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nmz 2006/04 | Seite 37
55. Jahrgang | April
Repertoire

Geistliche Musik von Renaissance bis Wiener Klassik

Neue CDs mit Stücken von Dufay, Monteverdi, Carissima, Knüpfer, de Salazar, Biber, Buxtehude und anderen

Dem zentralen Komponisten an der Wende vom Spätmittelalter zur Renaissance widmet sich das italienische Ensemble Cantica Symphonia: In einem wunderschönen, in der Präsentation Alter Musik neue Wege beschreitenden Design und mit einem Booklet, welches die mathematisch-numerologischen Hintergründe dieser Musik beleuchtet, bekommen wir im ersten Teil der Einspielung der Motetten von Guillaume Dufay (ca. 1397–1474) ein abendfüllendes Programm von 15 Werken unterschiedlicher Besetzungsstärke geboten: Nicht nur die Anzahl der Stimmen (zwischen zwei und acht), auch die Form der Begleitung wechselt; zuweilen werden, wie damals üblich, auch alle Stimmen instrumental ausgeführt – in jedem Falle viel Gelegenheit zu kammermusikalischer Feinarbeit.

Die geistlichen Werke Monteverdis, die die zweite und dritte Folge von Robert Kings Gesamtschau versammelt, entstammen überwiegend der posthumen Publikation „Messa a quattro voci e salmi“ von 1650; die bekannteren Stücke in Folge 3 wurden mit Monteverdis Billigung zuerst in den „Selva morale e spirituale“ von 1640/1641 veröffentlicht. Wie zu erwarten, gehören die meisten – ähnlich den frühen Madrigalen – einem allmählich veraltenden, streng polyphonen Kirchenstil an, während erste Motetten an den monodischen, continuobegleiteten Stil der frühen Oper angelehnt sind: Noch bis in die Wiener Klassik differenzierte der Komponist im Einsatz seiner Mittel nicht zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre; die Bestimmung der Musik war nur an den durchweg lateinischen Texten erkennbar. Im Falle Monteverdis, dessen Bühnenschaffen größtenteils verloren ging, ist der umfangreich überlieferte Bestand an gedruckten Madrigalbüchern und geistlichen Stücken von unschätzbarem Wert – was einmal mehr für diese Initiative des King’s Consort spricht, die viele andernorts nicht greifbare Stücke dem CD-Repertoire erschließt – und dies mit durchweg erstrangigen Solisten und in der für die venezianische Mehrchörigkeit mit ihren auskomponierten Echowirkungen idealen SACD-Technik. Die in jeder Hinsicht überwältigende Gloria-Vertonung von 1631 auf Volume 3 bildet auch interpretatorisch den bisherigen Höhepunkt der Reihe. Die Booklets erfreuen unter anderem durch detaillierte, deutschsprachige Einführungen.

Eine besonders frische Realisation frühbarocker Musik kommt aus der Schweiz: Das Label Pan hat 2004 beim Festival „Musiques d’Automne“ fünf so genannte geistliche Historien von Giacomo Carissimi live mitgeschnitten, deren dramatisches Gepräge dem Format des im 17. Jahrhundert allerorts hoch geschätzten Jubilars (400. Geburtstag!) endlich gerecht wird: Der Römer Carissimi, ein früher Meister des Oratoriums, der geistlichen Oper, wird oft zitiert, aber wenig gespielt; solche nicht zuletzt in der Gestaltung des Traueraffektes unvergesslichen Aufführungen wie von Les Paladins (erwähnt sei nur der Bassist Renaud Delaigue) könnten dies ändern. Viersprachiges Beiheft ohne Gesangstexte, aber schön gestaltet – wie unsere nächste CD vom französischen Label Alpha.

