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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 14
55. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Comeback der ersten Plätze und andere Reformen
Die neue musikzeitung im Gespräch mit Axel Linstädt
über den ARD-Musikwettbewerb 2006
Vom 30. August bis 15. September stellen sich in München wieder
junge Musiker den kritischen Ohren der Jury des bedeutendsten Musikwettbewerbs
in Deutschland. Seit Anfang des Jahres ist Axel Linstädt künstlerischer
Leiter des ARD-Musikwettbewerbs. nmz-Redaktionsleiter Andreas Kolb
sprach mit Axel Linstädt, der seit 28 Jahren beim Bayerischen
Rundfunk tätig ist und seit 1996 den Programmbereich Bayern
4 Klassik – Musik leitet, über den Wettbewerb 2006.
Axel
Linstädt: neuer künstlerischer Leiter des Wettbewerbs.
Foto: BR
neue musikzeitung: Im vergangenen Jahr hat eine
dramatische Veränderung in der Struktur des Wettbewerbs stattgefunden.
Was hat sich konkret beim Wettbewerb verändert und was reizt
Sie an Ihrer neuen Aufgabe? Axel Linstädt: Man hat mich damals gefragt,
ob ich die Leitung des Wettbewerbs übernehmen wolle, und ich
habe spontan und begeistert zugesagt. Nach wie vor wird der Wettbewerb
im Auftrag der ARD vom Bayerischen Rundfunk durchgeführt, aber
es ist natürlich richtig, dass es Veränderungen gegeben
hat. Wir hatten den Rotstift anzusetzen und ein Drittel der Kosten
einzusparen, dies war die Voraussetzung dafür, den Wettbewerb
mit allen ARD-Anstalten fortführen zu können. Deswegen
mussten wir das Kammermusikfest zunächst aus dem ARD-Wettbewerb
herausnehmen. Doch wollten wir selbstverständlich die Substanz
des Wettbewerbs – mit den rotierenden Fächerkombinationen
– erhalten.
nmz: Können Sie Ihr Konzept genauer erläutern?
Linstädt: Vorweg einmal: Ich bin ein großer
Bewunderer von Christoph Poppens Arbeit. Die Neuerungen, die er
eingeführt hat, finde ich hervorragend. Er hat aus dem Gegeneinander
der Teilnehmer ein Miteinander gemacht, sie nicht nach der Preisvergabe
in eine ungewisse Zukunft entlassen, sondern sie zu gemeinsamer
musikalischer Arbeit wieder zurückgeholt. Er hat mit dem Kammermusikfest
und der Vergabe von Kompositionsaufträgen einige tolle Ideen
gehabt, die ich gerne beibehalten bzw. weiterführen möchte.
Meine Aufgabe wird nicht sein, großartige neue Visionen zu
entwickeln, sondern den hohen Standard, den Poppen vorgegeben hat,
mit deutlich weniger Mitteln zu halten.
nmz: Es gibt nicht nur Kürzungen zu vermelden,
sondern auch einige positive Neuerungen. Welche sind das? Linstädt: Ich bin stolz auf meinen Arbeitgeber,
den Bayerischen Rundfunk, der sich als wichtiger Kulturträger
sieht und meinem Bereich große Unterstützung zukommen
lässt. Das Kammermusikfest haben wir zwar aus dem Budget der
ARD herausgerechnet, doch hat der BR es bereits in diesem Jahr in
eigener Trägerschaft übernommen. Ohne unsere Sponsoren
und Unterstützer wäre das alles aber gar nicht möglich.
Da wäre an erster Stelle die Theodor-Rogler-Stiftung sowie
die Fondation-Alice-Rosner zu nennen. Neu dazu gekommen und für
das Kammermusikfest entscheidend sind die Stavros S. Niarchos Foundation,
mit der wir dann auch zwei Konzerte in Athen bestreiten, und –
last but not least – die Wolfgang-und-Ingrid-Hensel-Stiftung.
Sie alle haben es ermöglicht, das Kammermusikfest weiterhin
zu realisieren.
nmz: Was ist dieses Jahr das Besondere am Wettbewerbsprogramm? Linstädt: Eine nennenswerte Neuerung gibt’s
im Bereich Gesang. Konzert- oder Liedgesang ist etwas hörbar
anderes als Operngesang: Es wäre verkehrt, da wie mit dem Rasenmäher
drüberzugehen, um am Ende zu sagen, das hier sind die besten
„Universal-Sänger“. Deshalb haben wir hier zwei
getrennte Kategorien eingeführt. Eine weitere Änderung
betrifft das Bewertungssystem. Wir sind vom 25-Punkte-System quer
durch alle Durchgänge abgekommen. Wie im letzten Jahr schon
wird im ersten Durchgang nur mit Ja oder Nein entschieden, ob der
Kandidat für den zweiten Durchgang in Frage kommt. Dort wird
dann mit 25 zu vergebenden Punkten differenziert gewertet, wobei
man mindestens 18 Punkte erreichen muss, um ins Semi-Finale zu gelangen.
Im Semi-Finale, wenn nur noch sechs Teilnehmer übrig sind,
vergeben die Juroren – und dies ist neu – konkrete Platzziffern,
ebenso im Finale, in das drei oder vier Kandidaten gelangen. Das
zwingt die Juroren zu einer eindeutigen Aussage über die Rangfolge.
nmz: Hat sich das ein Statistiker ausgedacht? Linstädt: Nein, das haben wir uns im kleinen
Kreise – wir, das sind Ingeborg Krause, Oswald Beaujean und
ich – ausgedacht. Ich hoffe, dass man dadurch eine klarere
Linie bekommt, und wir werden das in diesem Jahr erproben. Das neue
System wird sicher kritisiert werden, weil es auch Leute gibt, die
meinen, Zahlen sagten ja alles und man könne den interpretatorischen
Wert sehr leicht statistisch errechnen. Wie dem auch sei, mir gefällt
unser Verfahren besser, und letzten Endes steht und fällt das
Ergebnis mit der Qualität der Jury. Auf sie kommt es an.
nmz: Ein paar Worte zur Jury? Linstädt: Es ist kein Geheimnis, dass die
Zusammenstellung der Jury 2006 weitgehend von Christoph Poppen geleistet
wurde. Im Augenblick arbeiten wir bereits an den Jury-Besetzungen
für 2007 wie 2008 und vergeben Kompositionsaufträge, die
ja bekanntlich einen gewissen Vorlauf haben. Ich freue mich zum
Beispiel darüber, dass wir eine Zusage von Rodion Schtschedrin
haben für die Komposition eines Streichquartett-Satzes. Diese
Dinge sind jetzt mein Thema. Aus der Jury möchte ich eigentlich
keine Person hervorheben. Sie ist hochkarätig besetzt und ich
freue mich darüber, dass diese Persönlichkeiten in einer
gewissermaßen dienenden Mission zu uns kommen und ihr Bestes
geben werden.
nmz: Um noch mal zurückzukommen auf die
stilistische Trennung im Bereich Gesang. Wäre abgesehen von
der Lied-Oper Abgrenzung nicht auch eine epochenspezifische Ausdifferenzierung
sinnvoll? Linstädt: Vieles wäre wünschenswert,
und mir ist klar, dass es Spezialisten für Alte Musik gibt
und Künstler, die für Zeitgenössisches ideal sind.
Aber das wäre eine Ausdifferenzierung, die wir nicht leisten
können. Wenn’s nicht so flapsig klänge, würde
ich sagen: Wir versuchen’s jetzt halt mal so und sind hinterher
sicher schlauer.
nmz: Wer hat die Auftragskompositionen für
dieses Jahr geschrieben? Linstädt: In diesem Jahr sind es Evis Sammoutis
(Bläserquintett), Aribert Reimann (Gesang) und Manfred Trojahn
(Klavier). Im nächsten Jahr Tobias PM Schneid (Klaviertrio),
Olli Mustonen (Oboe), Stefan Heucke (Posaune) und Matthias Pintscher
(Schlagzeug).
nmz: Was kann man über die aktuelle Zusammensetzung
der Teilnehmer sagen? Welche Nationen sind am stärksten vertreten? Linstädt: Ganz vorne – mit 80 von 192
Teilnehmern – kommt Deutschland, dann Korea und Japan, Russland
und Frankreich.
nmz: Wie werden die Neuerungen und die Weiterentwicklungen
des Wettbewerbs der vergangenen Jahre von den Musikern bewertet?
