[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 6
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Magazin
Was Sie schon immer über Mozart wissen wollten
Vorhersehbares und Überraschendes auf den Haupt- und Nebenpfaden
der Jubiläums-Literatur
Die großen Komponisten-Jubiläen lösen die immer
gleichen Rituale aus. Auf der einen Seite die mediale Überpräsenz,
auf der anderen das zur Routine verkommene Lamento darüber;
hier eine auf den Punkt genau arbeitende Marketing-Maschinerie,
dort eine vermeintlich gedenk-resistente Schar von Skeptikern, die
vorgibt, den Jubilar am liebsten ein Jahr lang gar nicht hören
zu wollen. Wenn dann auch noch der „Mozart-Effekt“ hinzu
kommt, hilft alles Lamentieren nichts: Man muss da durch. Eine erfreuliche
Ausbeute auf dem Buchsektor mag dabei helfen, das Jahr auch ganz
gut Mozart lesend statt hörend zu verbringen.
Den Schock, dass das Mozart-Bild lange Zeit von der Monografie
des (freilich brillanten) musikalischen Laien Hildesheimer (1977)
und von einem (höchst unterhaltsamen) „Amadeus“-Film
(1984) geprägt wurde, scheint die Musikwissenschaft mittlerweile
verdaut zu haben, auch wenn beide Meilensteine als Referenzpunkte
(zumeist im Sinne einer Abgrenzung) nach wie vor präsent sind.
Ein in manchen Punkten neues Bild Mozarts zu zeichnen, versucht
gleichwohl nur eine Publikation ausdrücklich.
Akribisches Psychogramm
Maynard Solomon, der psychologisch geschulte amerikanische Musikologe,
legte seine Biographie bereits 1995 in englischer Sprache vor, die
Übersetzung war also überfällig und hätte antizyklisch,
jenseits des Jubiläumsrummels veröffentlicht, wahrscheinlich
mehr Aufsehen erregt. Solomon gelingt nichts Geringeres als das
akribische Psychogramm eines – so Solomons überzeugend
belegte These – zeitlebens in familiäre Abhängigkeiten
verstrickten Menschen. Kernpunkt seiner Darstellung ist das genaue
und einigermaßen schonungslose Porträt Leopold Mozarts
und die Analyse einer künstlerisch beispiellos erfolgreichen,
aber ebenso diffizilen Vater-Sohn-Beziehung unter Berücksichtigung
der immer wieder dramatisch in den Vordergrund drängenden Finanzfragen.
Natürlich sind die herangezogenen Fakten nicht neu, aber die
Konsequenz ihrer Deutung setzt zweifellos Maßstäbe. Dabei
bleibt Solomon nicht bei der posthumen Analyse stehen, sondern bezieht
immer auch die wechselnden Bedingungen für Mozarts Kreativität
mit ein. Musikalische Analysen spielen allerdings eine eher untergeordnete
Rolle, und dass Solomons Stärken woanders liegen, ist exemplarisch
an den aufeinander folgenden Kapiteln zum Tod der Mutter einerseits
und zur a-Moll-Klaviersonate andererseits abzulesen.
Von anderem Kaliber sind da die musikbezogenen Essays Martin Gecks,
der sie streng vom biografischen Teil seines Mozart-Buches abtrennt.
Mit einigem Mut zur Lücke setzt er Schwerpunkte (etwa auf die
Opern seit „Idomeneo“), bleibt bei aller Versenkung
in die Notentexte immer der brillante Erzähler, der zuvor den
lockeren, aber nie oberflächlichen Gang durch Mozarts Leben
schon so lesenwert gemacht hatte. Ein wenig bemüht vielleicht
der wiederkehrende Rekurs auf Mozart als „Harlequin“,
dem Geck das zentrale Kapitel als Mittelachse widmet, wenngleich
seine These eines „von den Formgerüsten“ herabsteigenden
und jederzeit zur Kommunikation fähigen Künstlers einiges
für sich hat.
