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nmz-news
nmz 2006/07 | Seite 4-8
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Nachrichten
Nachrichten aus Musikwirtschaft,
Kulturpolitik und Musikleben
Die neue musikzeitung hat ihre interaktiven Tätigkeiten ausgeweitet.
Mit dem Kulturinformationszentrum
stellen wir die engagierte Diskussion in das Zentrum der Aktivitäten
im Netz. An dieser Stelle können Fragen gestellt, Informationen
verbreitet und die Arbeiten anderer kultureller Initiativen zur
Darstellung gebracht werden.
Nachrichten aus der neuen musikzeitung 2006/07:
Für qualifizierte Radioprogramme
„Das ganze Werk“ jetzt auch in Berlin und Brandenburg
In der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler wurde am 22. Juni
die Initiative „Das ganze Werk“ für die Region
Berlin/Brandenburg gegründet. Ihr Vorbild findet die Initiative
in Norddeutschland, wo engagierte Radio-Hörer unter dem Motto
„Das ganze Werk“ bereits seit zwei Jahren für eine
Qualifizierung des NDR-Kulturprogramms eintreten.
Mit der Neu-Gründung sollen ähnliche Aktivitäten
für den Sender Radio-Brandenburg (rbb) in Gang gesetzt werden.
An der der Gründung vorausgehenden Podiumsdiskussion nahm auch
der Komponist Manfred Trojahn, Präsident des Deutschen Komponistenverbandes,
teil. „Der Sender muss ein abwechslungsreiches, an Qualität
und am Kulturauftrag orientiertes Programm bieten, das zum Zuhören
einlädt“, heißt es in der Gründungsresolution
der Initiative. Erst mit einem solchen Programm könne der Sender
überzeugend der Verpflichtung nachkommen, die Musik durch Kompositionsaufträge
und Produktionen mit neuem Repertoire fortzuentwickeln.
Manfred Trojahn berichtete, dass Komponisten in der GEMA Wertungspunkte
für Sendungen im Radio kaum noch sammeln könnten. „Sie
werden nicht mehr gespielt.“ Ebenso wie Trojahn bemängelten
auch Rechtsanwalt Gerhart R. Baum sowie Gisela Nauck, Herausgeberin
der Zeitschrift „Positionen“, dass die Redaktionen der
Neuen E-Musik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit wesentlich
gekürzten Sendeplätzen und Etats kämpfen müssen.
Deutsch-Polnische-Musikbörse
Bernd Neumann und Slawomir Tryc eröffnen Internetportal
Mit einem bedeutungsschweren Druck auf einen roten Knopf öffneten
der Kulturattachée der polnischen Botschaft Slawomir Tryc
und der Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann
im Berliner Bundeskanzleramt das Internetportal der Deutsch-Polnischen-Musikbörse.
Fünf Jahre haben der Deutsche Musikrat und polnische Musikorganisationen
im Zeichen der kulturellen Verständigung auf dieses Projekt
hingearbeitet, haben zum Beispiel beim Warschauer Herbst und bei
den Darmstädter Ferienkursen Austausch und gemeinsames Arbeiten
in die Wege geleitet; dann, vor knapp zwei Jahren wurde die Idee
entwickelt, die Kontakte vor allem an der Basis auf eine solidere
Grundlage zu stellen. So kann man sich nun (über www.deutsch-polnische-musikboerse.de
oder auf Polnisch über www.polsko-niemiecka-gielda-muzyczna.pl)
über Aktivitäten im Nachbarland informieren und gemeinsame
Projekte, Besucheraustausch, Teilnahme an Wettbewerben etc. vorantreiben.
Europäische Einigung, das war auch der Tenor aller Redebeiträge,
kann nur gedeihen, wenn die Barrieren zwischen den Ländern
vor allem auf der breiten Basis abgetragen werden. In diesem Sinne
versteht man die Deutsch-Polnische-Musikbörse (es ist die erste
solide musikinformelle Brücke zwischen EU-Ländern) auch
als Modell. Dominoartig wäre es auszubauen bis ein weit verzweigtes
Netz geschlossen ist. Die Zweisprachigkeit des Portals soll noch,
gewissermaßen als gemeinsamer Anker, durch Englisch erweitert
werden. „Die kleinen Schritte sind oft wichtiger als große
politische Projekte, die dann oft nicht gelingen“, meinte
Neumann. Da wollte ihm niemand widersprechen.
