[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 46
55. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Das Ungelöste im Musiktheater
Ein Symposium an der Stuttgarter Solitude-Akademie
Zwei Gitarristen sitzen vor einem Schirm, tun aber nur so, als
ob sie spielen, während zwei weitere Gitarristen dahinter die
Klänge erzeugen: Was Xavier Le Roy mit Helmut Lachenmanns „Salut
for Caudwell“ macht, lässt sich wohl als Musik-Theater,
keineswegs aber als Oper bezeichnen. Jörg Mainka schachtelt
in „Le Voyeur“ Theater (ohne Gesang), Musik und Video
nach musikalischen Gesichtspunkten zusammen: Musik/Theater? In Adriana
Hölszkys „Tragödia“ wiederum gibt es keinerlei
Schauspiel. Das Drama der Oper findet im „unsichtbaren Raum“
im Inneren des Hörers statt: Die drei Beispiele illustrieren
die Offenheit des heutigen, aktuellen Musiktheaters, stellen aber
auch die Frage nach einer Definition.
Nach dem Ungelösten im Musiktheater fragte ein von Jörn
Peter Hiekel initiiertes Symposium an der Stuttgarter Solitude-Akademie,
an dem alle Genannten beteiligt waren. Im Musiktheater arbeiten
Komponisten mit Künstlern und Theaterleuten zusammen, und das
Problem besteht nach Hans-Peter Jahn darin, dass sie vom neuesten
Stand des jeweilig anderen Metiers nicht die geringste Ahnung hätten.
Hier hatten allerdings auf der Tagung bereits zwei Vorträge
ein wenig vorgebaut: Christa Brüstle erinnerte an die Genese
der künstlerischen Performance und betonte: „In der Aufführung
entsteht das Werk.“ Regine Elzenheimer erläuterte den
von Hans-Thies Lehmann entwickelten Begriff des postdramatischen
Theaters.
Ein Theater ohne Handlung: Dies ist, was einige der vorgestellten
Werke der geladenen Komponisten kennzeichnet. Isabel Mundry nimmt
sich die Zeitstruktur der Odyssee vor, die schon im ursprünglichen
Text vom Rückblick lebt. Die Frage ist nur, wie sich diese
Erzählstruktur dem Publikum mitteilt, wenn ein einziger „Atemzug“
einen Abend gestaltet und die Figuren zu „Chiffren“
verkommen. Auch Klaus Lang kommt in „Die Perser“, dem
ältesten erhaltenen griechischen Drama, fast ohne Bewegung
aus – ganz im Gegensatz zu Frederic Rzewski, der den Stoff
1985 vertont hat. Lang orientiert sich an der Form des Dramas, einer
viermaligen Wiederholung der Beschreibung des persischen Heers,
welche allmählich die Tragödie erkennen lässt.
Ungelöst bleibt Verschiedenes: Lassen sich in jenem Mausoleum,
das die Oper nach Wolfgang Hofer darstellt, „Möglichkeiten
von Utopie“ erkunden? Oder besteht die einzige Chance, überladenem
Pomp und zur Routine erstarrten Produktionsabläufen zu entkommen,
darin, in die U-Bahn auszuweichen, wie dies Manos Tsangaris, vom
Konzept eines „molekularen Stationentheaters“ ausgehend,
in seinen „Orpheus-Fragmenten“ vorexerziert? Lässt
sich die Kollaboration verschiedener Kunstgattungen durch eine Freilegung
ihrer jeweiligen „Syntax“ rationalisieren, wie dies
Jörg Mainka verlangte? Oder bleibt die Zusammenarbeit zwischen
Künstlern immer von Intuition und Sympathien geprägt,
wie Markus Hechtle entgegnete?
Warum schließlich greifen so viele Komponisten und Dramaturgen
zurück auf antike Mythen, die dann doch nur als „Steinbruch“
dienen, wie sich Juliane Votteler ausdrückte, die auf der Grundlage
von „Ödipus auf Kolonos“ das Libretto für
Younghi Pagh-Paans „Mondschatten“ erarbeitet hat. Zumal
die Komponistin mit dem Stoff ihres am 21. Juli in Stuttgart, im
Niemandsland zwischen Bankneubau und leergeräumter Spekulationsfläche
uraufgeführten Werks zunächst offenbar wenig anfangen
konnte?
Einen anderen Weg geht Hans Zender, der aktuelle Themen nicht
scheut, sich aber mitunter Missverständnissen ausgesetzt sieht.
In „Chief Joseph“, uraufgeführt im vergangenen
Jahr an der Berliner Staatsoper, ging es ihm nicht um Indianerromantik,
sondern stellvertretend um die Inkommensurabilität der Kulturen,
komponiert als Gegensatz zwischen temperierten Zwölfteltönen
und spektralen Naturtonreihen. Diesen „Zusammenprall von zwei
Dingen, die nicht zusammengehen“ musikalisch zu inszenieren:
das ist, was Zender interessiert und was der Heidelberger Operndirektor
Bernd Feuchtner in einer Neuaufführung im September besser
zum Vorschein bringen will.