[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 1
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Leitartikel
Die Legitimation liegt in der Qualität
Zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
· Von Gerhart R. Baum
Schafft der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich selbst ab?
Diese Frage haben wir in vergangenen Ausgaben unserer Zeitung öfter
gestellt – stets in Sorge um die Existenz unserer „Anstalten
des öffentlichen Rechtes“. Ihre Legitimation für
den Gebühren-Empfang beziehen diese Sender nicht zuletzt aus
der Erfüllung eines Kulturauftrages. Das sehen etliche Programm-Verantwortliche
leider anders: Sie definieren sich als Dienstleister und messen
den „Erfolg“ ihrer Arbeit vorwiegend an der Einschalt-Quote.
Es entstehen – auch im Bereich des Kulturfunks – populistisch-spekulative
Tages-Begleitprogramme mit flachem, werkentstellendem Magazin-Charakter.
Solcher Qualitäts-Demontage stellen sich zunehmend Hörer-Initiativen
in den Weg. Sie haben im ehemaligen Bundes-Innenminister Gerhart
R. Baum einen ebenso kundigen wie engagierten Mitstreiter gefunden.
Die international herausragende Entwicklung der Musik, insbesondere
auch der zeitgenössischen Musik in unserem Lande wäre
in den letzten Jahrzehnten ohne die Förderung des öffentlichen
Rundfunks nicht möglich gewesen. Dieser Auftrag ist jetzt gefährdet.
Die letzte Gebührenerhöhung ist unter der Erwartung der
Anstalten geblieben. Es wird gekürzt, teilweise überproportional
bei Aufgaben, die die Existenzberechtigung des öffentlichen
Systems ausmachen, eben auch bei der Kultur. Erinnert sei an den
Stellenabbau beim Rundfunkorchester in München und beim SWR
Vokalensemble. Gegen diese Entscheidungen und gegen die einengende
Interpretation des Kulturauftrages durch den Intendanten Voß
vom SWR, der Rundfunk habe nur einen Wiedergabe- und keinen Entwicklungsauftrag,
gab es erheblichen Widerstand bei den Betroffenen selbst und bei
Teilen der öffentlichen Meinung. Es ist das Bewusstsein dafür
gewachsen, dass Kulturförderung der Rundfunkanstalten nicht
„Wohltat“, sondern „Pflicht“ ist.
Die ganze Diskussion hat auch eine juristische Dimension: Die Verfassung
macht dem öffentlichen Rundfunk klare Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht
ist der Meinung, „dass die besondere Eigenart des öffentlichen
Rundfunks – namentlich seine Finanzierung durch Gebühren
– erst durch die Erbringung solcher Programmteile ihre Rechtfertigung
findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär
bleiben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk findet seine Rechtfertigung
nicht schon darin, dass sich jeweils möglichst viele Menschen
einschalten, sondern darin, dass er neben massenattraktiven Sendungen
auch anspruchsvolle kulturelle Sendungen mit einem hohen Kostenaufwand
in seinem Programm hat, die nur für eine geringere Zahl von
Teilnehmern von Interesse sind“.
Das in Karlsruhe anhängige Verfahren von ZDF und ARD muss
jetzt zum Anlass genommen werden, um festzustellen, ob die Sender
diesem Anspruch noch gerecht werden.
Auch die EU-Kommission überprüft zur Zeit aus ihrer
Sicht, ob die Gebührenfinanzierung gerechtfertigt ist. Auch
dort muss die Kultur ihre Argumente zur Geltung bringen. Initiativen
dieser Art werden zur Zeit vorbereitet.
Die Ökonomisierung der Kultur, ein enges Kosten-Nutzen-Denken,
die fragwürdige Orientierung an der Quote bestimmen immer mehr
die Entscheidungen einiger Senderanstalten – und die Vertreter
der Kultur in den Rundfunkräten folgen dem widerstandslos.
Es ist sehr erfreulich, dass die Hörer sich zu organisieren
beginnen und sich einmischen, wie es unserem demokratischen Verständnis
entspricht. So geschehen vor wenigen Tagen mit zwei Veranstaltungen
durch die Initiative „Das ganze Werk“ in Hamburg und
in Berlin gegen die Wellen NDR Kultur und rbb-Kulturradio. Allein
in Berlin haben sich mehr als 200 Einzelpersonen und im Musikbereich
tätige Vereinigungen in einem offenen Brief an den Sender gewandt.
Hinter der Initiative in Hamburg stehen mehr als 2.000 Personen.
Die Sender wissen jetzt bundesweit, dass sie sehr genau beobachtet
werden. Einige – etwa WDR 3 und SWR 2 – bemühen
sich sicht- beziehungsweise hörbar um die Erfüllung des
Kulturauftrages und zeigen, dass mit qualitätsorientierten
Programmen und auch neuen Formen der Vermittlung durchaus Hörer
zu gewinnen sind.
Die Rundfunkgebühr ist – wie der Intendant von Deutschlandradio-Kultur
Ernst Elitz treffend bemerkt – eine „Qualitätssicherungsgebühr“.
Sicherlich zahlen wir sie nicht für unsere Unterforderung.
Die Schärfung des Bewusstseins für die Notwendigkeit
von Kultur und auch von kultureller Bildung in unserem Lande muss
fortgesetzt werden. Kultur ist kein Luxus für ökonomische
Schönwetterzeiten, sondern Existenzsicherung einer Gesellschaft,
die ihre Zukunft ernst nimmt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen!