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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 31
55. Jahrgang | September
Jugend musiziert
Der große Reiz des Preises der Preisträger
In Münster wurde um den „Klassik“-Sonderpreis
gespielt
Am treffendsten sagt man es wohl mit den Worten aus „Asterix“:
Mit tosendem Applaus im Abschlusskonzert am 7. Juni 2006 in Freiburg
war der 43. Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“ unwiderruflich
für alle beendet. Für alle? Nein! 31 Bundespreisträgerinnen
und Preisträger hatten noch eine weitere Herausforderung vor
sich: Sie waren im Rahmen des Bundeswettbewerbs von den Jurygremien
für die Sonderwertung „Klassik“ nominiert worden
und spielten am 24. Juni um den mit 6.000 Euro dotierten „Klassikpreis“
der Stadt Münster und des WDR.
Wer an der Sonderwertung „Klassik“ teilnehmen möchte,
gestaltet bereits sein Vorspielprogramm für den Bundeswettbewerb
”Jugend musiziert“ so, dass eines der geforderten Werke
von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven,
Franz Schubert, für Violoncello auch von Luigi Boccherini stammt.
Auf seinem Anmeldebogen vermerkt das Ensemble oder der Solist dann
sein Interesse an einer gesonderten Bewertung des klassischen Werkes
durch die Jury. Im Programmbuch zum Bundeswettbewerb ”Jugend
musiziert“ erscheinen diese Bewertungswünsche mit dem
Buchstaben „K“ rechts neben dem Vorspielprogramm. Wird
das Werk dann tatsächlich mit dem Prädikat „hervorragend“
bewertet, wird das Ensemble oder der Solist zum „Klassik“-Preis
eingeladen. Man kann sich also nicht für die Teilnahme anmelden,
man kann sich durch außergewöhnliche musikalische Leistung
nur „empfehlen“.
Ausgeschrieben sind Jahr für Jahr wechselnde Kategorien,
die ein reiches Literaturangebot aus dieser Epoche versprechen.
In diesem Jahr waren das: Klavier vierhändig oder an zwei Klavieren,
Duo: Klavier und ein Streichinstrument, Besondere Ensembles mit
Werken der Klassik, Romantik, Spätromantik und Klassischen
Moderne. Im Unterschied zum Bundeswettbewerb, wo die Musikerinnen
und Musiker in den Vorspielprogrammen ihre Vielseitigkeit zeigen
sollen und daher Werke oder Sätze verschiedener Epochen spielen,
wird bei der Sonderwertung „Klassik“ nur das klassische
Werk vorgetragen. Das allerdings mit allen Sätzen. Für
die Teilnehmer am „Klassik“-Preis heißt das unter
Umständen nochmals Üben – Üben – Üben,
einer der Gründe, weshalb der kleine feine Wettbewerb nicht
im Rahmen des Bundeswettbewerbs, sondern zwei bis drei Wochen nach
dessen Ende stattfindet. Und noch eine Besonderheit gibt es hier:
Beim „Klassik“-Preis gibt es keine Unterscheidung in
Altersgruppen, Junge und Ältere müssen sich folglich von
der Jury allesamt mit denselben Maßstäben messen lassen.
Den Preis stiften der Westdeutsche Rundfunk und die Stadt Münster
seit 18 Jahren und zu gleichen Teilen. Je 5.000 DM stellten die
beiden Institutionen damals zur Verfügung, ergänzt durch
einen Konzertauftritt im Rahmen einer Kammerkonzertreihe in Münster.
Im Jahr 2002 wurde das Preisgeld auf insgesamt 6.000 Euro erhöht.
110 Musikerinnen und Musiker sind inzwischen in den Genuss des „Klassik“-Preises
gekommen, jedes Mal nämlich wird er auf mehrere Aspiranten
aufgeteilt. Das hat zu tun mit der Qualität der Musikbeiträge,
und auch der Tatsache, dass ein Konzertabend gestaltet werden muss,
wird damit Rechnung getragen.
Auseinandersetzung mit den großen Werken der Klassik
”Jugend musiziert“, der Westdeutsche Rundfunk und
die Stadt Münster verfolgen mit der Vergabe eine bestimmte
Absicht, die der Vorsitzende von ”Jugend musiziert“
Prof. Reinhart von Gutzeit beim „Klassik“-Preis 2006
formulierte:
„’Jugend musiziert‘ möchte auch schon bei
den jungen Musikern und Musikerinnen die Auseinandersetzung mit
den großen Werken von Beethoven, Mozart, Haydn und Schubert
anregen. Im Unterschied zum Bundeswettbewerb ’Jugend musiziert‘
spielen beim ‚Klassik‘-Preis der Grad der künstlerischen
Durchdringung und die interpretatorische Leistung eine größere
Rolle. Handwerkliches Können wird hier als selbstverständlich
vorausgesetzt.“
Der „Klassik“-Preis genießt bundesweit einen
hohen Stellenwert, nicht nur, weil man im Anschluss an den Bundeswettbewerb
”Jugend musiziert“ eine weitere Stufe erklimmen muss,
er ist also gewissermaßen der „Preis der Preisträger“.
Auch sein Ruf ist im Laufe der Jahre exzellent geworden. Denn in
der Liste der „Klassik“-Preisträger finden sich
auffallend viele Künstlerinnen und Künstler, die später
als professionelle Musikerinnen und Musiker eine internationale
Karriere starteten: Die Cellisten Manuel von der Nahmer und Stefan
Heinemeyer, die Geigerinnen Julia-Maria Kretz, Susanne von Gutzeit
und Christine Rox gehören ebenso dazu wie die Pianisten Martin
Helmchen, Ingo Dannhorn, Christopher Tainton oder Kimiko Ishizaka.
