscher Romantik und den USA?
Sloane: Ja, England ist eine Insel. Man versucht
eigenes zu machen und zugleich den Blick nach allen Seiten zu wenden.
Es gibt heute fantastische Musiker dort, auch was die kompositorische
Technik betrifft. Und dort gibt es wie in Amerika weniger Berührungsängste
zu Pop, zu neuen Technologien.
nmz: Mahlers Zehnte ist ein Werk, in dem große
Lebenserfahrung kulminiert. Kann das ein Jugendorchester?
Sloane: Ich war 25 Jahre alt, als ich zum ersten
Mal Beethovens Neunte dirigierte. Da habe ich mir auch diese Frage
gestellt. Damals sagte ein Lehrer zu mir: Wenn du dieses Stück
wirklich dirigieren willst, wenn du 50 bist, dann musst du mit 25
anfangen. Die jungen Musiker im BJO werden das Stück erleben,
wie sie jetzt denken. Aber die Erfahrung wird einen lebenslangen
Prozess einleiten.
Zimmermann: Ich möchte noch hinzufügen:
Die Beurteilung des Älteren, dass man mehr weiß, weil
man älter ist, ist eine gefährliche Schiene. Kinder bringen
von Geburt an eine Weisheit, eine Verbundenheit mit den Generationen
davor mit. Es gibt durch Musik die Möglichkeit, Dinge zu fühlen,
die man noch nicht gefühlt hat. Die Idee des kosmischen Gedächtnisses,
auch der Ursprünglichkeit habe ich selbst auch oft an mir erlebt.
Sloane: Und das Fehlen von Vorurteilen, von Befangenheiten
bringt eine viel größere Nähe zur Musik. Sie erleben
es, wie es ist. Ganz ohne Schubladen, ohne die Frage nach alt oder
neu. Das wird zeitlos.
Zimmermann: Diese Unmittelbarkeit überträgt
sich dann auch – hoffentlich – aufs Publikum.
nmz: Das haben Sie ja selbst miterlebt.
Zimmermann: Davon zehre ich heute noch! In jedem
Orchester in Deutschland, zu dem ich als Solistin komme, kenne ich
jemand aus der BJO-Zeit.
nmz: Sie haben jetzt ein eigenes Quartett gegründet,
das Arcanto-Quartett. Was war dafür die Triebfeder?
Zimmermann: Es war eine Entwicklung über
Jahre. Schon von Kinderzeit an habe ich mit meinen beiden Schwestern
Streichtrio gespielt. Das war eine phantastische Schulung: für
das Gehör, für das Gefühl des Miteinander. Auch später
habe ich natürlich viel Kammermusik gemacht. Doch ich begann
festzustellen, dass meine Vorstellungen von Kammermusik für
mich nur selten ganz zu befriedigen waren.
nmz: Lag das an den Partnern?
Zimmermann: Man erlebt manchmal Hierarchien.
Kammermusik muss für mich aus dem inneren Bedürfnis entstehen,
sich mit Menschen so zu verschränken, dass jeder seine Seele
öffnet und man gemeinsam ausdrückt, was in den Noten steht.
Die Gründung des Quartetts hing dann mit dem Tod meines ersten
Mannes David Shallon zusammen. Das war auf einer Japan-Tournee,
wo auch die Kammermusikfreunde Antje Weithaas und Jean-Guihen Queyras
dabei waren. Am ersten Todestag habe ich diese beiden Freunde eingeladen
und ich sagte, ich möchte an diesem Tag nur Streichquartett
spielen. Wir haben einen riesigen Stapel Quartette gelesen. Da stellten
wir fest, dass es das ist, was wir machen sollten. Da entstand die
Zelle zum Quartett. Wir suchten noch den vierten Mann. Da war ein
Geiger, den ich schon aus dem BJO kannte, Daniel Sepec. Auch Queyras
kannte ihn schon. So ist dieser Traum verwirklicht worden. Ab 2002
haben wir zusammengearbeitet, im Jahr 2004 war der erste Auftritt.
nmz: Also Kammermusik als Dialog? Es gibt ja,
pauschal gesagt, zwei Konzeptionen: der Primarius gibt die Richtung
vor …
Zimmermann: …das passt nicht immer zu den
Partituren …
nmz: Nun, eine gewisse Homogenität mag dadurch
entstehen.
Zimmermann: Das ist aber nicht unsere Vorstellung.
Ich sage es einmal so: Wir versuchen absolut zu einer Idee und Vorstellung
zu gelangen, aber im Ausdruck ist jeder ganz frei. Wir spielen mit
sehr individuellem Klang, aber es stellt sich eine innere Verschränkung
her. Wir arbeiten hier sehr im Detail: was Klangfarben betrifft
oder den Obertonreichtum durch die Intonation.
nmz: Darüber wird debattiert.
Zimmermann: Ganz intensiv! Wir tauschen uns aus,
probieren Vorschläge. Dadurch entsteht die innere Vorstellung
vom Stück, die gemeinsam verwirklicht wird, wobei sich jeder
im Spiel Freiheiten nehmen kann. Es ist jeden Abend ein bisschen
anders. Es muss immer ein lebendiger Austausch bleiben, keine Routine.
Das hält uns frisch.
nmz: Also keine Quasi-Idealform, die jeden Abend
auf die Bühne gebracht wird, wie wir es von manchen großen
Quartetten kennen?
Zimmermann: Das macht einen irgendwie müde
und erfüllt einen nicht wirklich. Man kann von der Bühne
gehen und sagen, ich habe zwei Stunden schwer gearbeitet. Oder ich
gehe von der Bühne und sage, ich bin glücklich, dass ich
mit euch diese Musik spielen durfte, was etwas ganz anderes ist.
Das hält mich wach und stark.