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nmz-archiv
nmz 2006/07 | Seite 25
55. Jahrgang | Jul./Aug.
Verbandspolitik
Affinität zum Geld und zur Kulturpolitik
Michael Haentjes, Vorsitzender der Deutschen Phonoverbände,
im nmz-Gespräch
Theo Geißler, Herausgeber der nmz, traf Michael Haentjes,
den Vorsitzenden der Deutschen Phonoverbände, zum Gespräch.
Mit Haentjes, dem Gründer der edel music AG, vertritt erstmals
ein Independent-Unternehmer die Interessen der gesamten Phonowirtschaft.
Theo Geißler: Herr Haentjes, vom Musikwissenschaftler
zum Millionär. War es Glück, war es Können, waren
es spezielle Situationen oder Fähigkeiten?
Für
verstärkten Musikunterricht: Michael Haentjes. Foto:
Martin Hufner
Michael Haentjes: Spezielle Situationen, die dafür
gesorgt haben, dass ich spezielle Fähigkeiten entwickeln musste.
Vieles von dem, was sich in meiner persönlichen beruflichen
Laufbahn entwickelt hat, kam beiläufig. Ich habe teilweise
erst mit der Zeit festgestellt, auf was für Wegen ich mich
befinde.
Geißler: Von der meistens als trocken verschrienen
Musikwissenschaft in die Praxis, den harten Kommerz – das
ist ja kein üblicher Berufsweg.
Haentjes: Nein, das ist kein üblicher Berufsweg,
obwohl ich den einen oder anderen Musikwissenschaftler auch im Kommerzbereich
der Musikbranche getroffen habe. Das Studium der Musikwissenschaft
war ja nicht in irgendeiner Art und Weise berufsqualifizierend,
sondern es war im Wesentlichen zur Pflege des akademischen Nachwuchses
bestimmt. Das habe ich nach einer Zeit festgestellt und auch, dass
das vielleicht nicht das Optimale für mich ist. Ich habe immer
eine Uraffinität zu Geld gehabt. Also habe ich schon sehr frühzeitig
mein erstes Label aufgemacht, 1979 zusammen mit einem Partner. Da
war ich 23 Jahre alt und habe noch studiert.
Geißler: Edel war bei seiner Gründung
zunächst eine One-Man-Show. Wie kam es zur Explosion?
Haentjes: Das hat noch eine ganze Zeit gedauert.
Die Firma habe ich 1985 gegründet und am 16. März 1986
den ersten Umsatz fakturiert, sie war als Versandhandelsgeschäft
für ein Nischenrepertoire gedacht. Ich wollte eine Nische nach
der anderen abarbeiten, meine erste Nische war die Filmmusik. Das
hat gut funktioniert, im Gegensatz zu anderen Nischen, die sich
nicht bewährt haben. Ich habe festgestellt, dass man damit
zwar gut über die Runden kommt, aber keine Sprünge machen
kann und habe mich gefragt, womit man Sprünge machen kann.
Deshalb haben wir uns von der Filmmusik abgewendet.
Geißler: Sie bezeichnen edel-Musik immer
noch als Indie. Was unterscheidet es denn noch von einem Major?
Haentjes: Die Größe ist ein Unterschied.
Wir sind ja ganz klein im Vergleich zu Majors und weit entfernt
vom Milliardenkonzern. Wir hatten einmal den Plan, ein Milliardenkonzern
zu werden, in einem Jahr haben wir auch mal über eine Milliarde
Deutsche Mark Umsatz gemacht. Das ist aber lange her, heute sind
wir ein Mittelständler, eine kleine Firma mit 180 Millionen
Euro Umsatz. Im Vergleich zum Major ist das sehr, sehr klein. Wir
sind vielleicht trotzdem der größte europäische
Independent, aber nicht mehr ausschließlich in dem Sinne einer
Musikfirma. Wir haben auch einen starken Dienstleistungsanteil außerhalb
des Musikgeschäftes.
Geißler: In Cannes haben Sie auf der MIDEM
den Satz gesagt: Wir entwickeln eigentlich keine Künstler mehr,
das überlassen wir den Majors.
Haentjes: Wir überlassen es den anderen,
nicht nur den Majors, sondern auch den vielen Independents, die
dazu in der Lage sind und ihr Ziel teilweise unter hohem persönlichen
Einsatz verfolgen. Die Majors haben internationale Netzwerke, sie
sind eher in der Lage, die Kosten, die in der Künstlerentwicklung
entstehen, zu amortisieren. Man braucht wirklich große Netzwerke,
um einen Ausgleich zum hohen Risiko herzustellen. Uns ist das eine
Zeit lang ohne Netzwerk gelungen, Mitte der 90er-Jahre haben wir
eine Menge Künstler im stark kommerziell geprägten Bereich
entwickelt. Aber dann haben wir das nicht mehr geschafft und wir
sind als börsenorientierte Aktiengesellschaft den Aktionären
gegenüber verpflichtet, auch dem Hauptaktionär gegenüber
…
Geißler: …, der Sie sind.
