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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 39
55. Jahrgang | April
Rezensionen
Kurz vorgestellt
Hits&Clips
Flipsyde: „Happy Birthday“
Es gibt sie noch, die jungen HipHop-Crews, die sich nicht mit
üblichem Gangster-Kram profilieren wollen. Das Oaklander Trio
Flipsyde zeigt einen anderen, sprich: politisch-gesellschaftlichen
Anspruch. Und weil ihr PR-Boss der mächtige HipHop-Impressario
Jimmy Iovine ist, findet sich plötzlich ein Song über
eine Abtreibung in den Charts. Texter und Rapper The Piper thematisiert
in erster Linie das Schuldgefühl eines Vaters: „Ich habe
für den Mord bezahlt, bevor sie das Geschlecht feststellen
konnten“, und streift mehr als einmal die Grenze zum konservativen
Emo-Kitsch.
Der wird mit allen Mitteln unterstrichen; mit dem unschuldigen
Pianomotiv, mit dem durch digitalen Streicher-Hall vorbereiteten
Refrain, in dem per Sample die Stimmen der T.a.t.U.-Mädchen
aufschluchzen, und mit dem Video, das den einsamen Piper mit Bildern
aus dem kollektiven „Meine lieben Kinder“-Gedächtnis
verschneidet. Doch im zweiten Akt fällt eben auch die Zeile
„Ich werde niemals einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper
machen soll. Aber wenn sie keine Kinder mag, wird es nichts.“
Damit ist immerhin klar, dass es hier um eine Einzelmeinung geht
und nicht um eine unterschwellige Aktion des reaktionären Amerikas.
Oomph!: „Gott ist ein Popstar“
Da sind ja mal die Richtigen aufeinander geprallt. Weil gegen
die stabile Einfalt und Bigotterie der Superstar-Casting-Shows letztlich
kein kluger, differenzierter Gedanke von außen hilft, ist
eine wenigstens kurzzeitige Erschütterung nur durch schlichte,
möglichst offene Provokation innerhalb des me-diokren Popwesens
zu erreichen. Und die Wolfsburger Hauruck-Kapelle Oomph! hatte gerade
diesen passenden Song zur Hand, um in alberner, aber effektiver
Gothic-Industrial-Pop-Manier (Stampfbeat, Heavy-Gitarren, Groll-Gesang)
den Vergleich von Jesusanbetung und Popstarvergötterung aus
der Mottenkiste zu holen. Das Video findet dazu gar, parallel zur
naiv-mephistophelischen Selbstinszenierung der Band, ein paar knackige
Bilder aus der Marketingszenerie inklusive Fans-sind-Schafe-Vergleich,
und schon macht sich der entsprechende TV-Sender lächerlich,
indem er Oomph! von der Ramsch-Gala „Echo“ auslädt.
Die offensichtlich scheinheilige Begründung, Religionsverunglimpfung
vermeiden zu wollen, lässt ausgerechnet diese Band am Ende
gut dastehen.