In Sommerluft verschwindende Farben in Klänge fassen
Das Saarbrücker Festival „Mouvement.Musik im 21. Jahrhundert“
präsentiert den Komponisten Gerhard Stäbler
Der Saarländische Rundfunk lässt sich nicht unterkriegen.
Klein aber fein, heißt die Devise, und so veranstaltete man
zum 37. Mal in Folge sein Festival für Neue Musik, das im Titel
zwar nicht mehr das 20. Jahrhundert führt, das ist vorbei,
dafür steht das nächste Jahrhundert an der Stelle, ergänzt
um das Wort „Mouvement“. Bewegung ist alles. Während
den Rundfunkkollegen in Stuttgart die Vergabe von Uraufführungsaufträgen
vorerst aus Einspargründen untersagt ist, können die Saarländer
Musik-Funker offensichtlich noch aus dem zumindest Halbvollen schöpfen:
„Mouvement 2006“ präsentierte neben dem composer
in residence Gerhard Stäbler zweiundzwanzig weitere Komponisten
aus rund zwölf Ländern, aus deren Reihen neun Uraufführungen
sowie eine europäische Erstaufführung kamen. Korrekterweise
soll nicht verschwiegen werden, dass der Saarländische Rundfunk
selbst nur vier Aufträge vergeben hat, die anderen wurden gesondert
finanziert. Aber immerhin sind vier Novitäten mehr als gar
keine.
Retrospektive
und neue Werke von Gerhard Stäbler. Foto: Charlotte
Oswald
Die Musiktage hatten auch einen Titel, der sich speziell auf das
Schaffen des Residenz-Komponisten bezog: „Träume. Welten“
hieß er, und man darf das nun keinesfalls im Sinne einer restaurativen
Romantik betrachten. Gerhard Stäblers „Träume“
sind sehr wache Träume, konkrete Utopien von einer besseren
„Welt“, die es zu schaffen heißt, für die
gekämpft werden muss. Stäblers Schaffen, seine Musik also,
hat bis heute nichts von ihrem gesellschaftskritischen Impuls verloren.
Stäbler verkündet dabei keine außermusikalischen
Parolen, seine Musik selbst ist ein ständiger Aufruf zu Reflexion,
zum persönlichen Engagement, zum Widerstand. Wenn andere, jüngere
Komponisten den Schwenk zu einer „neuen Einfachheit“,
zu einer bequemeren Nähe zum Publikum vollzogen, beharrt Gerhard
Stäbler auf der Autonomie des Kunstwerks: Es hat sich nicht
anzudienen, es dient vielmehr dazu, den Hörer zum Nachdenken
zu zwingen, in ihm Widerstandskräfte gegen die allgemeine Verflachung
zu wecken. Eine so gedachte Musik kann nicht bequem, nicht schön,
nicht einfach nur zu konsumieren sein. Ihr Reflexionsniveau ist
hoch und fordert den Hörer auf, sich auf gleiche Höhe
zu begeben.
Zu Stäblers Ästhetik gehört auch das Reflektieren
medialer Errungenschaften, wobei im Hintergrund immer auch ein kritisches
Moment wirksam bleibt, wenn er zum Beispiel in seinem „Internet
1.5“-Projekt für Klavier durch eine Reihe eigener Kompositionen
„surft“. Das „Alles ist verfügbar“
reduziert sich zugleich auf das Fragmentarische. Das sogenannte
„Werk“ ist nicht länger unantastbar. Stäbler
meint, dass dieses „undogmatische Herangehen an Bedingungen
neue Einsichten erschließt“. Aber was für Einsichten?
Das Werk als Zerfalls-objekt? Als Entgrenzung von Form? Einsichtiger
ist dagegen das Stück „Die Nacht sitzt am Tisch“
für Klarinette und Bassklarinette mit Glaskugeln, Blecheimern,
Stimme und Gerüchen. Ein Text von Oswaldo de Camargo, der Gerechtigkeit
und Menschlichkeit fordert, wird in seiner rhythmischen Struktur
gleichsam transformiert in ein komponiertes Morsealphabet. Die Kurz-Lang-Zeichen
verschlüsseln den Text, finden aus Klang und Zeitverlauf einen
eigenen Gestus, in dem man in gewisser Weise einen Kommentar zum
Text erblicken kann. Das klingt sehr komplex und kompliziert, ist
es auch, aber ebenso einfach wirkt die Suggestion, die von dem Stück
ausgeht.