Es lohnt sich also durchaus, den Weg der „Klassik“-Preisträger
2006 im Auge zu behalten. Es sind dies die drei Berliner Duos Mariano
Delmo Javier Walter (Klavier) und Phillip Wollheim (Violine), Nikolaus
Rexroth (Klavier) und Ortwin Bader (Violoncello), Anna-Viktoria
Baltrusch (Klavier) und Julia Soon Gröning (Violine) sowie
Ann-Kathrin und Valerie Schmelter (Klavier vierhändig) aus
Forstinning.
Viele Künstlerpersönlichkeiten – eine Absicht
Dass die Jury in so vielen Fällen ein sicheres Gespür
bewies, liegt auch an ihrer zwar wechselnden, immer aber hochkarätigen
Zusammensetzung: Andreas Arndt vom Auryn Quartett, Carmen Piazzini,
Maria Kliegel, Hans-Peter Stenzl, Christoph Poppen, Thomas Brandis,
Gerrit Zitterbart sind nur einige der renommierten Künstler,
die den „Klassik“-Preis im Laufe der Jahre zu diesem
beachteten Profil verholfen haben, gerade weil sie als Künstlerpersönlichkeiten
in sich ruhen, nicht im Vordergrund agieren, sondern all ihre Fähigkeiten
zu Gunsten der nachwachsenden Musikergenerationen einsetzen.
Ebenfalls von Anbeginn wird das Jurygremium ergänzt durch
Repräsentanten der beiden preisstiftenden Institutionen, dem
WDR, in Person von Bernhard Wallerius, Musikredakteur beim Westdeutschen
Rundfunk mit den Schwerpunkten Kammermusik und Nachwuchsförderung,
der für den WDR Konzerte in Köln und in ganz NRW veranstaltet,
und dem Leiter der Westfälischen Schule für Musik, Konzertpianisten
und Klavierdozenten an der Musikhochschule Detmold Ulrich Rademacher,
der die Stadt Münster vertritt. Bereichert durch die beiden
Persönlichkeiten und den Juryvorsitzenden Reinhart von Gutzeit,
die den von Intellektualität, pädagogischer Sensibilität,
Menschlichkeit und hoher Musikalität geprägten Beratungsgesprächen
der Jury nochmals eine zusätzliche warme Farbe verleihen, ist
der „Klassik“-Preis für Teilnehmer, Gäste
und Juroren gleichermaßen ein Fest.
Dem großen Bruder ähnlich
Gastgeber und Ausrichter ist denn auch seit 18 Jahren die Westfälische
Schule für Musik, die mit einem lautlos und professionell im
Hintergrund agierenden Team um Angelika Schröer für einen
reibungslosen Ablauf sorgt. Überäume, Einspielzimmer werden
bereitgestellt, die einzelnen Wertungsspiele folgen einem straffen
Zeitplan, im Ablauf dem „großen Bruder“ Bundeswettbewerb
ganz ähnlich.
Die Wertungsspiele begannen auch in diesem Jahr am Samstagvormittag
und mit zahlreich lauschendem Müns-teraner Publikum, üblicherweise
laufen sie, von einer Mittagspause abgesehen, den ganzen Tag. Nach
einer Schlussberatung der Jury wird noch am Abend das Ergebnis bekannt
gegeben. Das Team der Musikschule ist eine wichtige Instanz, damit
die Ergebnisbekanntgabe fröhlich ausfällt, die Aufregung,
plötzlich im Besitz von zwei- oder dreitausend Euro zu sein,
kann ebenso groß sein wie die Tatsache, nicht zu den Preisträgern
zu gehören. Daran schließt sich ein geselliges Beisammensein,
auch hier übrigens ohne Rücksicht auf Altersgruppen: Juroren,
Eltern, Lehrer und die Teilnehmer scharen sich gleichermaßen
ums kalte Büfett.
Der Geist von ”Jugend musiziert“
Ob man sich hinterher, wie vor einigen Jahren geschehen, zu einem
„Indischen Abend“ im Elefantenhaus des Münsteraner
Allwetterzoos zwischen leise klirrenden Fußketten und schnobernden
Rüsseln der Dickhäuter am Salatbüfett zusammenfand
oder zu einem gemeinsamen Grillabend vor den Türen der Westfälischen
Schule für Musik, während in der Abenddämmerung die
Fledermäuse über den Köpfen kreisten. Hier, in der
ungezwungenen Atmosphäre mit dem Salatteller in der Hand und
der kleinen Menge an Teilnehmern und Juroren erwacht der Geist von
”Jugend musiziert“, der im großen Wettbewerb mit
mehr als 2.000 Teilnehmenden vergleichsweise schwer zu pflegen ist:
Man hört einander zu, man tauscht sich aus, man tröstet
sich, man gratuliert einander von Herzen, man fragt um Rat, auch
wenn es die Teilnehmerberatung beim „Klassik“-Preis
als institutionalisierte Einrichtung nicht gibt. Und irgendwann
taucht immer ein Fußball auf und ein ausgelassenes Match beginnt.
An dessen Ende stehen zerzauste Teamkameraden und garantiert kein
einziger Verlierer. Ist ein besserer Abschluss denkbar?
Die „Klassik“-Preisträger 2006 spielen am 17.
September 2006 im Erbdrostenhof in Münster in der Kammerkonzert-Reihe
„Junge Meister“. Das Konzert wird von WDR 3 mitgeschnitten.