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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 56
55. Jahrgang | September
Musikwirtschaft
Musik und Marketing in der Wahlheimat Menuhins
Die fünfzigste Ausgabe des Menuhin Festival Gstaad: ein
Gespräch mit Leonz Blunschi
Zu „Deux Concerts Exclusifs“ hatte Yehudi Menuhin
im Sommer 1947 seine berühmten Freunde Benjamin Britten, Peter
Pears und Maurice Gendron in die Dorfkirche von Saanen eingeladen.
Dabei dachte der Geiger damals wohl weniger konzeptionell, sondern
eher künstlerisch intuitiv. Doch die beiden Konzerte waren
der Nukleus des Menu-hin Festivals im Schweizer Urlaubsort Gstaad.
Heute ist das Menuhin Festival eine gut eingeführte Marke,
jährlich besuchen rund 18.000 Besucher das Festival. Das World
New Music Festival in Stuttgart dagegen war ein einmaliger Event
der Neuen Musik, das in drei Sommerwochen über 14.000 Zuschauer
anzog. Zwei Festivals, die in Bezug auf Programm, Zielgruppe und
Machart nicht unterschiedlicher sein können. Und die eigentlich
nicht miteinander vergleichbar sind. Doch gerade im Kontrast liegt
hier der Reiz, wenn man sich die Frage stellt: Wie funktioniert
im jeweiligen Fall Musik und Marketing? Lesen Sie auf Seite 9 ein
Interview mit Christine Fischer vom World New Music Festival und
hier eines mit Leonz Blunschi, dem Präsidenten des Menuhin
Festivals Gstaad.
neue musikzeitung: Bis kurz vor seinem Tod hat
sich Lord Yehudi Me-
nuhin in seinen letzten Lebensjahren noch für das Festival
engagiert. Inwieweit hat sich das Festival seither verselbständigt
oder emanzipiert? Leonz Blunschi: Bis ins Jahr 1996 hat Yehudi Menuhin
noch selber die „Pflöcke eingeschlagen“. Aber erst
mit dem künstlerischen Leiter Christoph Müller haben wir
zu einer konsequenten Programmstruktur gefunden, also seit 2002.
nmz: Betrachtet man das Publikum: Sind das noch
die gleichen Besucher wie 1996 oder hat sich seither ein ganz neues
Publikum entwickelt? Blunschi: Dank der neuen Programm-strategie, die
neben der Kammermusik und den Sinfoniekonzerten die „Today’s
music“ beinhaltet, haben wir ein neues Publikum anziehen können.
Dadurch hat sich natürlich auch die Altersstruktur etwas verändert.
Vorher war die Mehrheit unserer Konzertbesucher so zwischen 40 und
70 Jahren alt. Jetzt haben wir doch markant in der Altersgruppe
zwischen 30 und 50 dazugewonnen. Insgesamt sind seit 2002 etwa 30
Prozent neue Gäste dazugekommen.
nmz: Menuhin ist sozusagen der Mozart Gstaads.
Er ist im Gedächtnis der Menschen lebendig. Wie gehen Sie vor,
um diese Marke zu transportieren? Blunschi: Die Familie Menuhin möchte von uns
diesen Ausdruck „Marke“ nicht hören. Wir bezahlen
aber eine Patentgebühr, damit wir den Namen überhaupt
benutzen dürfen. Für uns ist es ein „brand“
und damit arbeiten wir.
nmz: Blättert man durch das Programm, kann
man feststellen, dass Me-nuhins Spuren und Ideen schon sehr liebevoll
weitergepflegt werden. Dieses Jahr sind viele Freunde Menuhins da,
das heißt Musiker, Schüler von ihm. Auch Menuhins interkulturelle
Ideen sind ein Thema. Blunschi: Das hat der künstlerische Leiter
Christoph Müller von Anfang an probiert einzubringen, weil
Menuhin schon „Crossover“ betrieben hat – wenn
ich dieses Wort gebrauchen darf – als das überhaupt noch
nicht in Mode war. Wir führen das weiter, was er angefangen
hat.