Wurde die Wegbewegung von der ausschließlich solistischen
Darbietung hin zu Kammermusik-Ensembles von den Künstlern begrüßt,
die, wie man meinen möchte, doch zu allererst eine Solisten-Karriere
anstreben? Linstädt: Natürlich versucht fast jeder,
als Solist zu reüssieren. Aber dies ist enorm schwierig. Es
sind einfach nur sehr wenige, die da Erfolg haben oder mit einem
gewissen Marketing-Aufwand positioniert werden. Es wird immer wichtiger,
dass sich Solisten mit anderen verständigen, nicht nur um Netzwerke
zu bilden, sondern um Kammermusik auf höchstem Niveau aufzuführen
und das Publikum dafür zu begeistern. Die allseits positive
Resonanz auf unser „Festival der ARD-Preisträger“,
wie das Kammermusikfest offiziell heißt, kann dies belegen.
nmz: Wo sieht der BR Möglichkeiten für
die Vermarktung des ARD-Musikwettbewerbs? Gibt es dahingehend eine
Strategie, um den Wettbewerb langfristig abzusichern? Linstädt: Wir haben das Glück, selbst
Teil eines Massenmediums zu sein, und so können wir den kompletten
Wettbewerb auf Bayern 4 Klassik täglich begleiten und darüber
berichten. In der Finalwoche gibt es dann auf dieser Welle allabendlich
mehrstündige Sondersendungen und natürlich die Übertragungen
der Finalkonzerte. Das Fernsehkonzert läuft in den dritten
Programmen, wobei ich mir wünschen würde, dass es in der
Zukunft vielleicht auch einmal im „Ersten“ übertragen
wird. Darüber hinaus bieten wir unser Material nicht nur innerhalb
der ARD, sondern über die EBU (European Broadcasting Union)
europaweit anderen Sendern an.
nmz: Der Erhalt des Musikwettbewerbs durch die
ARD und insbesondere durch den BR ist doch ein Bekenntnis zum Kulturauftrag
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Linstädt: Genauso ist es! Sie selbst haben
im letzten Jahr in der neuen musikzeitung über die Probleme
berichtet: Es sah kurze Zeit so aus, als würde der Wettbewerb
sterben. Erst Anfang Juli 2005 wussten wir: Wir können mit
reduzierten Mitteln weitermachen. Dann habe ich mich mit Ingeborg
Krause, die – wenn ich das so sagen darf – das Herz
des Wettbewerbs ist, zusammengesetzt, und wir haben gerechnet und
überlegt, was wir weglassen können und was nicht. Die
Entscheidung, das Preisgeld um etwa 20 Prozent zu senken, fiel uns
nicht leicht. Der erste Preis war zuvor mit 10.000 Euro dotiert
und liegt jetzt bei 8.000 Euro. Dies hat den Wettbewerb nicht beschädigt,
er ist nach wie vor äußerst attraktiv und eine Börse
für die ganz großen Talente.
nmz: Hat der Papstbesuch Ihnen einen Strich durch
die Rechnung gemacht? Linstädt: Ja, ein wenig schon! Wegen der höchsten
Sicherheitsstufe mussten wir einige Termine ändern, weil man
den Herkulessaal zu diesem Zeitpunkt nicht hätte erreichen
können. Aber das Papst-Programm wurde zum Glück rechtzeitig
bekannt gegeben, so dass die Probleme rasch gelöst werden konnten.
nmz: Der ARD-Musikwettbewerb steht aber nicht
auf der Tagesordnung des Papstes? Linstädt: Leider nicht, dies wäre zu
schön …
nmz: Wird es wieder Konzerte der Preisträger
mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Münchener
Kammerorchester geben? Linstädt: Ja, ein Konzert mit dem Münchener
Kammerorchester unter der Leitung von Alexander Liebreich und das
Finalkonzert mit dem Symphonieorchester des BR, Dirigent: Jonas
Alber. Auch unser Münchner Rundfunkorchester hat Interesse
bekundet, ein Konzert mit den Preisträgern zu spielen, das
wird aber aus Gründen der Disposition frühestens 2009
möglich sein.
nmz: Was wünschen Sie sich als neuer künstlerischer
Leiter für die Zukunft des Wettbewerbs? Linstädt: Ich wünsche mir hervorragende
Preisträger. Denn das ist etwas, was wir selbst nicht beeinflussen
können.