Ein Musicus doctus, der Totalität der Künste verpflichtet
Der 70. Geburtstag, ein Konzert und eine Uraufführung des
Komponisten Friedhelm Döhl
Ein Geburtstagswunsch geht hinauf in die alte Hansestadt Lübeck,
und er gilt Friedhelm Döhl, der am 7. Juli seinen 70. Geburtstag
feiert. Man hat ihn dort, wo er vor einem Vierteljahrhundert nach
langen Wanderjahren sein Lebenszentrum gefunden hat, schon im Voraus
geehrt – in der Musik-und Kongresshalle, aus deren gläsernen
schräg-schicken Fronten man über die Trave hinwegschaut
auf die von Jahrhunderten angewitterten Fassaden der Kaufmannskontore
und Warenlager unter den berühmten backsteingotischen Türmen
– eine Silhouette, einladend und abweisend zugleich.
Friedhelm
Döhl. Foto: Benjamin Grütter
So mag Döhl Thomas Manns Stadt empfunden haben, als er 1982
einem Ruf an die Musikhochschule Lübeck als Professor für
Komposition folgte. Er kam in ein Gemeinwesen mit einer überaus
reichen und aktiven musikalischen Tradition, die den Anschluss an
die Gegenwart mühsam und halbherzig zu finden suchte. Das hat
sich, nicht zuletzt dank Friedhelm Döhl, inzwischen doch sehr
geändert.
Er gründete unter anderem das Forum junger Komponisten, die
Werkstatt Neue Musik und positionierte, auch in seiner Tätigkeit
als Rektor, die Musikhochschule lokal, regional, national und in
einigen Bereichen auch international deutlicher im Fokus, wobei
ihm sein großes Renommee aus den früheren Tätigkeiten
in Freiburg, Berlin und Basel sowie als Präsident der Deutschen
Sektion der IGNM, unter anderem mit der Gründung des Ensemble
modern, hilfreich gewesen sein mag.
So erfolgreich Döhl als rhetorisch geschliffener Pädagoge,
beredter Kulturpolitiker und nimmermüder Organisator gewesen
ist, er ist natürlich vor allem Komponist. Seinen hohen stetigen
und bleibenden Rang hat er sich geschaffen mit einem Oeuvre, das
ganz der Zeit aber nicht unbedingt dem Zeitgeist verhaftet, in der
Zahl überschaubar bleibt, sich aber alle Gattungen erobert
hat, von der Kammermusik bis zur Oper, von Chorwerken bis zu Raumkompositionen.
In vorderster Linie aber stehen seine Orchesterstücke. Eigentlich
habe er, so gesteht er heute, mit seiner siebensätzigen Symphonie
von 1998 sein orchestrales Werk abschließen wollen, aber er
habe sich dann doch entschlossen, für die von Roman Brogli-Sacher
und den Lübecker Philharmonikern geplanten Geburtstagskonzerte
eine neue Komposition zu schreiben.
Diese Uraufführung stand neben seinem nervös-zerrissenen,
sich immer neu aufbäumenden und sammelnden symphonischen Cellokonzert
von 1981, dessen Solopart wie schon einst bei der Uraufführung
in Saarbrücken unter Hans Zender wieder Heinrich Schiff mit
ruhig-überlegener Souveränität spielte.
Der 70-jährige Döhl ist ein musicus doctus, hochgebildet,
verpflichtet der Totalität der Künste, ganz zu Hause auch
in Malerei und Literatur, die ihn immer wieder für seine Werke
inspiriert und geleitet haben, vollends zu Hause auch im Fundus
der musikalischen Tradition, aus dem heraus er in die Sprache der
heutigen musikalischen Welt vorstößt und sich seine Stimmen
und Stimmungen neu erschafft.
Besonders die Gestalt und die Musik Robert Schumanns hat Döhl
lebenslang begleitet, und in einem bewegenden „Brief an Schumann“
bekennt er sich jetzt zu seiner Wesensverwandtschaft, die prägend
für ihn als Musiker wurde. „Gesang der Frühe“
nennt er, einen Schumann-Titel paraphrasierend, sein neues spätes
Werk, eine 20-minütige Fantasie für großes Orchester,
die mit Schumann vordergründig wenig zu tun hat, aber wie ein
Echo seiner Empfindungen und Gefährdungen, seines musikalischen
Kosmos aufklingt – eine answered question, um den Ivesnahen
Beginn zu variieren, beantwortet von dem Kraftstrom des Gefühls
der deutschen Romantik. Wie aus der Ferne längst vergangener
Zeiten singt die Solotrompete einleitend ihre Melodie und schafft
den Stimmungsraum für den vordergründig ruhigen, immer
wieder neu sich verdichtenden Atem des ungewöhnlich farbenreichen,
festgeknüpften Poems, in das zwei neoklassizistisch-jazznahe
Episoden hineinhallen: Die Welt von gestern nicht zitatenhaft herbeigeholt,
sondern mit heißem Gefühl und kühlem Verstand in
einer ganz eigenen Sphäre neu geschaffen. Das Konzert mit den
Stücken Döhls, beziehungsreich ergänzt durch Schumanns
Zweite, live ausgestrahlt von Deutschlandradio Kultur, hat auch
mit dem hohen orchestralen Leistungsnachweis den Ruf Lübecks
wieder positiv hinausgetragen; ein Kontrapunkt quasi zu jüngsten
politischen Kraftmeiereien zur Totaldemontage von Kunst und Kultur,
über die auch die nmz berichtet hat. Der Wirtschaftsrat der
CDU hatte die Schließung von Theater, Konzertwesen und Sälen,
von den Museen samt dem Verkauf der Städtischen Sammlungen
gefordert – Hirngespinste, gegen die in der neuen, mit einigen
nicht alltäglichen Projekten aufwartenden Konzertvorschau auch
Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher ungewöhnlich deutliche
Worte findet. Doppelt betroffen ist er, weil er dazu bestimmt ist,
nach dem Ausscheiden des überaus erfolgreich wirkenden Generalintendanten
Marc Adam im Jahre 2007 zusätzlich auch die Leitung der Lübecker
Oper zu übernehmen.
Betroffen ist, in doppelten Sinne, auch der Siebziger Friedhelm
Döhl, dessen hochgewachsene Gestalt mit weißem Haarschopf
und dem markanten Schnauzbart, so oft im Abendhimmel der Musikhalle
vor dem Stadtpanorama Lübecks gestanden hat – immer wieder
gefeiert für zahlreiche Aufführungen seiner Stücke
durch die Lübecker Philharmoniker: auch das schon eine der
vielen schönen Lübecker Traditionen.