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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 6
55. Jahrgang | September
Magazin
Hellwach beim Komponieren
Der Komponist Bernd Franke im Gespräch mit Meret Forster
Der Komponist Bernd Franke, Jahrgang 1959, hat im Auftrag des
Gewandhauses drei neue Orchesterstücke geschrieben. Musikredakteurin
Meret Forster hat den Leipziger getroffen.
Seit
der Wende auf Reise: Bernd Franke. Foto: Stefan Forster
neue musikzeitung: Kommen Sie gerade vom Komponieren?
Bernd Franke: Ja, ich bin mitten im dritten Stück
und ganz beschlagnahmt davon. Ich schreibe immer noch mit der Hand.
Dabei habe ich keinen regelmäßigen Arbeitsrhythmus, sondern
bin 24 Stunden lang mehr oder weniger damit beschäftigt. Manchmal
komponiere ich auch nachts, also relativ chaotisch.
nmz: Sie leben und arbeiten in Leipzig seit Ihrer
Studienzeit Mitte der 1970er-Jahre. Wie hat sich die Neue-Musik-Szene
gewandelt? Franke: Es gab drastische Veränderungen. Ich
habe noch die Hochzeiten der Gruppe Neue Musik Hanns Eisler erlebt,
die es nicht mehr gibt. Neue Komponisten sind inzwischen nach Leipzig
gekommen, andere Professoren wirken prägend. Zudem hat der
Musikmarkt die Lage verändert. Für einige Komponisten
der älteren Generation ist es nach der Wende schwierig geworden,
ihre Stücke bei Verlagen unterzubekommen. Einige Kollegen reisen
auch nicht so gerne. Für meine Generation, die viel freier
kommunizieren, reisen und assimilieren konnte, war das anders. Ich
hatte schon vor 1989 viele Kontakte in den Westen, die ich ausbauen,
vertiefen und erweitern konnte.
nmz: Inwieweit hat sich die Szene in den 1990er-Jahren
individualisiert? Franke: Es gab früher einen gewissen Zusammenhalt
durch die Eisler-Gruppe. Vielleicht sieht man das jetzt aber nur
nostalgisch, weil die Szene damals schon heterogen war. Einige Mitglieder
der Eisler-Gruppe sind weggezogen, etwa Friedrich Schenker oder
Burkhard Glaetzner. Sicherlich hat man sich in DDR-Zeiten durch
den Komponistenverband öfters getroffen. Stücke wurden
vorgestellt und analysiert. Heute gibt es eine Reihe von Komponisten
wie ich oder Steffen Schleiermacher, die außer in der GNM
und in der GEMA in keinerlei Institution Mitglied sind. Dadurch
sind wir relativ autark und individualisiert.
nmz: In der Malerei ist gerne von der Leipziger
Schule die Rede. Gibt es äquivalente Tendenzen in der Musik? Franke: Sicherlich nicht. Momentan gibt es viel
zu wenige Komponisten in Leipzig und keine Zusammenarbeit, Koordination
oder Synergien. Ich empfinde das als ausgesprochen unklug. Aber
die Neue Musik ist im Vergleich zur Malerei prinzipiell viel schwieriger
zu vermarkten. Auf dem Kunstmarkt spielen wir überhaupt keine
Rolle, weil Neue Musik den Verlagen mit wenigen Aufführungen
nicht viel Tantiemen bringt. So kann man unseren Marktwert als Komponisten
weltweit einfach nicht hochtreiben. Das wird sich so schnell nicht
ändern.
nmz: Die Musikwissenschaftlerin Gisela Nauck schrieb
über Sie: „Sein klanglich-dramaturgisches Komponieren
zielt auf eine dem Hören unmittelbar erfassbare musikalische
Sprache, ohne deshalb in Einfachheit oder Neo-romantizismen zu verfallen.“
Erkennen Sie sich da wieder? Franke: Zum größten Teil schon. Ich
denke, dass mein Ziel, mit Reduktion zu arbeiten, in den letzten
Jahren zugenommen hat. Gerade in dem Auftragswerk für das Gewandhaus
reduziere ich das Material enorm, versuche aber, trotzdem sehr komplex
zu sein. Dabei will ich nicht im Sinne von Lachenmann die Klänge
auf Geräusche reduzieren, sondern auf Minimalstrukturen. Ich
arbeite eher im Sinne von Scelsi oder anderen Komponisten mit wenigen
Grundtönen und Zentralintervallen, die aus der Reduktion heraus
wieder komplex werden. Das ist zunächst ein schwieriger und
zum Teil ein taoistischer Anspruch. Es kann aber eine Antenne für
das Publikum geben, indem Komplexität fassbar wird. Deshalb
interessieren mich auch philosophische Fragen der Funktionalität
von Musik und der Funktion von Strukturen in der indischen oder
indonesischen Musik. Mich beschäftigen kulturelle Gegensätze
und Gemeinsamkeiten, die teilweise durch Klangobsessionen der klassisch-romantischen
Musik verschüttet wurden.
