[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 9
55. Jahrgang | September
Magazin
Die Marke heißt Entdeckerlust
Christine Fischer, künstlerische Leiterin des World New
Music Festivals, über Marketing und Neue Musik
Neue Musik ist schwer zu vermarkten. Musik der Jahrhunderte und
auch das World New Music Festival (WNMF) sind jedoch zwei Beispiele
für Veranstalter, denen das besonders gut gelingt. Die neue
musikzeitung fragte Christine Fischer, künstlerische Leiterin
des WNMF und Geschäftsführerin von Musik der Jahrhunderte,
nach ihrer Marketingstrategie.
neue musikzeitung: Im Gegensatz zu Festivals wie
den Salzburger Festspielen, dem Beethovenfest Bonn oder dem Menuhin
Festival in Gstaad können Sie nicht mit einem prominenten Musiker
als Marke auftreten. Das, was Sie produzieren, ist neu, ist immer
zum ersten Mal. Wie gehen Sie damit um? Christine Fischer: Genau das ist die Marke: Man
muss die Menschen dafür begeistern, etwas bei sich selber zu
entdecken. Im Grunde muss man ihnen klarmachen, dass sie einen ganz
persönlichen Gewinn daraus ziehen, wenn sie sich mit Neuer
Musik beschäftigen. Genau diese Entdeckerlust wollen wir als
Marke prägen.
nmz: Vermittlung ist da ein wichtiges Marketing-Element? Fischer: Es geht nicht ohne Vermittlung. Das Wichtigste
ist, an der Rezeptionshaltung anzusetzen. Musik hat vielleicht von
allen Künsten das höchste Identifikationspotential. Viele
empfinden Musik als etwas Persönliches, das einen in alle möglichen
emotionalen Zustände begleitet. Ich halte es für die wichtigste
Aufgabe im Vermittlungsprozess klarzumachen, dass die Rezeption
von Neuer Musik zunächst ganz andere Kriterien anspricht. Es
geht nicht primär darum zu entscheiden, wie sehr die Musik
einem gefällt, sondern es gefällt der Prozess, sich mit
der Sache auseinanderzusetzen, es gefällt, das Abenteuer zu
erleben, es gefällt, sich auf Neuland zu bewegen, auch auf
unsicherem Neuland zu bewegen und immer sicherer zu werden in einer
Beurteilung. Das ist es, was man vermitteln muss. Wenn das gelungen
ist, und das gelingt uns immer wieder, dann ist unglaublich viel
bewegt – und meist ändert sich übrigens auch die
Rezeptionshaltung gegenüber traditioneller Musik.
nmz: Das wichtigste Mittel der Vermittlung ist
natürlich das Konzert, die Aufführung, nichtsdestotrotz
haben Sie einen ganzen Strauß von Vermittlungsforen entwickelt.
Es gibt Meisterkurse für Hörer, Schulkooperationen und
so weiter. Fischer: Wir haben vor allem unser Projekt „CLASH“,
das ist ein sehr umfangreiches Vermittlungsprojekt, das sich an
Schüler aller Schularten richtet. Der Jugendkongress N[you],
der auf diesem Konzept basierte, war ein wichtiger und umfangreicher
Bestandteil des World New Music Festivals.Ähnliche Formen haben
wir für Erwachsene entwickelt. Dabei richten wir uns mit Afterwork-Veranstaltungen
an bestimmte Berufsgruppen. Wir haben bereits mit Architekten gearbeitet,
mit Straßenbahnern, mit Lektoren, mit Bankern.Dann haben wir
die Meisterkurse für Zuhörer, die Reihe „1 und 1“.
Das ist eigentlich ein ganz elitäres Projekt, wo die Interpretation
Neuer Musik der verbalen Interpretation gegenübergestellt wird.
Es gibt zwei Vorträge, nämlich ein Solokonzert und einen
Wortvortrag, der nichts mit der Musik zu tun hat, sondern sich um
etwas ganz anderes dreht. Damit verändert sich auch die Rezeptionshaltung
gegenüber der Musik.
nmz: Wieviel Prozent verschlingt das Marketing
vom Gesamtbudget? Fischer: Ich habe beim World New Music Festival
ungefähr fünf Prozent des Budgets für Werbung eingesetzt.
Wenn ich die Kosten für das Personal noch mitrechne, sind es
vielleicht sieben Prozent.
nmz: Also eigentlich eine überschaubare Größenordnung.
Fischer: Ich denke, dass wir unser Marketing sehr
zielorientiert, sehr synergetisch und punktgenau betreiben.
nmz: Was ist punktgenaues Marketing? Fischer: Eine aufwändige Plakat- oder Fahnenwerbung,
die sehr viel Geld gekostet hätte, haben wir nicht gemacht.
Über Monate hinweg haben wir hauptsächlich mit Pick-ups
geworben, das sind Postkarten, auf denen wir freche Kommentare mit
echter Information verbunden, also ein plakatives Element mit dem
Informativen kombiniert haben. Damit haben wir vor allem die Highlights
des Festivals beworben.
nmz: Beginnt das Marketing nicht schon beim Kompositionsauftrag? Fischer: Mit dem Komponisten zusammen zu überlegen,
was er macht und wo und für wen, hängt natürlich
schon mit Marketing zusammen, aber dies ist für mich nicht
primär ein Marketingaspekt, sondern ein inhaltlicher. Und wenn
ein Künstler auf mich zukommt, der etwas geschaffen hat, das
mich beeindruckt, versuche ich eben, einen Markt dafür zu finden.
Wenn wir aber gezielt einen Auftrag erteilen, dann weiß ich
normalerweise auch, wo wir das Stück spielen.
nmz: Welche Rolle spielen in Ihrem Marketing-Konzept
die Sponsoren, die Förderer, die Mäzene? Fischer: Beim World New Music Festival machte das
Sponsoring ungefähr ein Drittel der Finanzierung aus. Es ist
allerdings wesentlich einfacher, Sponsoren für ein solches
einmaliges Großereignis zu finden als für ein jährlich
wiederkehrendes wie das Festival ECLAT. Aber auch für ECLAT
muss Sponsoring künftig eine größere Rolle spielen,
insbesondere weil der SWR sich dort zurückzieht.