Wie Geck so geht auch Piero Melograni auf eine breitere musikinteressierte
Leserschaft zu. Mit flüssiger Schreibe gelingen dem italienischen
Historiker einige wissenswerte Seitenblicke auf das politische Umfeld,
insgesamt krankt seine auf Mozarts Leben fokussierte Darstellung
aber an dem unausgewogenen Verhältnis zwischen dem Willen zum
großen Bogen einerseits und nicht weiter kommentierten Details
andererseits. Ärgerlich aber vor allem die kursorische Behandlung
von Einzelstücken oder Werkgruppen, die über verbale Kniefälle
so gut wie nie hinausgeht.
Die solideste und ausgewogenste Zusammenschau des Forschungsstandes
ist zweifelsohne Ulrich Konrad zu verdanken. Das kommt nicht von
ungefähr, geht seine Darstellung doch auf seinen ausführlichen
Artikel in der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte
und Gegenwart“ zurück. Im leicht erweiterten biografischen
Teil gibt Konrad zuverlässig und mit souveräner Gewichtung
Auskunft über Mozarts Leben, setzt im Werkkommentar kluge gattungsübergreifende
Akzente und legt ein mustergültiges (auch separat erhältliches)
Werkverzeichnis vor, das der MGG-Version einiges an Übersichtlichkeit
voraus hat.
Schwergewichtiges
Die neben Solomon und Konrad dritte wichtige Publikation aus dem
Bärenreiter Verlag (in Kooperation mit Metzler) konzentriert
sich ganz auf die Auseinandersetzung mit der Musik. Was Herausgeberin
Silke Leopold im „Mozart-Handbuch“ (nach Bach, Schubert
und Verdi das dritte seiner Art) an Gattungsüberblicken und
Werkkommentaren versammelt hat, flößt Respekt ein, ohne
von der Lektüre abzuschrecken. Sie selbst hat zusammen mit
Wolfgang Schreiber das Opernschaffen übernommen – in
der Ausführlichkeit der Darstellung fast ein Buch im Buch,
das Fragen des Gattungshintergrundes (Opera seria und buffa, Singspiel,
etc.) ebenso umfasst wie Aspekte der Aufführungs- und Inszenierungsgeschichte.
Sind die analytischen Detailbeobachtungen hier durch den Rekurs
auf einzelne Arien für Kenner der Werke noch weitgehend nachvollziehbar,
so sind sie etwa in Volker Scherliess’ Sinfonie- oder Peter
Gülkes Konzertkapitel ohne Notenausgabe oft kaum nachvollziehbar,
was allerdings auch nur konsequent ist, will man, wie hier nachdrücklich
geschehen, über das Niveau eines gehobenen Konzertführers
hinausgehen. Dass dies keine sture Werkimmanenz bedeutet, machen
die einleitenden Abschnitte etwa zur geistlichen Musik oder zu den
Tanzkompositionen auf erfreuliche Weise deutlich. Vielmehr wird
der Tatsache Rechnung getragen, dass Mozarts Musik immer auch angewandte
Musik war, auf bestimmte Anlässe und Aufführungssituationen
bezogen, diese freilich oft genug transzendierend.
Ein ähnliches Schwergewicht legt nur noch der Laaber Verlag
mit seinem „Mozart-Lexikon“ vor, das wie viele Unternehmungen
dieser Art starken Schwankungen in der Qualität der Einträge
unterworfen ist. Während Werkgruppen und Gattungen meist zuverlässig,
wenn auch gezwungenermaßen knapper behandelt werden als im
Mozart Handbuch, so bleibt der Erkenntniswert bei manchen Personeneinträgen
doch eher bescheiden. So sind die in der Auswahl etwas zufällig
wirkenden Sänger- und Dirigenten-Artikel von Karl Böhm
bis Bruno Walter weitgehend entbehrlich, weil deren Bedeutung für
die Mozart-Interpretation kaum oder gar nicht zur Sprache kommt.
