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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 39
55. Jahrgang | September
Noten
Die zehn Chorkompositionen von Franz Schreker
Ein wichtiger Beitrag zur Chorliteratur des 20. Jahrhunderts.
Franz Schreker. Chorwerk. Carus 4.103,
hrsg. von Christopher Hailey und Iris Pfeiffer.
Betrachtet man die Biographie Franz Schrekers (1878–1934)
in Hinblick auf die reichhaltigen Erfahrungen im Chorbereich –
er war Gründer und Direktor des Wiener Philharmonischen Chores,
leitete die Berliner Hochschule, deren Chor er ausbildete, und war
Mitglied des Döblinger Männergesangsvereins – so
überrascht es, im Werkverzeichnis des Komponisten nur zehn
Chorkompositionen zu finden. Diese Chorwerke komponierte Schreker
zwischen 1896 und 1906, also hauptsächlich in seiner Jugendzeit.
Die Besetzungen sind sehr vielfältig, neben kurzen A-capella-Kompositionen
für Männer- beziehungsweise gemischten Chor stehen hier
Vertonungen für Frauenchor, Orchester und Orgel oder gemischten
Chor und Orchester. Nur drei der Chorwerke wurden zu Lebzeiten Schrekers
gedruckt. Alle Chorwerke haben wenig Beachtung gefunden, obwohl
sie einen interessanten Einblick in die kompositorische Entwicklung
Schrekers ermöglichen. Auch im gesamten Opernwerk des Komponisten
spielen groß besetzte Chöre eine wichtige Rolle. Die
Chorwerke beinhalten drei Vertonungen von Texten Rudolf Baumbachs,
„Der Holdestein“ von dramatischem Charakter, „Versunken“,
ein Männerchor mit sanft wiegender Klavierbegleitung, und „Schlehenblüte“,
ein Stück von lyrischer Schlichtheit, das den Kontrast zwischen
der Schönheit der Natur und dem gebrochenen Herz des Dichters
aufzeigt. Ein weiteres Chorwerk Schrekers ist die Vertonung von
Dora Leens Gedicht „Schwanensang“, die der Gliederung
der Dichtung eng folgt und der Dichterin gewidmet ist. Weiter verwendet
Schreker Texte von Ernst Scherenberg („Meereswogen“
und „Auf dem Gottesacker“), Ferdinand von Saar („Gesang
der Armen im Winter“), Nikolaus Lenau („Vergangenheit“)
und Felix Dahn („König Tejas Begräbnis“).
Ebenso ist eine Vertonung des 116. Psalms zu finden, die sich an
die Musik Brahms‘ anlehnt und somit den Einfluss der Studienjahre
beim engen Brahms-Freund Robert Fuchs zeigt, dem dieses Werk gewidmet
ist. In den Chorwerken Schrekers ist eine technische Verfeinerung
zu beobachten, der Aufbau bleibt jedoch ähnlich: Eine klar
gegliederte Struktur, meistens Dreiteiligkeit und nur leichte Variationen
des musikalischen Materials bei Wiederholungen. Offenkundige Textillustrationen
sind kaum zu finden. Die kritische Gesamtausgabe der Chorwerke Schrekers,
im Carus-Verlag erschienen, gibt im Vorwort umfangreiche Informationen
zur Biographie des Komponisten und zu den vorliegenden Werken. Neben
dem gesonderten Abdruck der Texte verleihen Abbildungen von Autographen
und der Titelgrafik des Erstdrucks von „Schwanensang“
diesem Band Lebendigkeit. Der kritische Bericht im Anhang enthält
Angaben über Veränderungen, die in den Partituren vorgenommen
wurden. Ein wichtiger Beitrag zur Chorliteratur des 20. Jahrhunderts.