nmz: Im Auftrag des Gewandhauses schreiben Sie
jetzt die drei Stücke CUT VI-VIII, die sich in Ihr 2001 begonnenes
CUT-Großprojekt einordnen. Der englische Titel bedeutet „Schnitt“,
„Hieb“ … Franke: Er kann sogar noch „Stich“
oder „Wunde“ heißen. Es gibt vielschichtige Bedeutungen.
Zunächst handelt es sich jedoch um einen sehr trockenen, materialtechnischen
Begriff wie Fuge oder Sinfonie. Ich vermeide farbige oder metaphernreiche
Titel. Durch das Englische entsteht auch ein Bezug zur Rock- und
Popmusik. Rein formell gesehen, wird geschnitten. Ich arbeite mit
einer Collage-Technik und Verlinkung. Es ist die Idee dieser CUT-Serie,
dass einige Stücke simultan aufgeführt oder verzahnt werden
können. So kann zum Beispiel das Ende von CUT VI überlagert
werden mit CUT VII, dito bei CUT VIII. So vermische ich in meiner
Musik Elemente aus der westlichen amerikanischen Musik – die
Tradition von Feldman und Cage – mit Ansätzen, die aus
der polnischen Musik eines Lutos-lawski kommen. Die Aleatorik habe
ich nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt, so dass es innerhalb
des metrisch geordneten Ablaufs Teilaleatorik gibt. Improvisatorische
Freiheit wird den Musikern aber nicht zugesprochen.
nmz: Viele Ihrer Stücke stehen in ei-nem
inner- und außermusikalischen Beziehungsgefüge zwischen
Komponisten der „New York School“, der Madrigalkunst
Gesualdos und Kunstwerken von Chagall oder Christina Kubisch. Wie
sind diese Referenzen zu verstehen? Franke: Als ich zum Bespiel vor zwei Jahren den
Auftrag vom Gewandhaus bekommen habe, meinte Chailly, ich könnte
doch in Beziehung zu Bach bzw. Bach und Berio komponieren. Besetzungsvorgaben
gab es keine. Ich habe mich dann gefragt, was für mich heute
die Essenz von Bach ist und was ich rein materialtechnisch damit
anfangen kann. Komponieren ist für mich ein geistig-emotionaler
Vorgang. Einerseits spielt das Unterbewusstsein mit, andererseits
ist man hellwach. Dieses Hellwach-Sein ist eine sehr merkwürdige
Situation, weil man ständig darüber reflektiert, was man
macht, aber laufend emotionale Einflüsse dazukommen, Emotionen
gegenüber den Widmungsträgern sowie dem Orchester und
der eigenen Klangsprache.
nmz: Welche Rolle spielen dabei Ihre Reisen nach
Asien und in die USA? Franke: Ohne diese Reisen würde ich völlig
anders komponieren. Deshalb kann ich es gar nicht verstehen, wenn
Komponisten heute sagen, dass sich für sie selbst fast nichts
geändert habe seit der Wende. Nach wie vor sitze man vor weißem
Notenpapier, und das sei vor 1989 auch schon so gewesen. Ich kann
das überhaupt nicht nachvollziehen, weil sich irrsinnig viel
geändert hat, allein durch die Literatur und das Internet.
Ich habe auf Reisen unheimlich viel assimiliert, gerade bei der
Beschäftigung mit indischer, japanischer oder koreanischer
Musik.
nmz: Wo geht die nächste Reise hin? Franke: Erst einmal nach Italien im Juni. Bis dahin
muss ich ganz viel arbeiten, und es gibt die Uraufführungen
in Leipzig und Kiel. Im Herbst fahre ich wahrscheinlich noch einmal
nach Indonesien, nach Japan im Oktober zu Konzerten und Meisterkursen,
nach Warschau zu einer Uraufführung im November, nach Israel
im Januar. Nächstes Jahr steht auch noch Burma an.