Reinhard Schulz
Komponisten-Positionen 2006
Anlässlich seiner Mitgliederversammlung am 26. Juni 2006 in
Berlin hat der Deutsche Komponistenverband (DKV) sein „Positionspapier
2006“ verabschiedet. Der Verband weist in dem Papier auf die
kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der Musik-urheber aller
Sparten hin und setzt sich mit seinen Forderungen an die Politik
ebenso wie an die Medien für die Interessen der Komponisten
ein. Im Einzelnen beschäftigt sich das Papier mit der sozialen
Situation der Urheber, mit der Musikalischen Bildung in Deutschland
und mit den Medien. Der DKV fordert die Bundesregierung auf, die
UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt glaubhaft umzusetzen.
Gleichzeitig ruft der Verband die öffentlich-rechtlichen Medien
auf, den Anspruch der Konvention in seinen Programmen darzustellen
und ein umfängliches musikalisches Repertoire zu senden, eingeschlossen
die Werke lebender Komponisten. Der DKV wendet sich mit seinem Positionspapier
gegen eine Rundfunkpolitik des Abbaues anspruchsvoller Programminhalte.
Im Zusammenhang mit der alarmierenden sozialen Situation vieler
Musikurheber richtet der DKV seine Bemühungen darauf, dass
Novellierungen des Urheberrechts in Deutschland und Europa im Interesse
der Urheber und nicht zu Gunsten der Verwerter von Musik beschlossen
werden. Im Sinne eines „barrierefreien Zugangs zu jeder Art
von Musik“ setzt sich der DKV dafür ein, die musikalische
Bildung in den allgemein bildenden Schulen stärker zu verankern,
und fordert ein starkes Engagement der Länder für alle
Bereiche der musikalischen Bildung und Ausbildung. Der Deutsche
Komponistenverband wird sich im Rahmen seiner internationalen Aktivitäten
für die Gründung eines europäischen Komponistenverbandes
einsetzen, der Komponisten aller Sparten und Richtungen vertritt.
Nur die gemeinsam vorgetragenen Forderungen und Argumente könnten
die Interessen der Musikurheber in einer primär wirtschaftlich
bestimmten europäischen Politik durchsetzen.
Musiker von Outlandish setzen Zeichen
Die SchoolTour an der Berliner Rütli-Schule
Deutschlands schlimmste Schule? Wohl selten wurden Boulevard-Horrorbilder
so schnell entlarvt wie hier. „Die SchoolTour zieht seit Jahren
durch die Rütli-Schulen dieser Republik, dort leben keine Monster,
sondern Menschen, und die benötigen Hilfe und Anregungen“,
meint Projektleiter Jürgen Stark. In der Tat: Was die Projektwoche
der Deutschen Phono-Akademie vom 26. bis 30. Juni 2006 in Neukölln
in nur einer Woche vollbrachte, grenzt an ein kleines Wunder (nachhörbar
und -ehbar auf dem Sampler „Rütli Action – Bei
uns ist immer was los“). Die aus Dänemark angereisten
Outlandish staunten beim Besuch, rappten und tanzten mit den Kids
(siehe unser Foto) und lobten deren kreative Power. Ein neunköpfiges
Team vermittelt Schülern in kleinen Teams unter anderem Musik-
und Filmproduktion, Breakdance und DJ-Culture, Moderation und Medien
sowie Event Management. Das Erarbeitete wird auf der selbst organisierten
und moderierten Gala am Ende der Woche von den Schülern präsentiert.
Als Coaches reisen zu den jeweiligen SchoolTours Experten Musiker
und Filmemacher, Konzertveranstalter, DJs, Choreographen, Tänzer
und Medienprofis an. Das Motto der Profis: „In jedem Schüler
steckt ein – meist unerkanntes – Talent, dieses sollte
gefördert werden!“ Die Initiative der Deutschen Phono-Akademie,
gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung ins
Leben gerufen, konnte in Berlin erstmals mit stark erweitertem Unterstützerkreis
aufwarten: unter anderem School Jam, Jazz & Rock Schule Freiburg,
Dean Guitars, Estrelle Convention Centre. Ein angeschlossenes Projekt
zur Lehrerfortbildung wird von den Verlagen Schott und ConBrio unterstützt,
sowie von der GEMA und dem Deutschen Musikrat. Für die SchoolTour
in Berlin hatte der Landesmusikrat die Schirmherrschaft übernommen.
