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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 48
55. Jahrgang | April
Wortlaut
Wortlaut
Stirbt der deutsche Musikalienhandel?
Auszüge aus einer Presseerklärung von Hans-Wolfgang
Riedel, Musikalienhandlung Hans Riedel GmbH
Die musikalienhandlungsfreien Zonen in Deutschland werden immer
größer. In den letzten 20 Jahren haben sich die Kosten
im Musikalienhandel verdreifacht, die gebundenen Endverkaufspreise
für Klassik-Noten aus deutscher Produktion nur verdoppelt.
Viele Kollegen konnten diesen Kostendruck nicht auffangen und mussten
aufgeben, weitere werden folgen.
International gesehen ist Deutschland inzwischen ein Noten-Billig-Land
geworden. Die US-Preise für Noten aus Deutschland liegen um
zirka 50 Prozent höher als in Deutschland.
Seit über 20 Jahren stehen die Forderungen, für uns
Musikalienhändler auskömmliche Preise festzusetzen.
Denn wer den Ladenpreis bindet, übernimmt damit gleichzeitig
die Fürsorgepflicht für das Sortiment. Wir Sortimenter
können dem Druck zwischen den Mühlsteinen nicht mehr standhalten.
Bald sind auch die Letzten von uns zermahlen.
Ist es die Erfüllung der Fürsorgepflicht,
wenn bei der damaligen Umrechnung von DM zu Euro die Preise
für Noten zum Teil gesenkt wurden?
dass teilweise Skonti gestrichen und Partiebezug nicht mehr
möglich ist?
wenn aus Konkurrenzgründen der Verlag B. seine Preise
für gleichartige Produkte, die auch im Verlag C. erscheinen,
senkt? Wobei der Verlag B. offensichtlich die Qualität seines
eigenen Produktes so niedrig einschätzt, dass der vorherige
etwas höhere Preis durch Qualität gerechtfertigt wäre.
Und das alles bei deutlich gestiegenen Anforderungen der Kundschaft
an das Sortiment.
Als vor einigen Jahren der Musikverlag P. die Notwendigkeit zu
Preiserhöhungen endlich erkannte und seine Preise kräftig
erhöhte, zogen seine Kollegen-Verlage nicht mit, im Gegenteil:
Sie sahen darin einen Vorteil für sich. Der Verlag P. musste
seine Preiserhöhungen zum Teil rückgängig machen.
Weiterhin nicht einzusehen ist, weshalb immer mehr Musik-Bücher
und Noten zu „wissenschaftlichen“ Ausgaben erklärt
werden und somit mit äußerst niedrigen Rabatten an das
Sortiment abgegeben werden. Ebenso werden moderne (urheberrechtlich
geschützte) Musiknoten auch mit verminderten Rabatten in Rechnung
gestellt, obwohl es schwieriger ist, moderne Musik im Vergleich
zu den Klassikern zu verkaufen.
Zur Profitmaximierung trägt auch bei, dass manches bisher
käufliche Noten-Material nicht mehr nachgedruckt wird. Es wird
umgewandelt in Leih-(Miet-)Material, bei dessen Auslieferung das
Sortiment mit einer unglaublichen Provision von zehn Prozent bedacht
wird.
Auch als einige Verlage Orchestermaterial-Stimmen nur noch satzweise
anboten, waren diese nicht bereit, bei Sortimentern in Einzelstimmen
liegendes Material zurückzunehmen. Bei uns liegt somit totes
Kapital in Höhe von mehreren tausend Euro fast unverkäuflich
fest gebunden.
Da immer mehr Verlage ihre Kataloge ins Internet stellen und einen
Shop unter eigenem oder anderem Namen diesem Katalog angeschlossen
haben, machen sie ihren Kunden – dem Sortiment – nunmehr
auch direkt Konkurrenz, ja, sie gehen noch weiter, indem sie Teile
ihrer Produktion direkt abladbar – gegen Entgelt – dem
Musiker zur Verfügung stellen.
Unter dem Deckmantel „Urtext“-Ausgaben (nicht geschützte
Bezeichnung) als dringende Notwendigkeit auf den Markt bringen zu
müssen – jede neue Ausgabe ist urtextiger als die davor
– machen Musikverlage sich untereinander immer mehr Konkurrenz.
Der Bedarf an einem bestimmten Werk wächst eben nicht mit der
Anzahl der am Lager zu haltenden Ausgaben. Noten sind nun einmal
ein langlebiges Wirtschaftsgut, aus ihnen kann man auch noch nach
100 Jahren genauso gut spielen wie damals, wenn man auf musikwissenschaftliche
Feinheiten verzichtet.
Die Frankfurter Musikmesse beschert uns in jedem Jahr tausende
von Neuerscheinungen gedruckter Musik. Falls jemand jedoch glauben
sollte, dass es sich dabei nur um Überraschungen handelt, so
irrt er. Es ist wohl manches dabei, was schon vor vielen Jahren
als Neuerscheinung angezeigt wurde. Das Sortiment jedoch muss diese
Werke, von denen Kunden in Vorankündigungen gelesen haben,
als Vormerkungen führen und seinen Kunden erklären, dass
es selbst nicht schläft, sondern der Verlag nicht liefert.
Wie könnte nun eine Lösung dieser Probleme aussehen?
Kosten können wir nicht mehr senken.
Eine Umsatz-Steigerung ist bei der derzeitigen Wirtschaftslage
ausgeschlossen.
Bessere Konditionen vonseiten der Verlage werden uns verweigert.
Angemessene Erhöhungen der gebundenen Ladenpreise werden
schon seit 20 Jahren nicht vorgenommen.
Müssen wir uns erst an Brüssel wenden, um die Ladenpreisbindung
für Musiknoten aufheben zu lassen, damit wir überleben
können?
Wir werden das Jahr 2006 abwarten, ob die deutschen Musikverlage
ihrer Pflicht nachkommen werden, die ihnen durch das Preisbindungsgesetz
auferlegt wurde.