Darauf beschäftigt sich das Ensemble Pierre Robert bereits zum zweiten Mal mit Henry Du Mont (1610–1684), dem Kollegen Pierre Roberts und direkten Zeitgenossen Carissimis. Drei für die Kapelle Ludwig XIV. bestimmte „Grands motets“ erklingen im Wechsel mit kleineren Orgelstücken; im Zentrum der Aufnahme steht eines von Du Monts Meisterwerken: der zuvor schon von Christophe Rousset eingespielte „Dialogus de anima“, der vielleicht früheste Beitrag zum Genre des Oratoriums, das in Frankreich erst durch Charpentier wirklich Fuß fassen sollte. Die kontrapunktische, alles Überflüssige aussparende Verflechtung der Gesangs- und Instrumentallinien wirkt klassisch ausgewogen. Im deutschen Sprachraum sprechen wir seit Schütz vom – wahlweise auf lateinische oder deutsche Vorlagen komponierten – „Geistlichen Konzert“, aus dem schließlich die Kantate hervorging. An dieser Disziplin, die in der Tat einen freundlichen Wettstreit zwischen vokalen und instrumentalen Abschnitten beinhaltet, beteiligte sich selbstverständlich auch Sebastian Knüpfer, der gute fünfzig Jahre vor Bach als Thomaskantor in Leipzig wirkte. Bereits Knüpfers Kirchenmusiken, von denen das Johann Rosenmüller Ensemble eine Auswahl vorstellt, beruhen auf den jeweiligen Choralmelodien. Zum Repertoire der älteren CD des King’s Consort (Hyperion) gibt es nur eine einzige Überschneidung.

Ein deutlich längeres Leben, in dem er zum Gottesdienst beziehungsweise den Abendmusiken in Lübecks Marienkirche etliche Kantaten beisteuerte, war dem etwa gleichaltrigen Dietrich Buxtehude beschieden, den Bach noch 1705 zu Fuß aufsuchte. Die bisher zwei englischen CDs, die eine stilistisch breit gefächerte, aber stets melodiöse und klangschöne Auswahl daraus vorstellen, gerieten noch eine Spur eleganter und verinnerlichter als bei Knüpfer – kein Wunder bei sängerisch derart perfekten Solisten (darun-ter Emma Kirkby), für die noch nicht einmal die deutsche Sprache ein Hindernis darstellt.

Um einen Rahmen für Bibers knappere, zum Teil mehrchörige Salzbur-ger Kirchenkompositionen zu schaffen, ergänzte Roland Wilson die beiden 32-stimmigen Vertonungen des „Dixit Dominus“ und des „Magnificat“ mit kleineren Stücken aus verschiedenen Quellen zu einer imaginären Marienvesper. Leider trägt die reizvolle Idee nicht über 78 Minuten, weil der interpretatorische Funke nicht überspringt. Trotzdem interessant und für Biber charakteristisch: die auch hier virtuos behandelte Sologeige (Anette Sichelschmidt). Ebenfalls eine fiktive Vesper für die Jungfrau Maria, also eine mit instrumentalen Zwischenspielen aufgelockerte Sammlung von Motetten, gibt es nun von Juan García de Salazar (1639–1710), einem der zentralen spanischen Kirchenkomponisten. Dass hier noch kurze einstimmige Choräle als Antiphonen hinzutreten, verleiht der beeindruckenden Darbietung etwas Archaisierendes, oder besser, Zeitloses.

Wer sich an den geistlichen Musiken Vivaldis delektieren möchte, greife zu Robert Kings kürzlich erschienener 11-CD-Box (Hyperion); wem dies zu viel des Guten auf einmal ist, führe sich die neue CD des spanischen Countertenors Carlos Mena zu Gemüte, der hier gleich drei Solomotetten Vivaldis – „Salve Regina“, „Nisi Dominus“ und das berühmte „Stabat Mater“ – gestaltet: virtuos, stilsicher, anrührend, und auf ebensolchem Niveau sekundiert vom Ricercar Consort.

In die Sphäre hochbarocker Prachtentfaltung gelangen wir mit der offenbar unvollendeten „Missa dei Filii“ von Jan Dismas Zelenka, einem der großen Spätwerke des Komponisten, dem die angehängte Marienlitanei in nichts nachsteht. Die luxuriös besetzte Aufnahme erschien zuerst 1990 bei deutsche harmonia mundi und ist in der Reihe „Splendeurs“ wieder greifbar. Auch Telemanns Vokalschaffen wird erst in jüngerer Zeit angemessen gewürdigt. Dass sich bei seinen Werken Quantität und Qualität nicht ausschließen, belegen die vom Vocalensemble Rastatt in perfekten Wohlklang verwandelten Psalmen und Motetten, die eine Stunde lang konzentrierte Andacht und ungetrübte Freude verbreiten.