Erfreulich die Einträge zur Mozart-Rezeption in ausgewählten
Ländern (so lange sie nicht wie im Falle Spaniens auf die Literatur
beschränkt sind), zu wichtigen Städten oder zu den Reisen
Mozarts; eher enttäuschend der Artikel zur medialen Präsenz
oder zu den Salzburger Festspielen, der dürftiger wird, je
weiter er sich der Gegenwart annähert. Die Nützlichkeit
eines solchen Nachschlagewerks steht freilich außer Frage,
zumal eine Fülle von Literaturhinweisen das Feld weiter auffächert.
So weit, so vorhersehbar die Geburtstagswünsche der Verlage.
Umso erfreulicher, dass sich die Internationale Stiftung Mozarteum
nicht mit einem einfallslosen Prachtband an der Festivität
beteiligt, sondern zwei höchst originelle Publikationen herausgebracht
hat. Mit „Mensch Mozart!“ gibt sie in einem flott gestalteten
und reich bebilderten Büchlein knappe, schlagfertige „Antworten
auf die 100 häufigsten Fragen“, die nahe liegenden („Wo
wohnte Mozart in Wien?“) und die abseitigeren („Hatte
Mozart ein verkrüppeltes Ohr?“), die einfacher („Wie
viele Reisen unternahm Mozart?“) und die schwerer zu beantwortenden
(„Worin liegt das Geniale in Mozarts Kompositionen?“).
Die Lockerheit, mit der hier wissenschaftlich Abgesichertes für
jedermann nachvollziehbar präsentiert wird, überzeugt,
ohne sich anzubiedern.
Mozart multimedial
Virtuell
in Mozarts Handschrift blättern: Mozarts Fantasie und
Sonate c-Moll auf CD-ROM (Stiftung Mozarteum Salzburg)
Ein medialer Coup ist der Stiftung gar mit der CD-ROM zu Fantasie
und Sonate c-Moll gelungen. Grundlage ist Mozarts Handschrift, die
einerseits durchgeblättert, mit der Lupe betrachtet oder auf
besonders markierte Takte hin untersucht werden kann, zu denen sich
dann Informationsboxen mit Hinweisen zu Korrekturen oder Änderungen
öffnen. Andererseits kann man mit der Handschrift die integrierte
Aufnahme (Florian Birsak spielt auf Mozarts Walter-Flügel)
punktgenau anwählen, sich alternative Fassungen vortragen lassen
oder einfach nur mitlesend zuhören. Technisch hervorragend
umgesetzt ist dies ein mustergültiges Beispiel für die
sinnliche Aufbereitung von Forschungsergebnissen.
Eine weitere CD-ROM (aus der bewährten Digitalen Bibliothek)
kommt weniger spektakulär daher, ist aber prall gefüllt
mit biografischem und dokumentarischem Material. Versammelt sind
die wichtigsten Mozart-Biografien, beginnend mit Niemetschek und
Nissen über Jahn und Ulibischeff bis zu Abert und Einstein
(und viele weniger wichtige, aber nicht minder interessante), dazu
viel Ausgefallenes (wie etwa der Reiseführer, der Leopold Mozart
und seine Familie durch Teile Europas begleitete), ältere Briefausgaben
und das Köchelverzeichnis von 1965. Das spart Platz im Regal
und lädt über die Suchfunktion zu gezieltem Querlesen
ein. Etwas ausführlicher hätten die einleitenden Kommentare
des Herausgebers Rudolph Angermüller zur Bedeutung der einzelnen
Schriftstücke freilich im ein oder anderen Fall sein können.
Lohnende Nebenpfade
Dass das gedruckte Buch nach wie vor nicht zu ersetzen ist, beweist
der Band „Zwischen Himmel & Erde“, den der Carus
Verlag zu einer Ausstellung des Salzburger Dommuseums herausgebracht
hat. Mozarts geistliche Musik samt ihrem institutionellen und religionshistorischen
Hintergrund wird hier in hervorragend reproduzierten Bilddokumenten
und ausführlichen Fachaufsätzen und Essays in den Fokus
gerückt. Zu Recht, bildete die Kirchenmusik doch eine wichtige
Konstante in Mozarts Schaffen, die – wäre Mozart nicht
35-jährig gestorben – mit der in Aussicht gestellten
Übernahme des Wiener Domkapellmeisteramtes zu seiner Hauptaufgabe
geworden wäre. Eine sorgfältig zusammengestellte CD ergänzt
den prächtigen, inhaltsreichen Band aufs Schönste.
