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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 47
55. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Mahler, Mozart, Schostakowitsch
Die 26. Gustav Mahler Musikwochen in Toblach
„Mahler und Mozart“ sowie „Mahler und die russische
Musik“ – dies waren die Themen, die in diesem Jahr bei
den Gustav Mahler Musikwochen im Südtiroler Dorf Toblach besonders
beleuchtet wurden. Bei „Mahler und Russland“ denkt man
natürlich sofort an Schostakowitsch – wie Mozart auch
er ein Jubilar des laufenden Jahres. Es war vor allem der Einfluss
Mahlers auf die sowjetische Musik im Allgemeinen und auf Schostakowitsch
im Besonderen, auf den Dorothea Redepennig bei ihrem im Rahmen der
Toblacher Mahler-Gespräche gehaltenen Vortrag Bezug nahm. Weitere
Referate kamen auf die Mahler-Rezeption in Russland und auf Spuren
seiner Musik im Schaffen zeitgenössischer russischer Komponisten
zu sprechen. Schade nur, dass niemand Mahlers Verhältnis zur
Musik Tschaikowskys (hatte er eines?) unter die Lupe nahm.
Wer angenommen hatte, dass Mahler und Mozart, außer der
gemeinsamen österreichischen Herkunft – wenig verbindet,
musste nach den im Rahmen des von Attila Csampai geleiteten Mahler-Protokolls
gehaltenen Vorträgen seine Meinung revidieren. „Mahler
oder Mozart?“ lautete der launige Titel des Referats von Dietmar
Holland. Der Autor zeigte nicht nur, inwieweit Mahler Elemente des
Mozart‘schen Stils in seine Musik übernahm – etwa
in die Vierte Sinfonie oder die Nachtmusiken der Siebten –,
sondern auch, welche Querverbindungen es zwischen den beiden Komponisten
gibt, etwa in ihrem Humor, der Übernahme kontrapunktischer
Elemente in die Sinfonik und in dem spezifischen Tonfall des „Traurig-Schönen“.
Mahler war auch ein ebenso begeisterter wie bedeutender Mozart-Interpret.
Seine Verdienste auf diesem Gebiet, die Befreiung Mozarts von der
„Lüge der Zierlichkeit“ (Bruno Walter), beleuchtete
Franz Willnauer. Mahlers Deutungen der Bühnenwerke Mozarts
an der Wiener Staatsoper, für die er als Dirigent, Dramaturg
und auch als Regisseur verantwortlich zeichnete, beeinflussten Generationen
von Mozart-Interpreten, so Willnauers Fazit. Und schließlich
stellte Attila Csampai Bruno Walters New Yorker „Don Giovanni“-Einspielung
aus dem Jahre 1942 vor, die in ihrer dämonischen Intensität
nicht nur ungewöhnlich für diesen Dirigenten ist, sondern
wahrscheinlich auch direkt von Mahler beeinflusst wurde: Walter
war Assistent bei Mahlers Inszenierung dieser Oper in Wien.
Und die Konzerte? Natürlich gab es Mahler: das „Lied
von der Erde“ in der Fassung für zwei Männerstimmen,
die „Todtenfeier“ und – besonders interessant,
jedoch vom Ensemble Taschenphilharmonie nicht allzu überzeugend
dargebracht – Erwin Steins Kammerensemble-Fassung der Sinfonie
Nr. 4. Doch auch die drei Jubilare des Jahres kamen zu Ehren: Mozart,
Schostakowitsch (die Sinfonie Nr. 5) und Robert Schumann: Konrad
Jarnot, der bereits den Baritonpart des „Lieds von der Erde“
gestaltet hatte, sorgte mit seiner Interpretation der „Dichterliebe“
und des „Liederkreises“ sowie von Mahlers „Kindertotenliedern“
für einen der musikalischen Höhepunkte der Toblacher Mahler-Wochen.
Das Kronos-Quartett war ebenfalls anwesend und präsentierte
den zweiten Teil seines „Mahler Project“ mit Kompositionen
von Hubert Stuppner und Vladimir Martynov, und Cornelius Claudio
Kreusch begeisterte mit jazzigen Klavier-Improvisationen. Mahler
und der Jazz – dieses Thema soll auch im nächsten Jahr
in Toblach eine Rolle spielen, so Josef Lanz, künstlerischer
Leiter des Festivals.
Pierre Boulez zählte erstmals zu den Gewinnern des Schallplattenpreises
„Toblacher Komponierhäuschen“, der alljährlich
während der Mahler-Wochen verliehen wird. Seine Interpretation
von Mahlers „Auferstehungssinfonie“ mit den Wiener Philharmonikern
überzeugte die Jury in ihrer Verbindung von analytischer Klarheit
und authentischem „Mahler-Ton“. Der Preis in der Kategorie
„Wiederveröffentlichungen“ ging an die Gesamtaufnahme
der Sinfonien mit dem 2005 verstorbenen Gary Bertini als „Akt
später Gerechtigkeit“ für einen lange unterschätzten
Mahler-Dirigenten. Den Sonderpreis schließlich erhielt die
DVD-Edition der Sinfonien mit Leonard Bernstein, eingespielt in
den 70er-Jahren und ein in musikalischer sowie optischer Hinsicht
unvergleichliches Dokument des „Gesamtkunstwerks Bernstein“.
Thomas Schulz
Informationen zu den Gustav Mahler Musikwochen in Toblach gibt
es im Internet unter www.gustav-mahler.it
Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“
– die preisgekrönten Aufnahmen:
1. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 2. Christine Schäfer, Michelle
DeYoung, Wiener Singverein, Wiener Philharmoniker, Pierre Boulez.
Deutsche Grammophon 477 6004
2. Gustav Mahler: Sinfonien Nr. 1–10, Das Lied von der Erde.
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, Gary Bertini. EMI 3 40238
2 (11 CDs)
3. Gustav Mahler: Die Sinfonien, Das Lied von der Erde. Verschiedene
Orchester, Leonard Bernstein. Deutsche Grammophon 9 DVD 0040 073
4088