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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 43
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Rezensionen
Die Leinwand als wahre Bestimmung
Musicals in CinemaScope: eine famose Rodgers & Hammerstein-Kollektion
Während der FiFa-WM wurde es immer wieder gerne mitgegrölt:
„You’ll Never Walk Alone“. Manchmal erfuhr man
bei dieser Gelegenheit auch etwas über die Herkunft dieses
Songs. Das hörte sich dann etwa so an: „You (sic!) Never
Walk Alone“ ist die Hymne des Fußballclubs 1. FC Liverpool.
Gerry & The Pacemakers sangen 1963 die Originalversion im Mersey-Sound.
Kaum einer erwähnte, woher der Song wirklich stammte: aus dem
Musical „Carousel“ von Richard Rodgers & Oscar Hammerstein
II.
Die „siamesischen Zwillinge“ des Broadway hatten diese
Hymne 1945 für ihre „Liliom“-Fassung geschrieben,
zwei Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Musical-Hit „Oklahoma!“.
Mitte der Fifties wurden beide Shows von der 20th Century Fox in
Breitwandverfahren verfilmt, zusammen mit zwei weiteren Hits, „The
King And I“ und „South Pacific“. Schon 1945 hatten
Rodgers & Hammerstein für die Fox ihr einziges Filmmusical
verfasst: „State Fair“. Jetzt liegen endlich alle ihre
fünf Fox-Musicals in restaurierten DeLuxe-Editionen vor. Das
üppige Bonusmaterial besteht nicht nur aus Dokumentationen,
Trailern oder Karaoke-Fassungen, meistens packte die Fox auch noch
weitere Fassungen in einem anderen Bildformat (Todd-AO, CinemaScope
55) hinzu. In zwei Fällen kommen wir sogar in den Genuss eines
Remakes („State Fair“) oder der Ur-Version („Liliom“).
1943 war das Western-Musical „Oklahoma!“ eine Broadway-Sensation
gewesen. Die Kritiker bezeichneten die Show als erstes „modernes
Musical“. Im Rückblick freilich erinnert „Oklahoma!“
ähnlich wie Jerome Kerns & Oscar Hammersteins „Show
Boat“ eher an die europäische Operettentradition. Auch
die Filmfassung von Fred Zinnemann („High Noon“) kann
diesen Eindruck nicht verwischen. Zinnemann soll nicht glücklich
gewesen sein über seine „Oklahoma!“-Version, trotz
einiger grandioser Nummern wie dem Opener „Oh What A Beautiful
Morning“. Seltsamerweise funktioniert ihr einziges Original-Filmmusical
„State Fair“ heutzutage besser, wenn man es einbettet
zwischen die zwei anderen großen Americana-Musicals der Forties:
Vincente Minnellis „Meet Me In St. Louis“ und Rouben
Mamoulians „Summer Holiday“. Und endlich kann man sehen,
wie Walter Lang den großen Song inszeniert hat, der zum Jazz-Standard
geworden ist: „It Might As Well Be Spring“. Jeanne Crain
besingt ihre Frühlingsgefühle wie Judy Garland ihren „Boy
Next Door“. Als „Jahrmarkt der Liebe“ kam „State
Fair“ nach dem Krieg sogar bei uns ins Kino. Danach jedoch
war der Film eine kleine Ewigkeit lang verschwunden. Nun hat man
Gelegenheit, „State Fair“ wiederzuentdecken, zusammen
mit dem mittelprächtigen Remake von 1962. Vier dieser fünf
Fox-Musicals waren Ende der 70er- Jahre, lange vor der „Cats“-Hysterie,
auch im ZDF zu sehen, in der jetzt legendären Reihe „Des
Broadways liebstes Kind“. Natürlich liefen damals die
Filme, wie üblich, im falschen Format, und so kann man sich
jetzt besonders freuen über die CinemaScope-Fassungen. Denn
erst in diesem Format und in den jetzt wieder leuchtenden Farben
entwickeln Musicals wie „The King And I“ – mit
Yul Brynner in seiner Paraderolle als König von Siam –,
das exotische „South Pacific“ oder „Carousel“
ihren surrealen Reiz.
Es ist seltsam, einige dieser Broadway-Musicals, die auf der Bühne
ein wenig schwerfällig wirken, scheinen erst auf der Leinwand
ihre wahre Bestimmung gefunden zu haben. Ganz sicher trifft das
auf Henry Kings großartige „Carousel“-Version
von 1956 zu. Das Schmuckstück dieser Kollektion hat man gekoppelt
mit Fritz Langs „Liliom“-Fassung, 1933 im Pariser Exil
entstanden. Henry King war der Meisterregisseur der Fox in den Fifties.
Kaum einer des Studios verstand es so sehr, das neue CinemaScope-Format
so auszureizen wie der „King“ der Fox. Beim Wiedersehen
mit „Carousel“ fällt mir ein schöner, sehr
beherzter Text ein, den der Filmwissenschaftler Peter Nau anlässlich
einer „CinemaScope“-Retrospektive der Berlinale verfasst
hat. Das Herzstück des Films, Lilioms Selbstgespräch („Soliloquy“)
– eingerichtet von Frank Sinatras Hausarrangeur Nelson Riddle!
– hatte es ihm dabei besonders angetan:
„Am Strand, wo die Meereswellen das Felsgestein umspülen,
besingt er das erwartete Söhnchen, dann ein Töchterchen,
und sein Gesang, mit der Orchesterbegleitung, schallt in einer kolossalen
Vergrößerung den Natur-elementen entgegen. Dieser Sandstrand,
die Felsen, die Wellen und Wogen: Alles ist einfach nur da, wie
um seiner selbst willen; und in dieses Naturtheater, das so gar
nicht dafür hergerichtet ist, tritt nun der Sänger, in
dessen Gesang sich sein Dasein, seine Freude unmittelbar verständlich
machen.“ Das wahre Kino muss durch und durch synthetisch sein,
predigte Josef von Sternberg („Der Blaue Engel“) einst,
Henry Kings „Carousel“ und Fritz Langs „Liliom“
waren Musterbeispiele für seine These.