Erfreulich, dass auch der kleine, auf das Thema Übersetzung
spezialisierte Straelener Manuskripte Verlag eine CD mitproduziert
hat, geht Ragni Maria Gschwends Büchlein „Figaros Flehn
und Flattern“ doch auf eine sehr erhellende Radiosendung zurück,
welche die Autorin nun überzeugend in Buchform gebracht hat.
Erstaunlich, was die (jüngst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse
ausgezeichnete) Übersetzerin aus der Betrachtung einer einzigen
Arie (Figaros „Non più andrai“) und ihrer deutschen
Übersetzungen an Rezeptions- und Interpretationsgeschichte
herausholt. Auf der CD, die außerdem seltene Figaro-Bearbeitungen
für verschiedene Instrumentenkombinationen vereint, kann man
auch hörend nachvollziehen, welchen musikalischen und interpretatorischen
Unterschied die diversen, oft nicht nur stilistisch zeitgebundenen
Übertragungen machen. Ein kleiner, überaus kurzweiliger
Band abseits der stark frequentierten Hauptpfade, überdies
wunderschön präsentiert.
Ob sich nun der angesprochene „Mozart-Effekt“ (über
den Wilfried Gruhn im Mozart Lexikon ausführlich aufklärt)
eher bei der hörenden oder lesenden Beschäftigung mit
dem Jubilar einstellt, mögen ausführliche Versuchsreihen
erweisen, an qualitätvollem Lesestoff herrscht jedenfalls kein
Mangel.
Juan Martin Koch
Maynard Solomon: Mozart. Ein Leben, Bärenreiter/Metzler,
ISBN 3-7618-2035-6,
618 S., € 39,95
Martin Geck: Mozart. Eine Biographie, Rowohlt Verlag, ISBN 3-4980-2492-2,
480 S., € 24,90
Piero Melograni: Wolfgang Amadeus Mozart. Eine Biographie, Siedler
Verlag, ISBN 3-88680-833-5, 349 S., € 22,-
Ulrich Konrad: Wolfgang Amadé Mozart. Leben, Musik, Werkbestand,
Bärenreiter Verlag, ISBN 3-7618-1821-1, 486 S., € 34,95
Mozart-Handbuch, hrsg. von Silke Leopold, Bärenreiter/Metzler,
ISBN 3-7618-2021-6, 719 S., € 79,95
Das Mozart-Lexikon, hrsg. von Gernot Gruber und Joachim Brügge,
Laaber Verlag, ISBN 3-89007-466-9, 933 S., € 98,-
Mensch Mozart! Antworten auf die 100 häufigsten Fragen,
hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, Verlag
Anton Pustet, ISBN 3-7025-0517-2, € 15,80
Wolfgang Amadeus Mozart: Fantasie und Sonate c-Moll. Die Originalhandschrift
an Mozarts Clavier interaktiv zum Klingen gebracht, CD-ROM, Internationale
Stiftung Mozarteum Salzburg (€ 12,90,- zu beziehen über:
www.mozarthaus.biz)
Wolfgang
Amadeus Mozart. Leben und Werk, hrsg. Von Rudolph Angermüller
(Digitale Bibliothek), Direct Media Publishing, CD-ROM, ISBN 3-89853-530-4,
€ 75,-
Zwischen Himmel & Erde. Mozarts geistliche Musik. Katalog
mit Audio-CD zur Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, Carus
/Schnell & Steiner, ISBN 3-89948-074-0, 255 S., € 39,90
Ragni Maria Gschwend: Figaros Flehn & Flattern. Mozart in
den Fängen seiner Übersetzer (mit Audio-CD), Straelener
Manuskripte, ISBN 3-89107-053-5, 160 S., € 24,-