Der Meisterkurs der Popmusik
Neue Impulse für die Musikwelt: die PopCamp -Jury kürte
in Berlin fünf Bands
Die fünf Teilnehmer-Bands des diesjährigen „PopCamp
– Meisterkurs für Populäre Musik“ stehen fest:
„Erik & Me“ und „Hotel“ aus Berlin,
„K.ill Y.our D.arling!“ aus Weimar, „Pristine“
aus Bochum und „The Titans“ aus Stuttgart haben das
Rennen gemacht.
Eine Jury aus zwölf Persönlichkeiten der Musik- und Medienbranche
(siehe unser Foto) hatte sich am 10. Juni in dem Berliner Büro
des Deutschen Musikrates zusammengefunden, um die fünf Besten
der Besten auszuwählen. Ihr Ziel ist gleichzeitig das Anliegen
des zum zweiten Mal veranstalteten Meisterkurses für Populäre
Musik: die Förderung von Bands, die der Musikwelt durch Originalität,
Qualität und Innovativität neue Impulse geben können.
Acht Stunden wurden von der Jury Musik gehört, Videos angesehen,
Pressetexte, Lebensläufe und Booklets gelesen. Es wurde darüber
diskutiert, wer das meiste musikalische Potential, die besten technischen
Fähigkeiten und die größten kommerziellen Chancen
hat.
Die Wahl fiel schließlich auf die Berliner Popband „Erik
& Me“. Jurymitglied Diane Weigmann, Musikerin und Songwriterin,
ehemals Lemonbabies, war insbesondere von der Stimme des Leadsängers
und Gitarristen Erik Lautenschläger angetan. Überzeugt
war die Jury auch von der ebenfalls aus Berlin stammenden Band „Hotel“,
die sich selbst als audiovisuelle Band beschreibt. Andreas Borcholte,
Ressortleiter Kultur Spiegel Online, hat an der Band besonders ihre
Inszenierung gereizt. „Für mich führt die Band den
New Wave Gedanken weiter.“ Auch die avantgardistische Jazz-Formation
„K.ill Y.our D.arling!“ aus Weimar fand den Zuspruch
der Jury. Dazu Peter Weniger, Musiker und Künstlerischer Direktor
des Jazz Institut Berlin: „Die Musik von K.Y.D. entspricht
genau meiner Vorstellung von dem, wofür Musik da sein sollte:
der Vermittlung von Gefühlen.“
Überzeugt haben auch die Punk’n Roller Band „Pristine“
aus Bochum. Auf ihrer comicartig gestylten Homepage beschreiben
die vier Musikerinnen ihre Songs als Mixtur aus Garage Rock und
Punk’n’Roll, mit einer guten Portion Indie-Charme und
englischen Texten. Gut vermischt entstehen Songs von ungestümer
Energie. „The Titans“, ein HipHop-Duo aus Stuttgart,
haben die Jury durch ihren Humor und ihre kreativen Produktionen
für sich eingenommen. Die Konkurrenz um die Teilnahme an dem
Meisterkurs war groß gewesen: Über 80 Nominatoren, darunter
Landesmusikräte, Medien und Wettbewerbe hatten 36 Nachwuchsbands
für die Spitzenfördermaßnahme der Projektgesellschaft
des Deutschen Musikrates vorgeschlagen. Udo Dahmen (unten, 4.v.li.),
Vizepräsident des Deutschen Musikrats und künstlerischer
Direktor der Popakademie Baden-Württemberg, zur Jury-Entscheidung:
„Die Auswahl bildet einen wunderbaren Querschnitt von dem,
was aktuell in der Musikszene möglich ist.“ Die Teilnehmer
erwartet nun ein in mehrere Arbeitsphasen gegliedertes Spizenförderprogramm
unter der künstlerischen Leitung von Henning Rümenapp
(2. Reihe, 3.v.li.), ehemaliger Gitarrist der Guano Apes.
GEMA-Mitglieder appellieren an Bundeskanzlerin
Auf der Jahreshauptversammlung in Berlin haben die Mitglieder der
GEMA einstimmig eine Resolution gegen die urheberfeindlichen Regelungen
der geplanten Urheberrechtsnovelle verabschiedet. Vorstandssprecher
Jürgen Becker rief Bundeskanzlerin Merkel dazu auf, die Existenzgrundlage
der Musikautoren nicht zu gefährden und auch künftig in
Deutschland das geistige Eigentum der Kreativen zu schützen.