Eine Lanze für „heimatliches“ Repertoire bricht einmal mehr der Dresdner Kammerchor: Johann Adolf Hasse (1699–1783), der nach seinem Italienaufenthalt dreißig Jahre in Dresden wirkte, bewegte sich vom Vival-di’schen Vorbild hin zu einer frühklassischen Schreibweise: Mag das „Miserere“ in d noch in barocken Sequenzierungen schwelgen, so könnte das „Lacrimosa“ aus seinem erstmals eingespielten Requiem in Es von 1763/1664 Mozarts Vertonung beeinflusst haben.

Die aktuelle, wiederum nicht genug zu lobende Einspielung von Frieder Bernius’ Kammerchor Stuttgart gilt zunächst dem stiefmütterlich behandelten Osteroratorium Johann Sebastian Bachs, das dieser selbst hoch schätzte. Anschließend erklingt in Ersteinspielung Carl Philipp Emanuels „Danket dem Herrn“, der erste, geistliche Teil der „Dankhymne der Freundschaft“ von 1785, und darin eingeschoben eines der Erfolgsstücke des Bach-Sohnes: das doppelchörige „Heilig“. Die Gelegenheitskomposition des 70-Jährigen lässt keine Ermüdungserscheinungen erkennen und weist in ihrer Modernität auf Haydns späte Oratorien voraus. Ähnlich fortschrittliche Musik erwartet den Hörer auf einer weiteren Diskuspremiere: den nur von Continuo begleiteten Litaneien, Motetten und Psalmen C.Ph.E. Bachs. Gerade die beiden ausgedehnten Litaneien von 1785 bieten Quasi-a-cappella-Klänge voll gewagter, textgezeugter Dissonanzen: eine wichtige, vom Gesualdo Consort vor allem in den dynamischen Abstufungen fulminant gesungene Edition in wunderschöner Aufmachung.

Ausgerechnet die beiden wichtigsten liturgischen Werke Mozarts blieben unvollendet. Schon vom vorigen Jubiläum 1991 datiert Robert D. Levins Ausgabe des Requiems, welche die Süßmayr’schen Ergänzungen wegen ihrer Nähe zum Komponisten respektiert und sich darauf beschränkt, offensichtliche Fehler und Schwächen Süßmayrs auszubügeln, was zu einer insgesamt „gereimteren“ Werkgestalt führt. Die mit ungewohnt zügigen Tempi operierende Aufnahme aus Atlanta stellt diese erneut zur Diskussion. – Von der c-Moll-Messe liegen nur Kyrie und Gloria in auskomponierter, authentischer Gestalt vor, weitere Teile sind unvollständig oder in Abschrift überliefert; bisherige Interpreten begnügten sich mit dem (eigentlich unbrauchbaren) Fragment. Nun erteilte Helmuth Rilling Robert Levin den Auftrag zur Vollendung des Werks. Weil Levin auf zeitnahe Skizzen und Entwürfe Mozarts zurückgegriffen hat und sie mit großem Einfühlungsvermögen ausformulierte, bekommen wir – nicht zuletzt durch die von Rillings Enthusiasmus befeuerte Aufführung – eine Ahnung von der Grandiosität des ursprünglichen Planes, der zu einem jeden liturgischen Rahmen sprengenden Umfang geführt hätte, den erst Beethovens Missa solemnis vierzig Jahre später erreichte. Ich bin zuversichtlich, dass sich diese erstaunlich mozartischen Ergänzungen allgemein durchsetzen werden.

Der Reihe von Haydns späten Messen für Prinz Esterházy schließen sich die fünf Vertonungen Hummels zeitlich und stilistisch nahtlos an. Wie das hier gleichfalls vorgestellte Te Deum trägt die Missa solemnis in C (seine vorletzte) das Vollendungsdatum 1806. Ihre arg verspätete, neuseeländische (!) Katalogpremiere liefert ein feuriges Plädoyer für eines der wahrhaft inspirierten Werke des Genres.

