Milij Balakirev wollte mit seinen Freunden Alexander Borodin,
Modest Mussorgski, Cesare Cui und Rimski-Korsakow eine neue russische
Nationalmusik schaffen auf der Basis des russischen Volksliedgutes.
Seine Sinfonie in C-dur bleibt frisch im Gedächtnis und das
legendäre, exotische Virtuosenstück Islamey war stets
musikalischer Zündstoff für wagemutige Pianisten, entschlossene
Pädagogen und aufgeregte Hörer. Der Nimbus des Außergewöhnlichen
begleitete das Werk von Anfang an. Balakirev meinte, nur wenige
könnten es technisch und ästhetisch angemessen aufführen,
eine Ansicht, die bis zum heutigen Tage gilt. Franz Liszt spielte
es vom Blatt und verbreitete es in Europa. Maurice Ravel bewunderte
Islamey. Sein Scarbo aus Gaspard de la Nuit war die Antwort: noch
schwieriger und komplexer und musikalisch sicherlich bedeutender.
Balakirev verwendet als erstes Thema das kaukasische Tanzlied Islamey,
als zweites im Mittelsatz ein Volkslied der Krimtartaren und verquickt
beide in einem überschäumenden Variationen-Spielablauf.
Die neue, mustergültige Henle-Urtextausgabe bietet erstmals
eine präzise Notenvorlage im kritischen Abgleich von Autograph
(1869) und den jeweils vom Komponisten revidierten Ausgaben von
Rahter (1902) und Jurgenson (1909). Der Anhang bringt die verschiedenen
Lesarten, einschließlich der Druckfehler, und bietet somit
eine verlässliche Neuorientierung für Konzertpianisten
und Meisterklassenschüler. Die moderne Klavierpädagogik
ist längst so weit, auch dieses kniffelige, unorthodox gesetzte
Werk im Unterricht zu erarbeiten. Der Spieler
benötigt jedoch gerade bei diesem 8- Minuten-Stück genaueste
Textbeachtung, exakte Technik, nicht zu schnelle Tempi, gehöriges
Temperament und neben einem speziellen Sinn für bizarren Klangzauber
eine klug gestaffelte Gesamtdisposition. Der Mut zum gesteuerten
Risiko gehört auch dazu, denn wie die Praxis zeigt, kippt Islamey
leicht in ein blasses Repetitionsgewitter ab.