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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 44
55. Jahrgang | April
Noten
Visitenkarte für Amsterdam
Wiederentdeckter „Parallelmeister“ Johann Wilhelm
Wilms
Johann Wilhelm Wilms (1772–1847): Werke für
Klavier solo, Bd. 1, Denkmäler Rheinischer Musik,
Dohr, Köln (2005), Hrg.: Oliver Drechsel, mit beigefügter
CD: am Hammerflügel Oliver Drechsel
Sonate B-dur op. 13, 1793 (CD), Ariette „Einmal in meinem
achten Jahr“ de l’opera „Oberon“ par M.
Wranitzky, 1797 (CD), Variations sur le Chanson bachique „Lasset
die feurigen Bomben“ op. 20, Ariette („Hopp Marianchen“).
Variée pour le Piano Forte op. 11, Romance de Cendrillon.
„Je suis modeste et soumise“, nach 1810 (CD). Variée
pour le Piano Forte op. 28, „Nel cor più non mi sento“.
Varié pour le Piano Forte op. 50, 1789 (CD) „Wilhelmus
van Nassauwe“. Varié pur Piano Forte op. 38, Variations
sur l’air „Unser alter Staatsverwalter“ pour Piano
Forte op. 34, Ariette „Seit ich so viele Weiber sah“
de l’opera „Der Spiegel von Arcadien“ avec Variations
pour le Clavecin ou Pianoforte, ca. 1800 (CD), Air Tirolien Varié
pour le Piano Forte, Six Sonatines très faciles pour le Piano
Forte op. 16
Unlängst verblüffte die Erstaufnahme der späten
Sinfonien Nr. 6 und 7 von Johann Wilhelm Wilms die musikalische
Fachwelt. Der rheinländische, in Amsterdam zu Ruhm und Ehre
gekommene Komponist konnte als überraschend vitaler Sinfoniker
ausgemacht werden.
Eine Neubewertung von Wilms als eigenständiger „Parallelmeister“
der Zeit zwischen Klassik und Romantik bietet sich jetzt an, wenn
sein Gesamtwerk mit Klavier- und Kammermusik, Klavier- und Flötenkonzerten,
Orchesterliedern und Sinfonien neu veröffentlicht wird und
den Weg in den Konzertsaal finden sollte.
Die Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte und
der Verlag Dohr, die sich um die Herausgabe der Werke von Wilms
kümmern, legen nun mit einer revidierten, voll informativen
Neuausgabe den 1. Teil der Solo-Klavierwerke vor, die alle –
wie die gesamte Klaviermusik – aus der frühen Schaffenszeit
stammen, mit Stücken für den virtuosen Konzertpianisten,
den versierten Amateurpianisten und den kurzweiligen Unterricht.
Die einzige Solo-Sonate diente dem Virtuosen Wilms als Visitenkarte
für das Amsterdamer Musikleben. Mo-zart’sche Sphäre
schimmert durch das knapp halbstündige, viersätzige Werk,
in dem sich Wilms begreiflicherweise noch nicht auf der Höhe
seines späteren Könnens zeigt.
Die Sonate gibt sich thematisch schlicht, stark in der satztechnischen
Ausgestaltung, wirkt jedoch durchaus eigenständig, virtuos
und klanglich apart, besonders eindrucksvoll im langsamen Satz.
Die verschiedenen Variationenwerke über bekannte zeitgenössische
Themen zeugen vom glänzenden Improvisator Wilms, der –
wie die meisten seiner Kollegen – die gefragten „Hits“
der damaligen Zeit vor Publikum in aufwendiger Ausführung präsentierte
und auf Wunsch der Verleger kompositorisch ausarbeitete. Wilms ist
charmant und witzig, er braucht hier keinen Vergleich zu scheuen,
auch nicht mit Beethoven bei „Nel cor più non mi sento“.
Manche Variationen eignen sich mit ihren wechselnden technischen
Aufgaben und Schwierigkeiten gut für den Unterricht, für
den auch die leichten, hübschen Sonatinen bestimmt sind.
Der Herausgeber Oliver Drechsel spielt auf einer beigefügten
CD eine Auswahl der Werke auf einem Hammerflügel Christian
Erdmann Rancke (circa 1825) mit virtuosem Zugriff und klanglicher
Raffinesse.
Der zweite Band kommt Mitte 2006. Die CD, die Sonate, die Variationen
und Sonatinen sind separat erhältlich. Die 7. Sinfonie liegt
vor. Streichquartette und Klavierquartette folgen. Man darf gespannt
sein.