Europäische Erstaufführung von Daniel Catáns
Oper „Florencia en el Amazonas“ in Heidelberg
Mit diesem zweiten Opernwerk des 1949 geborenen Mexikaners Daniel
Catán wird eine Bresche in das weitgehend eurozentristische
Musiktheaterrepertoire geschlagen.
Lateinamerikanisch ist vor allem der Stoff (Libretto: Marcela Fuentes-Berain),
ein Mix verschiedener Elemente moderner lateinamerikanischer Romane,
allen voran des Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez.
Angespielt wird auf die seit der Conquista kursierenden Mythen,
angefangen vom Goldland Eldorado, nach dem der Dampfer heißt,
dessen Deck den ständigen Ort der Bühnenhandlung bildet,
bis hin zu den indianischen Amazonen, die dem Fluss, Reiseroute
der Passagiere, den Namen gaben.
Lokaltypisch auch die Flussgeistbeschwörung: der Amazonas-Geist
erscheint höchstpersönlich in der Personnagerie. In dem
Sieben-Personenstück geht es um Liebesfrust und –sehnsucht,
die die Passagiere an Bord vereint. Das nicht erreichte Reiseziel
ist das berühmte Jugendstil-Urwald-Opernhaus von Manaos, wo
die Operndiva Florencia Grimaldi, inkognito auf dem Schiff, gastieren
will, zugleich aber nach ihrem Jugendgeliebten sucht. Rosalba, die
ein Buch über die Diva schreibt, will ihr im Opernhaus begegnen,
Paula und Alvaro hoffen, mit dem Opernbesuch ihre Ehe zu kitten,
und Kapitän und Bootsmann, letzterer in Rosalba verliebt, manövrieren
die Handlung nicht ohne Kollision durch die Wetter- und Gefühlsstürme.
Dreh- und Angelpunkt ist die existentielle Frage nach Selbstverwirklichung,
in welchem Verhältnis stehen Kunst und Liebe zueinander, wie
inspirieren und wann lähmen sie sich.
Lebenskrise und Liebesversagen machen das Stück zum in Lateinamerika
höchst beliebten Melodram. Viel mehr spezifisch Lateinamerikanisches
erlebt das Publikum allerdings nicht, insofern ist die geschlagene
Bresche nicht allzu tief. Denn die stimmenbetonte Musik verweist
hörbar auf Puccini, französische Oper, stellenweise auf
Strauss und Strawinsky. Überhaupt baut das wenig orchestrale
Werk auf traditionelle Formen wie Arie, Duett und Quartett auf.
Als Teil der weltweiten Neue-Romantik-Bewegung knüpft es damit
auch an lateinamerikanische Hörtraditionen an, besonders
in den drei Frauenstimmen, von Larissa Kro-khina/Florencia, Maraile
Lichdi/Rosalba, Carolyn Frank/Paula vorzüglich umgesetzt. Postmoderne
Tonwelten fehlen ebenso wie lateinamerikanische Klänge,
die weder als Folklore, die der Komponist als Klischee bewusst vermeidet,
noch zur Schilderung der Urwaldgeräusche aus Tier- und Pflanzenwelt
hörbar werden. Nur zu Beginn der Handlung assoziieren Kastagnetten
Klapperschlangen samt sanften Latino-Rhythmen.
Der die Szene umhüllende Urwald-Vorhang mit aufgemaltem Walddickicht
(Szenenbild und Kostüme: Hans Richter) versinnbildlicht die
Enge der auf sich selbst zurückgeworfenen Protagonisten in
gelungenen Kostümen der 20er-Jahre, der Handlungszeit der Geschichte.
Hohe schmale Türen, die Öffnungen in das Unterholzdickicht
sprengen, sollen wohl das unerreichbar verbleibende Opernhaus von
Manaos evozieren.
Kulminationspunkt der Handlung, auch musikalisch mit Bravour vorgetragen
(musikalische Leitung: Tarmo Vaask), wirkungsvoll vom unsichtbaren
Chor unterstützt, ist die Kollision des Dampfers mit entwurzelten
Urwaldriesen, sprich der Moderne mit der Urwelt, der Kultur mit
der Natur. Bei dieser Katastrophe stürzt Alvaro in die Fluten.
Paulas Klagegesang erweckt den ertrunkenen Ehepartner zu neuem Leben
und neuer Liebe, während gleicher Gesang der Operndiva ihren
verschollenen Liebhaber nicht zu ihr zurückrufen kann. Das
erkennend, steigt Florencia in die Fluten des Stromes, (was den
Titel „en“ el Amazonas erklärt und das Melodram
vollendet), ob in den Tod oder in ein imaginäres Leben mit
dem Verschollenen, bleibt offen. In dieser wie in vielen anderen
Szenen überzeugen die Sänger auch mit ihrem Spiel: so
wenn die Eheleute Paula und Alvaro beim Kartenspiel in Streit geraten
oder Rosalba die durcheinandergeblasenen Blätter ihres Buchmanuskripts
zusammenklaubt (Regie: Michael Beyer).
Der offene Schluss ist fürwahr lateinamerikanisch und das
auf deutschen Bühnen selten gesungene Spanisch überraschend
wohlklingend. Der Premierenbeifall entsprach der Leistung von Opernensemble
und Philharmonischem Orchester der Stadt Heidelberg.