Unmittelbar inspiriert von Brecht ist Stäblers Komposition
„Traum“ für Saxophon, Violoncello und Klavier.
Auch hier wieder die Übersetzung des Textes in Morsezeichen,
eine fließende Rhythmik, bei der wirkungsvolle kompositorische
Gesten ausgespielt werden, ein effektvolles Kontrastieren von Tutti-Akkorden
und individuellen Stimmführungen in den drei Instrumenten:
Analogien zum Thema Masse und Individuum, wovon der Brecht-Text
auch handelt.
Im Schlusskonzert in der Industriekathedrale „Auf der Schmelz“
im benachbarten St. Ingbert kam Gerhard Stäblers neues Werk
für Sopran, Sopransaxophon, Posaune und großes Orchester
zur Uraufführung. Es trägt den poetischen Titel „...und
in diesem Blau eine Ahnung von Grün...“ und basiert auf
einem Gedicht Paul Austers, das von der Unmöglichkeit handelt,
bestimmte Phänomene der Natur in Sprache zu fassen: wenn in
der „Sommerluft“ die Farben Blau und Grün auf unmerkliche
Art ineinanderfallen und verschwinden. Stäbler lässt den
Sopran (grandios: Salome Kammer) das komplette Gedicht rezitieren,
auf eine klanglich höchst sensible Manier, die den Text gleichsam
in der Schwebe hält. Das Verfließen der Farben Blau und
Grün wird in eine differenzierte Klangstruktur überführt,
die Klangfarben changieren unablässig, entfalten sich frei
schwebend, wie zwischen Himmel und Erde. Stäblers Werk ist
insofern auch ein Stück des Erinnerns: Wo befinden wir uns
auf dieser Erde? Sind wir ihrer noch teilhaftig? Neben Salome Kammer
wirkten der Saxophonist Marcus Weiss, der Posaunist Mike Svoboda
und das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken unter Peter
Rundel mit: Eine großartige, hochgespannte, bis in die kleinsten
Details präzis ausgehörte Wiedergabe.
Das Konzert, das noch Werke von Misato Mochizuki („Omega
Project“), Iannis Xenakis („Shaar“ für großes
Streichorchester) und Liza Lim („Flying Banner“, eine
Fanfare für Orchester) brachte, wurde umrahmt von Kunsu Shims
Orchesterversion „in zwei teilen“. Aus einer Sammlung
von 62 einzelnen Stücken, die aus „zwei Klängen
und Stille“ (so der Komponist) bestehen, werden in einem Konzert
jeweils zwei dieser Stücke gespielt, als Prolog und als Epilog.
Die Musiker umstanden in der Halle das in der Mitte sitzende Publikum,
es entstand so etwas wie ein Raumklang, der durch seine Verhaltenheit
und kontemplative Geste beeindruckte. In Saarbrücken besteht
eine enge Zusammenarbeit verschiedener Institutionen, ein musikalisches
Netzwerk sozusagen, durch das die immer beengter werdenden materiellen
Grundlagen der einzelnen Institutionen wenigstens zum Teil konterkariert
werden. So eröffnete auch in diesem Jahr wieder die Hochschule
für Musik Saar den Reigen der insgesamt neun Konzerte mit Werken
von Thorsten Hansen, Claude Lefebvre, Xenakis, Stäbler (eben
das schon erwähnte „Internet 1.5“), Isang Yun,
Eisler, Luca Lombardi, Ives und William Attwood. Nicht ohne innere
Bewegtheit hörte man Lefebvres „L‘homme et la mer“,
sieben kurze Stücke nach Baudelaire-Texten für Orgel,
die Theo Brandmüller eindringlich interpretierte. Claude Lefebvre
hat einst in Metz ein wichtiges Festival Neuer Musik organisiert,
das uneinsichtige Kulturpolitik nach einer langen Erfolgsgeschichte
über Nacht liquidierte.
Lefebvre hat danach in Forbach in kleinerem Rahmen ein neues Festival
gegründet, das eines Tages ebenso ignoranter Lokalpolitik zum
Opfer fiel. Claude Lefebvre ist ein engagierter Komponist und Musiker,
darin Gerhard Stäbler verwandt. Es war gut, beiden Künstlern
bei diesem Festival zu begegnen.