Besonders die vorgesehene Beschränkung der Vergütungen
für die private Vervielfältigung von künstlerischen
Werken hat nach Berechnungen der Zentralstelle für private
Überspielungsrechte (ZPÜ) katastrophale Auswirkungen.
Allein bei den Vergütungen im Bereich Kopiergeräte (DVD-/CD-Brenner,
Bildaufzeichnungsgeräte) ist ein Rückgang von 58 Prozent
oder 54,3 Mio. Euro zu erwarten. Im Rahmen der Mitgliederversammlung
der GEMA in Berlin wurde der Aufsichtsrat neu gewählt. Für
die kommenden drei Jahre gehören die Komponisten Christian
Bruhn (Aufsichtsratsvorsitzender), Klaus Doldinger, Jörg Evers,
Enjott Schneider, Lothar Voigtländer, Dr. Ralf Weigand, Wolfgang
Rihm (Stellvertreter) und Manfred Schoof (Stellvertreter); die Textdichter
Frank Dostal (Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender), Burkhard
Brozat, Egon Louis Frauenberger, Stefan Waggershausen, Frank Ramond
(Stellvertreter) und Hans-Ulrich Weigel (Stellvertreter) sowie die
Verleger Karl-Heinz Klempnow (Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender),
Rolf Budde, Peter Ende, Prof. Klaus-Michael Karnstedt, Dagmar Sikorski,
Dr. Peter Hanser-Strecker (Stellvertreter) und Gabriele Schulze-Spahr
(Stellvertreter) an.
Kulturelle Vielfalt in Gefahr
Die Jahreskonferenz des Europäischen Musikrates in Malmö
Ende April trafen sich über 100 Vertreter des europäischen
und internationalen Musiklebens zur Jahreskonferenz des Europäischen
Musikrats (EMC) im schwedischen Malmö. Der Schwedische Musikrat
als Gastgeber stellte einen einladenden Rahmen zur Verfügung.
Viele europäische Gesellschaften befinden sich an einem „Turning
Point“, einem Wendepunkt. Migrantenbewegungen und weltpolitische
Veränderungen der letzten Jahre haben die Gesellschaften wesentlich
beeinflusst. Das Ideal eines multikulturellen Miteinanders erweist
sich zunehmend als nicht realisierbar, stattdessen werden Parallelgesellschaften
und mangelnde Integration beklagt. Der Verlust eines klaren Gesellschaftsbildes
führt zu Verunsicherung und zu teilweise drastischen Reaktionen,
auch in jenen europäischen Ländern, die noch zuvor Paradebeispiele
des friedlichen Miteinanders unterschiedlicher Kulturen waren: seien
es der Tod des Regisseurs Theo van Gogh in den Niederlanden, die
Karikaturen in einer dänischen Zeitung, oder auch die Ausschreitungen
in den französischen Banlieues und Hilferufe von deutschen
Lehrern an multiethnischen Schulen. Wie kann ein interkultureller
Dialog, der alle Partner gleichberechtigt einbezieht, intensiviert
werden? Und mit welchen Mitteln können besonders Jugendliche
mit Migrationshintergrund angesprochen und in die Gesellschaft eingebunden
werden? Diese Fragen stellte sich der Europäische Musikrat
in seiner Jahreskonferenz 2006.
Die Projektbeispiele, die von EMC-Mitgliedern präsentiert wurden,
zeig-ten, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund durch Musikprojekte
in die europäische Gesellschaft eingebunden werden können.
Im norwegischen Konzept der Schulkonzerte arbeiten beispielsweise
Musiker für einen Tag gemeinsam mit Schulklassen in sozial
schwachen Gebieten. Die Arbeit resultiert in einem öffentlichen
Konzert, bei dem die Musiker gemeinsam mit der Schulklasse spielerisch
und improvisatorisch ihre Ergebnisse präsentieren. Die Schulkinder
sind dabei gleichzeitig Publikum und Ausführende.
Ein anderes Projekt, „Roots and Routes“, findet in acht
verschiedenen europäischen Städten (Amsterdam, Barcelona,
Budapest, Florenz, Köln, Larissa, Lille und Lissabon) statt
und führt talentierte Jugendlichen mit verschiedensten kulturellen
Wurzeln in Workshops und Masterclasses zusammen und öffnet
ihnen so neue Wege auf Bühnen, in Praktika und Ausbildungen.
Die große Stärke von kulturellen Projekten dieser Art
liegt darin, Gemeinschaft zu kreieren und erlebbar zu machen.