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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 46
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Bücher
Pfade zum natürlichen Flötenspiel
Ganzheitliche Basisarbeit als Voraussetzung für ausdrucksvolles
Musizieren
Raphael Weidlich: Die Kunst des Flötenspiels. Der natürliche
Weg, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2005, 141 S., CD, € 22,95,
ISBN 3-7649-2686-4
Das Streben nach Ganzheitlichkeit hat längst Einzug in das
westlich-technisch orientierte Leben gehalten. Auf musikalischem
Gebiet sind die Einflüsse der entsprechenden Lehren kaum noch
wegzudenken. Auch Raphael Weidlich, stellvertretender Soloflötist
im Deutschen Symphonie Orchester Berlin und langjähriger Dozent
an den Musikhochschulen in Detmold und Berlin (UdK), bedient sich
Techniken dieser Lehren auf seinem Weg zur Ganzheitlichkeit im Flötenspiel.
Auf philosophische Gedanken über das Menschsein an sich und
die Einordnung des Menschen in das Universum folgt Weidlichs Ana-lyse
einer primär technisch ausgerichteten Musikausbildung. Ihr
setzt er die Ganzheitlichkeit des musizierenden Menschen entgegen;
dem technischen Spiel das ausdrucksstarke, natürliche Spiel.
Der Erwerb flötentechnischer Fertigkeiten gilt hier nicht als
Ziel, sondern als notwendige Voraussetzung für den „Weg
nach innen“, zum eigentlichen Wesen. Dieser Weg bildet die
Grundlage zur persönlichen Ausdrucksfähigkeit. Der anschließende
„Weg nach außen“ soll die „natürlich
künstlerische und menschliche Wesenheit in unserem Kunstschaffen
zum Ausdruck bringen“.
So eingeschworen gelangt der Leser zum Hauptteil des Buches. Dieser
wird größtenteils von Körper- und Atemschulung bestimmt,
wobei der Atmung, dem „alles zusammenfassenden und verbindenden
Element“, eine zentrale Bedeutung zukommt. Übungen der
Eutonie und Alexanderschule sowie Zen-, Ki- und Atemübungen
nach Langenbeck haben hier ihren Platz. Durch Bewusstwerdung und
differenzierte Kräftigung soll eine fundierte Basis gelegt
werden, auf der sich ein natürlicher Umgang in den Bereichen
Haltung, Atem und Ton entwickeln kann. Im flötenspezifischen
Teil des „Weges von außen nach innen“ werden konkrete
Übungen beschrieben, teilweise mit Querverweisen auf zuvor
erfahrene Zusammenhänge. Zunächst steht die Entwicklung
eines einzelnen „wahren“, also individuellen Flötentons
im Vordergrund, später gehören auch Tonfolgen und Artikulation
zu den trainierten Bereichen. Die Übungen sind angelehnt an
das Unterrichtswerk Hans-Peter Schmitz’, Weidlichs Lehrer,
wobei der beschriebene Weg auch ohne dieses Lehrwerk beschritten
werden kann, zumal sich Weidlich mit seinem Buch nicht an diejenigen
wendet, für die gemeinhin Flötenschulen konzipiert sind.
Seine detailreiche Beschreibung des differenzierten Umgangs mit
dem Ansatzapparat ist von einem flötistischen Anfänger
ohne weiteres nicht umsetzbar. Angesprochen wird die fortgeschrittene
beziehungsweise professionell flötende, insbesondere auch die
lehrende Leserschaft, die sich auf dem Weg „zurück zu
den Basics“ Anregungen holen möchte. Nicht der Anfänger,
vielmehr der lernwillige „Anfängergeist“ wird hier
gefordert.
Während Weidlich dem „Weg von außen nach innen“
fast das komplette Buch widmet, wird der „Weg von innen nach
außen“ vergleichsweise kurz angedeutet: Einer Seite
allgemein gehaltenen Textes folgen vier Seiten Melodiebeispiele
aus der Orchester- und Flötenliteratur. Hier wird deutlich,
dass Weidlich eine Basis schaffen will, aus der heraus jeder Flötenspieler
seine eigene musikalische Persönlichkeit entwickeln soll.
Auf der beiligenden CD leitet Weidlich Entspannungsübungen
an, begleitet von Vogelgezwitscher und Klängen seiner Shakuhachi.
Darüber hinaus führt er Tonübungen und Melodien vor
und sorgt so für auditive Wahrnehmung des Gelesenen.
Weidlich ist ein enthusiastischer Fürsprecher des ganzheitlichen
Lernens und Lehrens. Aus der Vielzahl an Möglichkeiten, Methoden
und Wegen hat er eine stimmige Auswahl getroffen, sie vorgestellt
und in unterschiedlichem Maße konkret in Beziehung zum Flötenspiel
als wesentliche Ausdrucksform gesetzt. Dieser Praxisbezug macht
die Veröffentlichung wertvoll. Sie kann als Einstieg dienen
und Lust darauf machen, angebotene Wege weiter zu verfolgen, auch
wenn die ausschweifenden Formulierungen das ein oder andere Mal
die Motivation des Lesers erlahmen lassen, hier den Erfahrungs-
und Wissensdurst stillen zu wollen. Leider braucht man seinen geschulten
„langen Atem“ auch, um sich durch die vielen Wiederholungen,
die mangelnde Struktur und die absatzarme Textlastigkeit dieses
Buches zu arbeiten.