Die 14. Pfingstwerkstatt Neue Musik Rheinsberg mit Uraufführungen
von Helmuth Zapf und Hermann Keller
Verglichen mit anderen Festivals zeichnet die Pfingstwerkstatt
Neue Musik in Rheinsberg (künstlerische Leitung: Ulrike Liedtke)
eine Besonderheit aus: Sie kümmert sich um den komponie-renden
und musizierenden Nachwuchs. Was wiederum nicht verwundert, wenn
man weiß, dass der Veranstalter die Musikakademie Rheinsberg
ist, die erste Einrichtung in den Neuen Bundesländern, die
der Deutsche Musikrat 1992 in seinen Arbeitskreis Musikalische Bildungsstätten
aufgenommen hat.
Tanz
um das Goldene Kalb in Rheinsberg: starke Choreografien.
Foto: Musikakademie Rheinsberg
Im Kavalierhaus des malerischen Rheinsberger Schlosses am Grienericksee
und seinem 2000 wiedereröffneten Schlosstheater, rund 100 Kilometer
nördlich von Berlin, finden junge Musiker inzwischen beste
Arbeitsbedingungen vor. Bei der diesjährigen Werkstatt etwa
gaben die drei jungen Cellisten Augustin Maurs, Leonhard Straumer
und Matias de Oliveira Pinto ein beachtliches Cello-Solo-Recital.
Makiko Nishikaze, Stipendiatin des Künstlerinnenprogramms,
stellte ihr hier entstandenes Konzert für Soloklavier „olchald-piano“
vor. Und am Pfingstsonntag Vormittag zeigten Studenten der Kompositionsklassen
von Ernst Helmut Flammer und Lothar Voigtländer an der Dresdener
Musikhochschule mit fünf Uraufführungen, dass sie nicht
nur von ihrem Handwerk bereits einiges verstehen. Interessanterweise
kamen die originellsten Arbeiten von den Frauen: von der Südkoreanerin
Jae Eui Rim mit „Verführung für Klavier“ und
von den Sloweninnen Nina Šenk und vor allem Nana Forte. Die
Musik für Flöte und Violine „Auseinander –
Durcheinander“ der erst 25-Jährigen bezauberte durch
musikantische Virtuosität, Witz und einen schier unerschöpflichen
Einfallsreichtum. Doch die Pfingstwerkstatt ist nicht nur ein Podium
für den Nachwuchs, sondern ebenso für professionelle Ensembles
und Uraufführungen gestandener Komponisten. Eine regelrechte
Entdeckung war das Ensemble „MO ENS. Spezialensemble Neue
Musik Prag“, dessen Interpretationen durch ungewöhnliche
klangliche Sensibilität und zugleich Präsenz beeindruckten.
Überraschend hier besonders die Komposition von Hanuš
BartoÁs (Jg. 1960) Verstreichen der Zeit“ und Miroslav
Pudláks (Jg. 1961) „ökologische Musik“ „OM-Age“,
weil sie zeigten, wieviel mehr an romantischem Geist und Gestus
jüngere tschechische Komponisten wertschätzen als ihre
etwa gleichaltrigen deutschen Kollegen, an diesem Abend Annette
Schlünz, Juliane Klein und Michael Hirsch. Höhepunkte
der diesjährigen Pfingstwerkstatt aber waren zweifellos zwei
Uraufführun-gen zweier Berliner Komponisten: das 2. Klavierkonzert
von Hermann Keller und das Ballett in drei Bildern „Das Goldene
Kalb“ von Helmut Zapf, Ulrike Liedtke (Libretto), Bettina
Owczarek (Choreographie, Bühnenbild: Wiebke Horn), beides Auftragswerke
der Musikakademie. Was hier besonders faszinierte, war, wie sich
diese alttestamentarische Geschichte in eine gegenwärtige verwandelt,
indem sie die Folgen der einseitigen Verehrung des Goldes vorführt.
Erzählt wird sie aus der Perspektive von Moses und Aarons
Schwester Mirjam, die allerdings deutlicher durch alle drei Bilder
hätte geführt werden müssen, um ihre Funktion zu
verstehen. Nichtsdestotrotz überzeugten die drei Teile „Das
Goldene Kalb“, „Chimäre“ und „Pegasus“
durch ausdrucksstarke Klangbilder des Marschierens, der Ekstase,
der Zerstörung und Illusion, deren abstrakten Realismus Bettina
Owczarek in quasi handlungslose Bewegungsbilder transformierte:
Das die Wüste gemeinsam durchquerende, einhellig das Goldene
Kalb anbetende – etwas schwach die Symbolisierung durch einen
Lichtkegel – und sich in seinen Trugbildern verstrickende
Volk endet als arrogante Individualisten. Auf dem Jahrmarkt der
Eitelkeiten zerbricht die Liebe, erstickt das Selbstbewusstsein,
wird Freude sinnlos. Ausgezeichnete Sachwalter der Uraufführung
waren das ensemble mosaik unter Leitung von Arno Waschk und die
Dance Company Bettina Owczarek. Einziger Kritikpunkt: Die Choreographie
erschien mit ihren artistischen und auf Tempo zielenden Elementen
manchmal so überpräsent, dass sie die Musik überlagerte.
Hermann Kellers 2. Klavierkonzert für 18 Instrumentalisten,
präparierten und normalen Flügel faszinierte durch klangliche
Eigenwilligkeit und gestalterische Prägnanz. In unvermittelten
Kontrasten und klar konturierten Gestalten pulsiert das Unabgegoltene
gegenwärtiger Widersprüche: in Klanggesten von größter
Zartheit und Gewalt, Leichtigkeit und Schwere, Entfesselung und
Ruhe. Ausgehend von gleichsam schwerelosen, farbigen Rhythmus-Texturen
am klanglich sehr apart präparierten Flügel – für
Keller historisch altes Material – landet er am „Zivilisationsinstrument
Flügel“, die Klassik fast überspringend, in wilden
improvisatorischen Eskalationen – und schließlich im
„Abgesang“ mit Geräuschen der Zerstörung.
„Klangliche Exzesse“, so sagte er im Gespräch,
„die wir auf andere Weise leider in der Gegenwart erleben“.
Mit dem Ensemble Phonophobie aus Freiburg – auch das eine
interpretatorische Entdeckung – und dem Komponisten an den
Flügeln war unter Leitung von Manuel Nawri eine durchweg gelungene
Uraufführung zu erleben.