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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 42
55. Jahrgang | September
Bücher
Sex, Drugs & Rock‘n‘Roll
Eine rastlose Jagd durch die Karriere von Mötley Crüe
Neil Strauss/Mötley Crüe: The Dirt – Sie
wollten Sex, Drugs & Rock ‘n‘ Roll, Heyne
Verlag, München 2006, 464 S., Abb., € 13,00, ISBN: 3-453-67510-X
Es ist ein gemeines Buch. Vulgär, ekelhaft, proletarisch,
fies, unverschämt, kapitalistisch, protzig und menschenverachtend.
Aber es ist das eine Buch, das man Freitagabend um 21.00 Uhr mit
Seite 1 zu lesen beginnt und Samstag früh um 8.00 Uhr mit der
letzten Seite zuschlägt. Dazwischen hat man vergessen zu trinken,
zu essen und zu rauchen.
„Mötley Crüe – The Dirt“ wird die
ultimative Rockbiographie bleiben. Es ist keine Beichte um zu viel
geschluckte Drogen, zu wenig Sex, zertrümmerte Hotelzimmer
oder zu laute Rockmusik. „The Dirt“ ist ein Schuss Adrenalin
in die Aorta, eine rastlose Jagd durch die Karriere einer Hardrockband,
die 40 Millionen Platten verkaufte, im Gefängnis saß,
Drogen als Nahrungsmittel begriff, Menschen nicht mehr wahr nehmen
konnte und trotzdem vor dieser Fassade Erfolge feierte.
Glaubte man bisher den Begriff „schonungslos“ zu kennen,
sollte man das revidieren. Mötley Crüe zerlegen sich in
dieser mit dem amerikanischem Musikjournalisten Neil Strauss verfassten
Biographie selbst. Sie skizzieren sich nicht unglaubhaft und doch
nicht übermäßig reuig als kranke Menschen, deren
spätere Eskapaden und fehlender Realitätsbezug durchaus
Wurzeln in der Kindheit aufweisen. „The Dirt“ springt
ständig zwischen dem Selbstversuch der Psychoanalyse und der
Wirklichkeit mit Tourneen im Zeitraffer hin und her.
Man lechzt nach jeder Seite und so dämlich es klingt: Sehr
gerne hätte jeder von uns ein paar Wochen in dieser Band verbracht.
Zwar versuchte die Band nach der Trennung in den 90ern 2005 ein
Comeback, subtil überlebt hat das aber nur Schlagzeuger Tommy
Lee, der sich wenigstens in der Boulevard-Presse mit Ehefrau Pamela
Anderson im Gespräch hielt und einige Achtungserfolge in Amerika
mit kleinen Musikprojekten feierte.
Mötley Crüe zeigen eindrucksvoll welche Gänseblümchen-Pflücker
wir doch sind, wie naiv man selbst 2006 noch glaubt, ein Rockstar
würde man bloß durch harte Arbeit. Man kann das auch
planen. Sich zwingen Rockstars zu werden. Und dann so zu leben.
Mötley Crüe sind die Könige der Rockmusik. Daran
lässt sich nicht rütteln. Ein Buch, das trotz vieler unverzeihlicher
Aktionen eine doch erstaunliche Emotionalität bereithält,
die nicht unschwer zu finden ist.