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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 28
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Deutscher
Tonkünstler Verband
Was ist Mozart-Gesang?
Rückblick, heutiges Ideal, kritische Betrachtung und Ausblick
Beginnen wir die Ausführungen über ein Phänomen,
welches in besonderem Maße der Mode im Wandel der Zeiten ausgesetzt
ist, mit einem Zitat des Komponisten selbst: „...die prima
Dona singt gut, aber still, und wenn man sie nicht agiren sehte,
sondern singen nur allein, so meinete man, sie sienge nicht, dan
den mund kan sie nicht eröpfen, sonder winselt alles her, welches
uns aber nichts neües ist, zu hören. la seconda Dona macht
ein ansehen wie ein granadierer, und hat auch eine starcke stime,
und siengt wahrhaftig nicht übel auf...“1
An vielen Stellen des überlieferten Briefwechsels Mozarts
finden sich solche oder ähnliche Sätze, die deutlich machen,
dass der Komponist durchaus kein Freund zu intimen Gesangs war und
auch die Expression und das Feuer (also die Dramatik) in der Darbietung
immer wieder einforderte. Aber bevor wir uns Mozarts Vorstellungen
genauer widmen, sei ein Blick in die heutige Zeit und in frühere
Jahrzehnte erlaubt.
Wie stellt es sich heute dar?
Seit der Hinwendung zum sogenannten Barockgesang unserer Zeit,
mit seiner Vorliebe für sehr schlanke, manchmal sogar dünne
Stimmen und damit verbunden leider häufig auch Ausdruckslosigkeit,
Gefühlsarmut, Sterilität als gesanglichem Ideal, hat auch
der Mozart-Gesang mehr und mehr diese Richtung genommen.
Ein Streifzug durch Rezensionen von Mozart-Opern-Produktionen unserer
Tage macht deutlich, dass guter Mozart-Gesang meistens gleichgesetzt
wird mit kleinen, schlanken Stimmen - wobei das Attribut „schlank“
näher zu hinterfragen und definieren wäre - mit möglichst
keinem oder wenig Vibrato. Kaum hat eine Stimme ein größeres
Format wird ihr meist die Fähigkeit zu kultiviertem Mozart-Gesang
abgesprochen. Vielfarbigkeit und dramatische Ausdruckskraft scheinen
derzeit verpönt, dadurch fehlen aber wichtige theatralische
Mittel, denn mit schlanker Linienführung allein ist keine Bühnenrolle
zum Leben zu erwecken, auch nicht bei Mozart.
Das war nicht immer so. Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts
und teilweise noch bis in die 70er-Jahre hinein wurden große
Stimmen besonders für die heroischeren Mozart-Rollen eingesetzt,
was auf zahlreichen Einspielungen2 belegt ist: Eine Donna Anna oder
eine Königin der Nacht, aber auch Konstanze wurden mit dramatischen
Koloraturstimmen besetzt; eine Contessa, Donna Elvira oder Fiordiligi
war jugendlich-dramatisch und Rollen wie die des Sarastro oder Osmin
wurden wirklich schweren Bassstimmen anvertraut. Die großen
Don Giovannis waren überwiegend Sänger mit vollen, blühenden
„italienischen“ Stimmen.
Durch diese Art der Besetzung war der Kontrast zu den leichten
Stimmen eines Blondchens, einer Susanna oder Despina, oder bei den
Männerrollen eines Figaro, Papageno, Don Ottavio oder Tamino
gewährleistet, und eine Personencharakteristik wurde glaubhafter.
Sicher führte der Einsatz von sehr ausladenden Stimmen, die
häufig durch das gleichzeitige Singen im oft forcierten Wagner-Fach
sogar hörbar geschädigt waren zu einem deutlichen Mangel
in der Linienführung und Intonation beim Mozart-Gesang und
lyrische Elemente wurden der reinen Dramatik aufgeopfert, was dann
Momente der Innigkeit und Wärme vermissen ließ.
Vergleicht man das Klangideal frü-herer Jahrzehnte mit heutigen
Präferenzen, drängt sich der Eindruck auf, dass das „Glück“
wie so oft in der Mitte liegen dürfte: Das Optimum für
interessanten, innigen und theatralischen Mozart-Gesang wären
dann Sänger mit einer vielfarbigen, großen Stimme3 mit
Vibrato, die fähig ist zu schlanker Linienführung, sowie
Beweglichkeit, aber auch dramatischer Ausdruckskraft, die sowohl
im piano wie im forte klangvolle Akzente zu setzen imstande wären
und das Gefühl und die Individualität der Rolle in den
Vordergrund stellten.
