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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 36
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Jeunesses Musicales Deutschland
Mitspielen, mitreden, mitverantworten
Erfolgreiches Pilot-Seminar der JMD für junge Musiker
Wie kann man sich als Jugendorchester bestmöglich präsentieren,
um Aufmerksamkeit zu erlangen? Wie optimiert man die musikalische
Qualität als einzelner Musiker? Wie kann man eine Probenarbeit
so beeinflussen, dass sie effektiver wird? Wie begeistert man neue
Musiker für das eigene Orchester?
Diese und andere Fragen veranlassten uns junge Musiker und Musikerinnen,
das Seminar „Mitverantwortung im Jugendorchester“ der
Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) zu besuchen. An drei Wochenenden
trafen wir uns in der Musikakademie Weikersheim mit verschiedenen
Fachleuten aus der Praxis, die als Dozenten Vorträge hielten
und Seminare leiteten. Es wurde diskutiert und gemeinsam an Problemlösungsansätzen
gearbeitet. Gegenseitig konnten wir Informationen, Tipps und Tricks
austauschen. So haben wir von den Dozenten und ihren Erfahrungen
profitieren können und im Verlauf des Seminars stellte mancher
Dozent fest, dass man von den jungen Musikern auch noch das ein
oder andere lernen kann. So hat man doch als Jugendlicher oft noch
eine andere Sicht auf manche Dinge, die die Arbeit im Orchester
angehen. Viele Jugendorchester sind heute demokratisch organisiert,
was für uns eine enorme Chance darstellt, Mitverantwortung
zu übernehmen. Wer sich mit seinem Orchester identifiziert,
hat die Möglichkeit, eine organisatorische Rolle, zum Beispiel
als Vorstandsmitglied, zu übernehmen. Als Teilnehmer des Seminars
nutzen wir die Chance, unsere Ideen einzubringen, zum Gelingen von
Proben und Konzerten aktiv beizutragen und nicht zuletzt den Orchesterleiter
beziehungsweise den Dirigenten zu entlasten. Dafür bedarf es
natürlich großen Engagements und einer Reihe von Kompetenzen,
wie Teamfähigkeit, Sozialkompetenz, Selbstorganisation, Kommunikationstechniken
oder Methodenkompetenz, die wir im Laufe des Seminars erwerben bzw.
erweitern konnten. Bei alledem sollte die eigentliche musikalische
Kompetenz natürlich auch nicht zu kurz kommen. Dafür wurde
zu jeder Präsenzphase auch mit professionellen Instrumentalisten
musiziert, denn auch musikalische Leitungsaufgaben, wie die Rolle
als Stimmführer, gehören zu den verantwortungsvollen Aufgaben
im Orchester.
In der Zeit zwischen den Präsenz-wochenenden lag es an uns,
das Gelernte im eigenen Orchester zu verwirklichen oder auszuprobieren.
Mitglieder des Jugendorchesters der Musik- und Kunstschule Jena
haben einige Erkenntnisse aus dem Seminar sogleich anwenden können.
An der Vorbereitung und Gestaltung von zwei großen Konzerten
zusammen mit der städtischen Philharmonie haben sie mitgewirkt.
Dabei konnten Erkenntnisse aus den Seminarteilen „Kommunikation“
und „Öffentlichkeitsarbeit“ umgesetzt werden.
Toni Rack: „In den vergangenen Monaten haben wir ein umfangreiches
Programmheft erstellt. Ermutigt durch die Seminare sind wir auf
potentielle Sponsoren zugegangen. Wir haben Musiker unseres Orchesters
sowie die Solisten, unseren Dirigenten Martin Lentz, den Intendant
der Jenaer Philharmonie und sogar den Komponisten Arvo Pärt
kontaktiert und befragt, um vielfältige Informationen zu sammeln.
Unser Anliegen, den Konzertbesuchern die Musik durch ein informatives
Programmheft näher zu bringen, wollten wir damit verbinden,
etwas mehr Aufmerksamkeit auf unser Orchester zu lenken.
Die Werbung ist ein wichtiges Thema, und das Ergebnis einer effektiven
Diskussionsrunde mit den anderen Seminarteilnehmern war unter anderem
die Idee, große Konzerte wie zum Beispiel unsere Gemeinschaftskonzerte
mit der städtischen Philharmonie zu nutzen, um das Publikum
für folgende, eigene Konzerte zu gewinnen. Ein ansprechendes
Programmheft, das man als Erinnerung an das Konzert mitnimmt, bleibt
den Besuchern doch eher in Erinnerung, als ein unpersönliches
Plakat in der Fußgängerzone. Und wenn sich die Konzertbesucher
den Namen unseres Orchesters merken, werden sie zukünftig schneller
auf ausgeschriebene Konzerte aufmerksam.