Haentjes: Wir haben beschlossen, dafür zu
sorgen, dass wir ordentliches Geld verdienen und offensichtlich
sind wir aufgrund unserer Struktur und unserer möglicherweise
falschen Aufstellung nicht in der Lage, im Künstler, entwicklungsgeschäft
tätig zu sein. Das hängt auch mit den Rahmenbedingungen
des gesamten Musikgeschäftes zusammen, die deutlich schlechter
geworden sind. Das sorgt natürlich dafür, dass das Entwicklungsbudget
zusammenschrumpft und nicht nur wir, sondern auch die meisten Major-Companys
weniger Geld für die Förderung neuer Talente zur Verfügung
haben. Wer es sich erlauben kann, etwas künstlerisch Interessantes
zu machen, den kann ich dazu nur beglückwünschen. Wir
können das nicht.
Geißler: War dieser materielle Einbruch
im Musikgeschäft der Grund dafür, dass die Majors den
Vorsitz der Phonoverbände einem Indie überlassen haben,
oder erachten sie den deutschen Markt inzwischen als uninteressant?
Haentjes: Dazu müssen Sie die Majors befragen.
Das politische Gewicht, das wir als Verband haben, kommt auch durch
die vielen Mittelständler, die wir am Ende vertreten, zustande.
Es ist natürlich gut, wenn dieses Gewicht auch durch ein entsprechendes
Gesicht vertreten ist. Wir sind zwar eine von den Majors geprägte
Branche, aber hunderte von Kleinbetrieben, die für die Gesamtbranche
sehr wichtig sind, kann ich vielleicht besser vertreten als ein
Major.
Geißler: Im aktuellen Handbuch werden im
Vorwort zum ersten Mal bildungspolitische, ökologische und
wirtschaftspolitische Positionen ganz deutlich formuliert. Das fällt
zusammen mit Ihrem Amtsantritt.
Haentjes: Das hängt mit meinem Amtsantritt
zusammen und entspringt im Wesentlichen meinen Überzeugungen.
Ich habe den Kollegen im Vorstand sowohl vor als auch nach meiner
Wahl gesagt, welche Richtung ich als die richtige empfinde. Das
hat Unterstützung gefunden, von der ich natürlich Gebrauch
mache. Ich war viele Jahre lang kein politischer Mensch. Einer der
Gründe, warum ich gerne angetreten bin, ist, dass ich glaube,
der Branche und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu müssen,
was ich an Gutem selber erfahren habe. Damit bin ich deutlich politischer
geworden und zeige, dass wir nicht nur Umsatzmacher und Ergebnisbringer
für die Anteilseigner sind, sondern dass wir mit der Ware Musik
eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben. Das war mir schon immer
klar, schließlich habe ich Musikwissenschaft studiert. Vor
allem war ich Musikethnologe und weiß daher etwas über
die Bedeutung von Musik in der Gesellschaft, gerade in unserer modernen
Gesellschaft. Ich habe sicher viele Jahre einfach nur Musik gemacht
und versucht, Erträge zu erwirtschaften. Jetzt bin ich in einem
Alter, wo ich ein bisschen mehr reflektiere und sage, dass wir eine
extrem wichtige Funktion haben.
Geißler: In der Musikpädagogik wächst
die Freude über so eine Einstellung. In neuen Partnerschaften
und neuen Kompetenzvernetzungen liegt möglicherweise ein großes
Potenzial. Ich kann mir vorstellen, dass Sie in dem Bereich auch
nach neuen Partnern suchen und neue Projekte planen.
Haentjes: Das kann natürlich keine isolierte
Aktion der Phono-Akademie sein, wir haben auch nicht die Mittel
dazu, obwohl ich gerade versuche, unsere Mittel mächtig zu
erweitern, um mehr bewegen zu können. Aber die Zusammenarbeit
mit vielen anderen ist unabdingbar. Ich habe jetzt den Beirat der
Phono-Akademie reaktiviert, der seit zwei Jahren nicht zusammengetreten
war. Vielleicht schaffen wir es im nächsten Jahr einmal, ein
Symposium zum Thema „Musikalische Grundbildung“ zu veranstalten.
Es ist wichtig, all diejenigen, die daran Interesse haben, zusammenzubringen
und zu versuchen, konzertierte Aktionen zu schaffen. Es reicht nicht,
alleine dafür zu sorgen, dass wir Fortschritte an den Schulen
erzielen, sondern dass wir auch an den Hochschulen für eine
andere Ausrichtung in Bezug auf den Musikunterricht plädieren,
dass die Musikhochschulen nicht in erster Linie darauf fokussiert
sind, Instrumentalisten und auch da nur die außergewöhnlichen
Talente nach vorne zu bringen, sondern dass im pädagogischen
Bereich qualifizierte und motivierte Leute herangebildet werden.