Diese Beschreibung scheint auch genau den Vorstellungen Mozarts
zu entsprechen, wenn man seine Briefe und Aufzeichnungen zu diesem
Thema näher studiert. Einige seiner Äußerungen seien
hier genannt:
„(...) die Menschenstimme zittert schon selbst – aber
so – in einem solchen grade, dass es schön ist –
dass ist die Natur der stimme. man macht ihrs auch nicht allein
auf den blas-instrumenten, sondern auch auf den geigen instrumenten
nach (...)“4
„(...) - wegen der 2 scenen5 die abgekürzt
werden sollen, ist es nicht mein vorschlag, sondern nur mein Consentement
– und warum ich sogleich nemlicher Meynung war, ist, weil
der Raaff und del Prato das Recitativ ganz ohne geist und feuer,
so ganz Monoton herab singen (...)“6
„(...) – wie par Exemple die Erste aria Vedròmi
intorno Etc: wenn sie sie hören werden, sie ist gut, sie ist
schön – aber wenn ich sie für Zonca geschrieben
hätte, so würde sie noch besser auf den Text gemacht seyn.
– er (Raaff) liebt die geschnittenen Nudeln zu sehr –
und sieht nicht auf die Expression. (...)“7
„(...) aber so wie sie da producirt, und gesungen wurde8,
mit dieser accurateße im gusto, piano und forte. (...)“9
„(...) – vor allem lege ich Ihnen den Ausdruck nahe
– empfehle Ihnen, über den Sinn und die Macht der Worte
nachzudenken – sich ernsthaft in den Zustand und die Situation
der Andromeda zu versetzen – sich vorzustellen, Sie selbst
seien diese Person (...)“10 „ (...) wer die gabrielli gehört hat, sagt und
wird sagen, dass sie nichts als eine Pasagen- und Rouladen-macherin
war; und weil sie sie aber auf eine so besondere art ausdrückte,
verdiente sie bewunderung, welche aber nicht länger dauerte,
als sie das 4:te mahl sang. denn sie konnte in die länge nicht
gefallen, der Pasagen ist man bald müde; und sie hatte das
unglück das sie nicht singen konnte. sie war nicht im stande
eine ganze Note gehörig auszuhalten, sie hatte keine meßa
di voce, sie wüste nicht zu Soutenieren, mit einen wort sie
sang mit kunst aber mit keinem verstand. diese11 aber
singt zum herzen, und singt an liebsten Cantabile. (...)“12
„ (...) Ruggero (...) canta un poco manzolisch ed à
una bellißima voce forte ed è già Vecchio, hà
cinquanta cinque anni ed à una leiffige gurgel. (...) fà
una donna, la moglie di afferi, à una bellißima voce,
ma c’è tanto sußurro nel theatro, che non si
sente niente. (...)“13
„(...) wenn nur die verfluchte französische sprache nicht
so hundsfüttisch zur Musique wäre! – das ist was
Elendes – die Teütsche ist noch göttlich dagegen.
– und dann erst die sänger und sängerinnen –
man solle sie gar nichr so nennen – denn sie singen nicht,
sondern sie schreyen – heulen – und zwar aus vollem
halse, aus der Nase und gurgel (...)“14
Resümee
Zusammengefasst forderte Mozart: Geist und Feuer im Rezitativ-Gesang,
Expression, Beschäftigung mit Sinn und Macht von Worten, das
ernsthafte sich Hineinversetzen in die jeweilige Rolle und das Singen
mit Verstand. Er bevorzugte Sänger mit starken, aber nicht
schweren Stimmen mit kultiviertem Vibrato (schwache lehnte er für
das Theater ab, weil sie nicht oder kaum zu hören waren) und
mit Geläufigkeit (aber nicht als Selbstzweck), die auch das
Cantabile beherrschten, in der Lage waren, Haltetöne zu gestalten
und darüber hinaus vom piano bis forte und im messa di voce
zu singen.
Er lehnte Monotonie, Stimmschwäche, aber auch Forcieren ab
und missbilligte gefühllosen Gesang.
Aus heutiger Sicht mag das für viele ein verblüffendes
Ergebnis sein, da ja gerade im Zuge der Suche nach dem sogenannten
Originalklang oft das Gegenteil postuliert wird und diese Forderungen
sich mittlerweile in den Hörgewohnheiten manifestiert haben.
Es drängt sich natürlich die Frage auf, wie es zu diesem
heutigen Denken überhaupt kommen konnte, denn Mozarts Sätze
sind trotz der anderen Ausdrucksweise der damaligen Zeit doch sehr
eindeutig.
Wie eingangs erwähnt, liegt es mit Sicherheit zum Teil an
der Mode des Barockgesangs, dessen heutiges Stimmideal15 sich auf
den Mozart-Gesang ausgedehnt hat, aber die Gründe sind bestimmt
vielfältiger. Kultur ist immer auch Spiegel des gesamtgesellschaftlichen
Zustandes und am Beispiel des Mozart-Gesangs lässt sich hier
einiges ablesen:
Wir leben in einer Zeit scheinbar ständig wachsender Individualisierung,
die in Wahrheit zu immer größer werdender Uniformität,
Beliebigkeit, Gefühlskälte, Verbergen der Persönlichkeit
und zum reinen „Funktionieren“ führt. Soziale Bindungen
werden immer schwieriger, die Wertemaßstäbe haben sich
stark ins Materielle verschoben und Tugenden wie Verantwortungsbewusstsein,
Ehrlichkeit, Gefühlsechtheit und menschliche Wärme, die
einmal gesellschaftlich hohe Anerkennung genossen, sind heute eher
ein Makel und behindern die persönliche Karriere.
