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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 8
55. Jahrgang | September
Magazin
Die Kraft wächst mit der eigenen Tat
Kinder- und Jugendkongress N[you] – Musik in der vernetzten
Welt
An das ISCM World New Music Festival in Stuttgart war auch der
Jugendkongress N[you] mit einer Reihe von Workshops angeschlossen.
Es erwies sich als glückliche Kombination. Diese Verbindung
scheint heute wichtiger denn je, denn ein internationales Festival
für Neue Musik wird auf die Dauer zu seinem eigenen Totengräber,
wenn es sich nicht um die der zeitgenössischen Musik mehr und
mehr entwöhnte Schicht der Kinder und Jugendlichen kümmert.
Es war auch eine der primären Erfahrungen bei den diversen
Workshops (mehr als 15 wurden in den Bereichen außereuropäische
Musik und ihre Vernetzungen, Schulmusik, kreativer Instrumentenbau,
Musiktheater, die Kunst des neuen Hörens, Komposition oder
auch Reporterarbeit angeboten), dass bei vielen Jugendlichen der
Begriff Neue Musik weithin verschwommen oder auch ganz einseitig
mit Pop und Rock belegt ist.
Auch bei dem Reporter-Workshop, den der Autor dieses Textes leitete,
stellte sich heraus, dass die hier schon etwas älteren Jugendlichen
(zwischen 16 und 19 Jahren) noch kaum Kontakte zu zeitgenössischen
musikali-schen Denkansätzen hatten, was ein recht beschämendes
Bild vom Zustand heutiger Schulmusik abgibt. Die Arbeit war also
– und andere Workshopleiter erlebten Ähnliches –
in erster Linie ein Akt erster Begegnung. Da aber stellte sich dann
heraus, dass die Neugier enorm ist, vor allem die Neugier, etwas
selbst auszuprobieren, selbst zu gestalten. Der rein passive Kontakt
mit zeitgenössischen musikalischen Ansätzen (also beim
Hören eines Konzerts) wurde hingegen immer wieder als lästig,
ja als Zumutung empfunden und schnell spürte man kritische
Distanz, die gar nicht versuchte, argumentative Begründungszusammenhänge
zu liefern.
Es ist wohl ein bezeichnendes Phänomen heutiger Kinder und
Jugendlicher, dass sie sich auf das pädagogische Stillhalteabkommen
„Hört erst einmal zu“ nicht oder allenfalls zögernd
einzulassen bereit sind, was man auch als Zeichen von Emanzipation
begreifen kann. Die eigene Tat aber, das Vorlegen von Ergebnissen
setzt hingegen ein erstaunliches Maß an kreativen Kräften
frei. So musste oder durfte der Komponist Robin Hoffmann, der mit
Kindern die Konzerte und Proben besuchte und dann das Erlebte gemeinsam
beschreiben wollte, erleben, dass der Kurs am Widerstand der jungen
Hörer zu scheitern drohte. Erst als man sich entschloss, die
Eindrücke in einer Reportage rundfunkähnlich aufzubereiten,
wurden die aktiven Impulse wieder geweckt und es entstanden sehr
prägnante, kritische, informative Auseinandersetzungen mit
der gehörten Musik. Dinge aber, die am Rande des Scheiterns
stehen und dieses dann erfolgreich abwenden, sind meistens wesentlich
prägender und inniger in ihrer Wirkung als solche, die auf
Anweisung gehorsam erledigt werden.
Die anderen, gewissermaßen aktiven Workshops, die auf eine
Aufführung am Schluss hinarbeiteten, konnten in der Regel solchen
Berührungs-Widerständen aktiver begegnen. Zwar gab es
auch hier Ablehnung gegenüber dem Ungewohnten, aber das Ausprobieren,
die eigenen Impulse waren meist Anreiz genug, innere Sperren abzubauen:
vor allem dann, wenn es gelang, das Ungewohnte nicht als Widersinniges,
sondern als Enge der eigenen bisherigen Erfahrungswelt zu begreifen.
Erstaunliches gelang in dieser Hinsicht Astrid Schmeling, die mit
Kindern und Jugendlichen zwischen etwa 10 und 19 Jahren ein Kompositionsprojekt
(Einzelunterricht) leitete. Das heißt: Das Erstaunliche gelang
den Schülern selbst. Denn nach einer Woche legten sie kurze
Stücke (zwischen einer bis fast zehn Minuten) vor, die in der
Prägnanz ihrer Formulierung, in der konkreten Ausarbeitung
der kompositorischen Fragestellung oft überzeugender wirkten
als die professionellen Arbeiten, die abends in den Konzerten geboten
wurden. Natürlich nahm man Defizite im Handwerk wahr, doch
die Stücke wirkten weit wohltuender und erfrischender als manch
reifere Kompositionen, denen man allenfalls gut erlernte, dann aber
charakterarm eingesetzte Fertigkeit bescheinigen konnte. (Hier ein
kleiner Seitenblick aus dieser jugendlichen Warte auf das Weltmusikfestival:
In vielen Aufführungen fiel auf, dass die Werke umso stärker
waren, je weniger sie sich einer gleichsam globalen Musiksprache
unterordneten. Diese avantgardistischen Sprachmittel, wie sie am
IRCAM wie in deutschen oder amerikanischen Hochschulen in ähnlicher
Weise gelehrt werden, erweisen sich vor allem in den Händen
junger Komponisten aus anderen Kulturkreisen oft als nivellierend.
Die globale Vernetzung der Musik aber kann letztlich nur ins Sinnvolle
gewendet werden, wenn auf der anderen Seite genügend Raum für
individuell wie auch national Eigenständiges bleibt.)
Zum Abschluss der Kurse wurden in einem gebündelten Programm
die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen vorgestellt. Es war
ein Gang durch verschiedene Äußerungsformen der zeitgenössischen
Musik, Annäherungen an fremde Tonskalen und außereuropäische
Musikkulturen, Begegnungen mit ungewöhnlichen Spiel- und Aktionsformen,
Auseinandersetzungen mit futuristischen Theaterkonzepten vom Beginn
des 20. Jahrunderts (so in Gerhard Stäblers „futuressence“).
Nach den so erfolgreich verlaufenen Kursen waren sich die meisten
Workshopleiter einig darüber, dass Aktivitäten dieser
Art letztlich nur Flächenwirkung zeitigen, wenn sie auf eine
breite Basis gestellt werden. Kreatives Agieren im Unterricht dürfe
nicht allein Aufgabe von solchen Fachkräften sein, wie sie
hier in Stuttgart zugegen waren, die Fähigkeit dazu müsse
den Lehrern an Grund- wie an weiterbildenden Schulen viel intensiver
vermittelt werden.
Dass von Seiten den Schüler Potential und Bereitschaft vorliegen,
wurde beim Kongress N[you] im Rahmen des World New Music Festivals
in Stuttgart nachdrücklich bewiesen.