Ein großes Thema sind auch die Eltern. Die Schulen haben insgesamt
wenig Mittel und es gibt kaum einen Schulleiter, der alle Lehrer
zur Verfügung gestellt bekommt, die er gerne haben will. Wenn
er einen Teil des Unterrichts nicht liefern kann, dann werden immer
zuerst die Fächer Musik und Kunst gestrichen. Alle Eltern befürworten,
dass die Hauptfächer im Vordergrund stehen. Die meisten Eltern
wissen jedoch nicht, dass es eine Korrelation zwischen intensiver
musikalischer Grundausbildung und guten Leistungen in den anderen
Bereichen gibt. Das ist nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt,
wie viele intellektuelle Fähigkeiten beim Ausüben von
Musik angesprochen werden. Hier müssen wir auch ansetzten und
die Wichtigkeit des Musikunterrichts unterstreichen.
Geißler: Lange Jahre gab es, wahrscheinlich
aus ideologischen Gründen, Berührungsängste zwischen
Pädagogen und der Musikwirtschaft. Der deutsche Musikrat war
eine pädagogisch dominierte Institution. Jetzt scheinen da
stabile Brücken gebaut zu werden, die den Transport von tragfähigen
Konzepten ermöglichen. Gibt es schon konkrete Kooperationsverträge?
Haentjes: Die School-Tour ist ein gemeinsames
Projekt der Phono-Akademie und des Deutschen Musikrats, die Bundeszentrale
für politische Bildung ist ebenfalls ein Partner. Wir versuchen,
zusammen mit dem Musikrat und einigen Verlagen Lehrerfortbildungsmaterial
zu entwickeln. Es gibt eine Vielzahl von Gesprächen, ich hätte
nicht gedacht, dass ich einmal soviel Zeit in diese Angelegenheit
investieren würde. Es macht deswegen Freude, weil ich den Eindruck
habe, dass wir ein wichtiges Ziel verfolgen, das vielleicht eines
Tages auch gesamtgesellschaftliche Wirkung entfalten kann, einmal
auf den Bildungsstand bezogen und zum anderen auf die Integration
von Minderheiten sowie die Deaggression in den Schulen. Die Verhältnisse
an den Schulen sind in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden
und Aggression spielt eine erhebliche Rolle. Ich glaube, dass wir
mit verstärktem Musikunterricht viele Ventile schaffen können,
um die Aggression in eine positive, kreative Richtung abzuleiten.
Geißler: Hat die gute alte, vielleicht
etwas staubig gewordene Klassik in diesem Vermittlungsambiente noch
eine Funktion?
Haentjes: Musik startet ja immer damit, dass man
leider ein gewisses theoretisches Rüstzeug vermitteln muss,
das sich auf alle Formen der Musik bezieht. Es ist aber am einfachsten
über die Klassik vermittelbar, insofern spielt Klassik da schon
eine Rolle. Es ist heute relativ schwer für mich zu beurteilen,
wie ich als Jugendlicher unter veränderten gesellschaftlichen
und auch musikalischen Rahmenbedingungen mit Klassik umgehen würde.
Ich wünsche mir natürlich, dass andere Menschen auch große
Freude an aller Art von Musik verspüren. Das muss aber nicht
unbedingt so sein. Ich bin nicht einer derjenigen, die grundsätzlich
mehr für die Klassik tun, weil sie unser Kulturgut ist. Mein
Ansatz wäre, dass man an vielen Dingen innerhalb der Musik
Freude entwickeln kann. Ich würde jedem einmal vorschlagen
zu gucken, welche Art von Musik sein persönliches Interesse
weckt.
Geißler: Wir befinden uns in einer Zeit,
in der der Endverbraucher sich durch neue Vermittlungsformen, wie
beispielsweise das Internet, zunehmend seine eigenen „Bildungspakete“
zusammenstellt. Trotzdem braucht er ja eine Grundausstattung, um
entscheidungsfähig zu sein. Ist das eine ganz große Aufgabe,
in der auch die Kulturwirtschaft sich engagieren wird?
Haentjes: Ich weiß nicht, in wieweit die
Kulturwirtschaft außerhalb der Musikwirtschaft da Interesse
zeigt. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass diese
Grundkenntnisse vermittelt werden. Das reine Selbststudium wird
nie so systematisch sein, wie man es aus meiner aktuellen Überzeugung
heraus braucht.
Geißler: Weg von einem etwas oberflächlichen
Label hin zu einer Institution, die sich in die Bildungs- und Musikpolitik
einbringt und tatsächlich zu einer Akademie wird…
Haentjes: Hoffentlich. Die Phono-Akademie hatte
als kulturpolitisches Institut genau diese Aufgaben, als sie gegründet
wurde. In den letzten Jahren war sie im Wesentlichen ein Echoveranstalter
und hat ein paar School-Tours organisiert. Das war nicht schlecht,
aber ich glaube, in der heutigen Situation reicht das nicht. Unabhängig
davon ist meine persönliche Überzeugung, dass man etwas
für die Entwicklung der Gesellschaft tun muss. Da sitzen wir
zufällig an der Quelle dessen, was vielleicht nicht als Allheilmittel
gilt, aber mit dem man sehr, sehr viele Wunden lindern kann.
Geißler: Über diese Überzeugung
kann man sich, wenn man das Ganze von außen betrachtet, nur
freuen. Herzlichen Dank.