Ein Gesangsideal für Mozartpartien, das kleine16, oft sogar
dünne, farblose und dadurch auswechselbare (Beliebigkeit),
schwingungsarme Stimmen fordert, verdeutlicht diesen Hang zur Uniformität.
Wenn alles gleich oder ähnlich klingt, geht man kein Risiko
ein, polarisiert nicht, bezieht nicht Stellung, rüttelt nicht
auf, weist in keine persönliche künstlerische Richtung.
Dadurch dass dramatische Akzente nicht gesetzt und echte Gefühle
nicht gezeigt werden, plätschern zahllose Mozart-Opernabende
langweilig und unterkühlt dahin. Auch von Seiten der Kritiker
(Teil der Gesellschaft) wird diese Entwicklung unterstützt.
Sie beanstanden oftmals dramatischen Ausdruck, wenn er sich denn
endlich einmal Bahn bricht, und bewerten das Zeigen intensiver Gefühle
als zu viel Pathos, als wären sie unangenehm berührt von
künstlerischer Authentizität. Auf der anderen Seite loben
sie das Gleichmaß, nennen die dünnste und engste Stimme
noch eine schlanke Mozartstimme oder loben deren angeblichen Parlando-Stil.
Auf die Spitze wurde dieses Denken getrieben, als bei einer fragwürdigen
Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“ unlängst
von einer Kritikerin die Momente in der Aufführung für
die besten und als zeitgemäß erachtet wurden, als keine
Musik mehr erklang, also niemand sang, kein Orchester spielte, es
auch keine Dialoge zu hören gab, sondern pantomimische Folter
auf der Bühne stattfand.
Bleibt zu hoffen, dass dem Mozart-Gesang bald neue Entwicklungsmöglichkeiten
offen stehen, beziehungsweise die Rückbesinnung auf älteres
Wissen und Können einsetzen wird. Die Zeichen der Zeit scheinen
nicht schlecht dafür zu stehen. Gefühlswärme wird
wieder mehr herbeigesehnt, der Zustand der Gesellschaft wird von
vielen als unerträglich bezeichnet und in der Kunst fragt man
wieder mehr nach Einmaligkeit und Risikobereitschaft.
Natürlich ist das Gesangsideal Mozarts sehr schwer zu erreichen,
da es eine äußerst ausgereifte Gesangstechnik erfordert
und darüber hinaus eine hohe Musikalität, Bühnenpräsenz
und Demut. Dennoch oder gerade darum ist es lohnend, diesen Weg
zu beschreiten und dadurch den Figuren der so oft aufgeführten
Bühnenwerke Mozarts neue Lebendigkeit, Innigkeit und Wärme,
Dramatik und Emotionalität, also zusammenfassend menschliche
Tiefe zu geben.
Lassen wir zum Schluss den Komponisten noch einmal zu Wort kommen
mit seinem Rat an die Sängerin Aloisia Weber: „vor allem
lege ich Ihnen den Ausdruck nahe – empfehle Ihnen, über
den Sinn und die Macht der Worte nachzudenken – sich ernsthaft
in den Zustand und die Situation der Andromeda zu versetzen –
sich vorzustellen, Sie selbst seien diese Person; – wenn Sie
auf diesem Weg fortschreiten mit Ihrer wunderschönen Stimme
– mit Ihrem schönen Vortrag – werden Sie in kurzer
Zeit unfehlbar eine vorzügliche Sängerin sein.“
Verena Rein
Anmerkungen:
1 aus: Brief Mozarts an seine Schwester über die Oper in
Mantua; Mailand, 26.1.1770
2 Auf die Nennung von Sängernamen wird hier und im Folgenden
bewusst verzichtet, da es um das Aufzeigen von Tendenzen und Strömungen
eines Phänomens geht und nicht um Einzelpersonen. Die erwähnten
Einspielungen sind überdies jedermann zugänglich.
3 entsprechend der jeweiligen Rolle
4 aus: Brief Mozarts an seinen Vater; Paris, 12.6.1778
5 Idomeneo
6 aus: Brief Mozarts an seinen Vater; München, 27.12.1880
7 ebda.
8 Aloisia Weber
9 aus: Brief Mozarts an seinen Vater; Paris, 24.3.1778
10 aus: Brief Mozarts an Aloisia Weber; Paris, 30.7.1778; Übersetzung
aus dem Italienischen
11 Aloisia Weber
12 aus: Brief Mozarts an seinen Vater; Mannheim, 19.2.1778
13 aus: Brief Mozarts an seine Schwester; Verona, 7.1.1770
14 aus: Brief Mozarts an seinen Vater; Paris, 9.7.1778
15 auch dieses wäre an anderer Stelle zu hinterfragen
16 für alle Partien