In Vorbereitung unserer Konzerte gab es auch einige Pressekonferenzen,
die wir nutzen konnten, um uns zu präsentieren und um zu erleben,
dass es wirklich gute und ausgefallene Ideen braucht, um die Presse
und letztlich die Zeitungsleser für ein Konzert zu begeistern.
Die Besucherzahlen unserer Konzerte und die positive Resonanz auf
unser Konzertheft haben uns gezeigt, dass sich unser Einsatz und
der Aufwand gelohnt haben. Nun bleibt nur zu hoffen, dass das Interesse
an unserem Orchester nicht so schnell wieder verloren geht und auch
künftige Veranstaltungen wieder so gut besucht werden. Angestoßen
durch das Seminar haben wir erleben können, dass man als Musiker
und Teil des Orchesters durch Eigeninitiative wirklich etwas erreichen
kann.“
Mitglieder des Holsteinischen Kammerorchesters nutzten Anregungen
aus dem Seminarteil und den Diskussionen zum Thema „Führung“
und „Demokratie“, um ihr Orchester neu zu strukturieren.
Malte Göttsche: „Zunächst stellten mein Orchesterkollege
Nils Matthiesen und ich dem Vorstand einige während des Seminars
aufgegriffene Ideen zu Themen wie erfolgreicher Mitgliederwerbung,
Findung von Sponsoren und der Gründung einer Orchesterpatenschaft
vor. Im Vordergrund des Treffens stand jedoch die Überarbeitung
unserer Satzung. In dieser sollte unter anderem im Rahmen einer
Neustrukturierung festgelegt werden, welches Orchesterorgan bzw.
welches Vorstandsmitglied für welche Aufgaben explizit zuständig
ist.
Ein Ziel war dabei, unseren Orchesterleiter Hajo Jobs, welcher
bisher mangels eindeutiger Arbeitsteilung Anlaufstelle für
alles war, zu entlasten. Schon nach kurzer Zeit stellten wir fest,
wie viel effizientere Führung tatsächlich durch diese
Neustrukturierung möglich ist. Die in Weikersheim aufgegriffene
Theorie ließ sich in unserem Orchester praktisch umsetzen
und führte zu nicht erahnten Erfolgen.
Angeregt durch die Diskussionen in Weikersheim entschieden wir
uns auch für eine Demokratisierung unseres Orchesters. Die
Rechte und Pflichten der Orchesterversammlung als oberstem Organ
wurden erweitert und von denen des Vorstandes abgegrenzt. Durch
diese Schaffung von Mitgestaltungsmöglichkeiten der Orchesterversammlung
erhofft sich der Vorstand ein wachsendes Interesse aller Mitglieder,
sich selbst für das Orchester einzusetzen.
Um die Ideen des Vorstandes der Orchesterversammlung vorzustellen
und um weitere Ideen bzw. Meinungen einzufangen, wurde ein zweitägiger
Workshop abgehalten, in welchem neben der Neustrukturierung und
Demokratisierung auch über Werbung und Kommunikation gesprochen
wurde, aufgelockert durch diverse praktische Übungen am Instrument.
Da die Moderation von Nils und mir übernommen wurde, konnten
wir auch die während des Seminars erlernten Moderationstechniken
anwenden und erreichten so, dass konstruktive Diskussionen entstanden,
in welche sich alle Anwesenden einbrachten. Das Resultat dieser
regen Teilnahme sind vielfältigste Ideen, welche jetzt in die
Tat umgesetzt werden müssen. Dies sehen wir als Chance der
Orchestermitglieder, nicht nur die Orchesterleitung zu entlasten,
sondern auch eigene Vorstellungen verwirklichen zu können,
um ein Orchester zu schaffen, auf welches die Mitglieder selbst
ein wenig stolz sein können.“
Die zwischen den drei Präsenzphasen gesammelten Erfahrungen
konnten alle Seminarteilnehmer im gemeinsamen Internetforum präsentieren
und besprechen. So vielseitig das Leben als Jugendorchestermusiker
ist, so vielseitig war und ist auch das Seminar, das im Internet
nun noch weiterläuft. So können auch längerfristige
Erfahrungen ausgetauscht und der Rat der Dozenten in Anspruch genommen
werden. Auch der entstandene Kontakt von Musikern verschiedener
deutscher Jugendorchester kann so aufrecht erhalten werden.
Das Seminar war in dieser Art das erste der JMD. Wir können
nur ermutigen, weitere solche Angebote zu stellen bzw. zu nutzen.
Für uns hat es sich in jedem Fall gelohnt.
Wer weiß, was wir in nächster Zeit erleben, wenn wir
weitere Erkenntnisse aus dem Seminar in unsere Orchesterarbeit einbeziehen
und die hoffentlich nachhaltigen Veränderungen beobachten können.