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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 10
55. Jahrgang | September
Cluster
Hinterweltler
Gelegentlich reist man in fremde Länder und man stellt fest,
dass sie zurückgeblieben sind. Man will den Menschen spontan
und sofort helfen. In diesem fremden Land gibt es Fernsehen, öffentlich-rechtlich,
doch schaltet man nachmittags ein, dann sieht man etwas in Deutschland
in Vergessenheit Geratenes: ein Testbild. Nachmittags also keine
Besänftigung der Zuschauer und nach Sendeschluss gegen 24 Uhr
ebenfalls. Ein Farbbild immerhin, untermalt mit Musik von Grieg,
Mozart und Satie. Das Fernsehen dort so öde wie das Land lang.
Und noch mehr Wunderliches, Musikalisches. Auf eine kuriose Sendung
wurde mehrere Tage lang hingewiesen, immer wieder: Eine Oper! „Figaros
Bröllop“. Eine Aufzeichnung aus Paris. Gesendet zur besten
Sendezeit um 20 Uhr am Mittwochabend im ersten Programm, italienisch,
in der Landessprache untertitelt. Armes, medienverdummtes Land.
Haben die dort etwa noch nicht gehört, dass sich so etwas für
Kulturland nicht schickt? Das gehört nach Mitternacht oder
in den Spartenkanal. In welchem Zeitalter leben die dort eigentlich,
diese Hinterweltler, die Unglücklichen. Fehlen denen die dutzenden
von Erhebungen, die man hier veranstaltet, um herauszufinden, dass
es so nun aber so etwas von gar nicht geht? Denen müssen wir
mal die klugen Wellenchefs und Programmdirektoren aus Deutschland
vorbeischicken, dann ist es damit schnell vorbei. Man hilft ja gerne,
nicht wahr? Und dann besendet man dieses zurückgebliebene Volk
sonntags mit Mitsingsendungen in holdem Gemisch aus Volkslied, Oper
und Musical: Volkskaraoke. Was nur für eine Unterhaltungs-
und Kulturinkompetenz in diesem Land, eingebildet darauf, im Human
Development Index von 2003 auf Platz 6 in der ganzen Welt zu liegen,
14 Ränge vor der Kulturnation Deutschland. Vielleicht liegt
dies auch am Mut zum Testbild in: Schweden.