nmz: Öffentliche Förderung spielt wahr-
scheinlich keine große Rolle? Blunschi: In einem Normaljahr, also nicht im Jubiläumsjahr,
haben wir ein Budget von etwa 3,5 Millionen Franken. Davon können
wir fast ein Drittel mit Ticketing realisieren. Den großen
Rest müssen wir uns „zusammenfragen“. Wenn man
zusammenrechnet, was an öffentlichen Subventionen, von der
Gemeinde Saanen, den umliegenden Gemeinden und dem Kantons-Beitrag
kommt, sind das ungefähr fünf Prozent des Budgets. Also
relativ wenig, wenn man das mit städtischen Kulturinstitutionen
vergleicht, die 50, 60 Prozent subventioniert bekommen. Dann haben
wir verschiedene andere Quellen: einmal die Wirtschaftssponsoren,
die ungefähr ein Drittel ausmachen; dann den Gönnerverein,
bei dem jedes Mitglied 2.200 Franken zahlt und dafür ein paar
Tickets, Abendessen, Parkplatz und so weiter bekommt; und es gibt
Donatoren, beginnend mit 50 oder 100 Franken bis 1.000 Franken.
Wir haben meistens ein oder zwei Mäzene, die auch drei, vier
Prozent übernehmen. Dann haben wir einen Privat-Sponsoren-Club:
Die machen fast zehn Prozent aus.
nmz: Was bleibt vom Gesamtbudget noch fürs
Marketing übrig? Blunschi: Der Hauptposten ist – und das muss
auch so bleiben – natürlich die Kunst. Es nützt
nichts, ein kleines Angebot zu haben und großes Marketing
zu betreiben. Wir haben uns seit einigen Jahren ganz bewusst nebst
den Imprimaten, die natürlich einen Großteil des Marketingbudgets
wegfressen, auf PR konzentriert. Das ist nach allgemein angewendeten
Richtlinien messbar und lässt sich auch in Franken ausdrücken.
Wir hatten im Jahr 1999 in den Medien einen Gegenwert von zirka
250.000 Franken. Im Jahr 2005 hatten wir einen Gegenwert von allen
Medien von 1,6 Millionen Franken. Wir geben dagegen knapp 30.000
Franken für Inserate aus.
Das wird uns manchmal auch vorgeworfen: „Ihr seid nicht präsent.“
Da sage ich: „Wir sind dafür anders präsent. Nicht
in Form von Inseraten.“ Wenn man sich das Marketingbudget
anschaut, im Schnitt sind wir da zwischen 550.000 und 580.000 Franken.
Das beinhaltet aber zum Beispiel die ganzen Imprimate (Programme,
Flyer, die Zeitung, die sieben Wochenprogramme während des
Festivals, die Plakate), der Vorverkauf mit den EDV-Kosten ist inbegriffen,
auch die PR – all das ist in diesem Betrag inbegriffen. Vom
Gesamtbudget sind das vielleicht 16 Prozent. Das braucht es einfach,
das ist das absolute Minimum.
nmz: Worin liegt der Unterschied des Kunstmarketing
zum Marketing eines großen Sportevents? Blunschi: Wir müssen ganz klar das hochwertige
Produkt – die Musik – in den Vordergrund stellen. Der
große Unterschied zum Beispiel zu Sportanlässen, wie
es sie in Gstaad auch gibt, ist, dass wir nicht diese Werbeflächen
anbieten können. Wenn bei uns Fernsehen kommt und in der Kirche
Saanen die Leute filmt, dann sieht man einfach keine Werbung und
das ist auch richtig so.
nmz: Es ist eine sehr persönliche Art von
Zusammenarbeit, die zwischen Sponsor und Festival stattfindet, auch
im Marketing. Blunschi: Ja. Wir machen natürlich auch sehr
viel in Sachen Sponsorenbetreuung. Es ist nicht so, dass wir einfach
das Geld kassieren und dafür dürfen die Sponsoren ein
paar Tickets haben und um den Rest müssen sie sich selber kümmern.
Wir helfen ihnen auch vor Ort – zusammen mit dem GST (Gstaad
Saanenland Tourismus) –, gewisse Aktivitäten anzubieten.
nmz: Wie ist die Akzeptanz des Festivals hier
in der Bevölkerung? Blunschi: Die Verankerung in der Bevölkerung
ist sehr groß. Wenn wir von der Gemeinde finanzielle Unterstützung
gebraucht haben in den 90er-Jahren, auch für den Zelt-Neubau
im Jahre 2000 oder auch in diesem Jahr einen Sonderbeitrag für
das Jubiläum – das ist eigentlich fast diskussionslos
über die Bühne gegangen. Ein zweiter Punkt ist: Wir haben
mehr freiwillige Helferinnen und Helfer, als wir berücksichtigen
können. Die Geschäftsleute und Hoteliers sagen: „Das
ist für uns ein absoluter Top-Anlass, der belebt unsere Sommersaison,
eben nicht nur drei, vier Tage, sondern wirklich über sieben
Wochen.“