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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 1
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Leitartikel
Nieder-Lagen
Es verliert: die Kultur. Nicht nur an Aufmerksamkeit angesichts
der emotionalen Sog- und Schwapp-Wirkung eines übermächtigen
Fußball-Tsunamis (Konzerte vor leeren Auditorien, menschenleere
Ausstellungshallen), sondern auch an politischer Beachtung, an gesellschaftlichem
Gewicht.
In einer Nacht-Sitzung des nahezu abgeordnetenfreien Bundestages
wurde die erste Lesung der eher euphemistisch „Korb II“
genannten Änderung des Urheber-Vertragsrechtes papieren zu
Protokoll gegeben. Dabei geht es im Wesentlichen um eine drastische
materielle Schlechterstellung von Autoren und Komponisten. (Allein
die bei der GEMA angesiedelte Zentralstelle für private Überspielungsrechte
– ZPÜ – errechnete circa 50 Millionen Euro geringere
jährliche Einnahmen nur im Bereich der Gerätevergütung.)
„Entlastet“ werden die industriellen Hersteller von
Speicher-Medien. Deutschland – Land der Ideen, wie allerorten
satt plakatiert? Eher doch eine Wirtschafts-Zone, in der knapp gehaltene
Kreativ-Knechte das Mahlwerk der Börsen zum Rotieren bringen.
Man darf gespannt sein, wie intensiv sich das urheberrechtliche
Bewusstseins-Transfer-Potenzial unserer Bundeskanzlerin raus aus
den Patent-Appellen in der Volksrepublik China, rein ins Land der
Dichter und Denker auswirkt. Oder auch nicht.
Zwischendurch: kräftige Zuwendungs-Kürzungen bei den
Mittler-Organisationen für die deutsche Kulturarbeit im Ausland.
Gerupft wird zum Beispiel das Goethe-Institut. Wozu schon brauchen
wir in der proper funktionierenden Euro-Region teure Deutsch-Kurse
oder sonstige Kunst-Repräsentanzen (von Klängen ganz zu
schweigen). Im Gegenteil: Verhökern wir doch die wohl sortierten,
mit Steuermitteln beschafften Bibliotheks-Bestände der dänischen
oder französischen Institute auf dem Flohmarkt und speisen
den Erlös in die „Gesundheitsreform“. Vox pecuniae
– vox humana. Kulturland Deutschland. Dann jene als „Föderalismus-Reform“
gelabelte Grundgesetz-Änderung: Der Deutsche Kulturrat hat
in unserem „Kultur-Informations-Zentrum (nachzulesen unter
www.nmz.de/kiz)
seit langem eingehend auf die kulturschädlichen Wirkungen dieses
verwaltungstechnischen Rationalisierungspaketes hingewiesen. In
einer Resolution stellt jetzt auch die Jeunesses Musicales Deutschland
(JMD) fest, dass wichtige Aspekte in den Bereichen Bildung und Kultur
außer Acht gelassen wurden. Der Wegfall jeglicher Bundesverantwortung
werde negative Folgen für Qualität und Effizienz musikalischer
Nachwuchsförderung zeitigen: Förderprojekte wie der Bundeswettbewerb
Komposition seien in Gefahr. Und, da schließt sich der circulus
vitiosus: Hoch kreative junge Menschen verlören eine wertvolle
Förderung… An wen eigentlich soll die JMD ihren fünf
Punkte umfassenden Forderungskatalog abschicken? An den Staatsminister
für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, dessen Existenz
nach der Fusion der Kulturstiftungen zur sicherlich hoch differenziert
gelöcherten Bund-Länder-Kultur-Gießkanne noch weiter
an Einfluss und Berechtigung verloren hat?
Der Volks-Jauchzer „Finale“ bekommt für unser
Kulturleben eben doch einen ganz besonderen Sinn…