Mátyás Kiss

Diskographie

  • Guillaume Dufay: Quadrivium: Motetten Vol. 1. Cantica Symphonia, Ltg.: Giuseppe Maletto. Glossa/Note 1 GCD P31901
  • Claudio Monteverdi: Geistliche Musik Vol. 2: Messa à 4 voci, Letaniae della Beata Vergine, Psalmen. versch. Solisten, The King’s Consort; Ltg.: Robert King. Hyperion/Codaex SACDA67438
  • Geistliche Musik, Vol. 3: Gloria in excelsis Deo, Dixit Dominus II, Nisi Dominus I etc; Interpreten s.o. Hyperion SACDA67487
  • Giacomo Carissimi: Histoires sacrées. Les Paladins, Ltg.: Jérôme Correas. Pan Classics/Note 1 PC 10182
  • Henry Du Mont: Grands motets pour la Chapelle de Louis XIV au Louvre; Ensemble Pierre Robert, Ltg.: Frédéric Desenclos. Alpha/Note 1 CD 069
  • Sebastian Knüpfer: Geistliche Konzerte; Johann Rosenmüller Ensemble, Ltg.: Arno Paduch. Christophorus/Note 1 CD CHR 77276
  • Dietrich Buxtehude: Geistliche Kantaten; Kirkby, LeBlanc, Harvey, The Purcell Quartet. Chandos Chaconne/Codaex CHAN 0691
  • ders.: Geistliche Kantaten Vol. 2; Kirkby, Chance, Daniels, Harvey, The Purcell Quartet. CHAN 0723
  • Heinrich Ignaz Franz Biber: Vespro della Beata Vergine. La Capella Ducale, Musica Fiata, Ltg.: Roland Wilson. Sony BMG 82876709322
  • Juan García de Salazar: Complete Vespers of Our Lady; Capilla Peñaflorida, Ministriles de Marsias, Ltg.: Josep Cabré. Naxos 8.555907
  • Antonio Vivaldi: Salve Regina RV 616, Stabat Mater RV 621, Nisi Dominus RV 608;
  • Carlos Mena, Countertenor; Ricercar Ensemble, Ltg.: Pierre Perlot. Mirare/harmonia mundi MIR 9968
  • Jan Dismas Zelenka: Missa Dei Filii ZWV 20, Litaniae lauretanae ZWV 152; Argenta, Chance, Prégardien, Jones; Tafelmusik, Ltg.: Jean Lamon; Kammerchor Stuttgart, Ltg.:Frieder Bernius. DHM/Sony BMG 82876 601592
  • Georg Philipp Telemann: Ein feste Burg – Vokal- und Instrumentalmusik; Solisten, Vokalensemble Rastatt, Les Favorites, Ltg.: Holger Speck. Carus/Note 1 83.166
  • Johann Adolf Hasse: Requiem Es-Dur, Miserere d-moll; Solisten, Dresdner Kammerchor & Barockorchester; Ltg.: Hans-Christoph Rademann. Carus 83.175
  • J.S. Bach: Osteroratorium BWV 249; C.Ph.E. Bach: Heilig WQ 217, Danket dem Herrn; Solisten, Kammerchor & Barockorchester Stuttgart, Ltg.: Frieder Bernius. Carus 83.212
  • C.Ph.E. Bach: Litaneien Wq 204; Motetten und Psalmen Wq 205, 206 & 208; Gesualdo Consort Amsterdam; Ltg.: Harry van der Kamp. Sony BMG 82876 705432 (2 CDs)
  • Wolfgang Amadé Mozart: Requiem KV 626 (ed. Robert D. Levin); Brewer, Donose, Tessier, Owens; Atlanta Symphony Orchestra & Chamber Chorus; Ltg.: Donald Runnicles. Telarc/In-akustik CD-80636
  • ders.: Messe c-moll KV 417a (vollendet von Robert D. Levin); Damrau, Banse, Odinius, Marquardt; Gächinger Kantorei & Bach-Kollegium Stuttgart; Ltg.: Helmuth Rilling. Hänssler/Naxos CD 98.227
  • Johann Nepomuk Hummel: Te Deum, Missa solemnis in C; Solisten, Tower Voices New Zealand; New Zealand Symphony Orchestra; Ltg.: Uwe Grodd. Naxos 8.557193

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