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nmz-archiv
nmz 2006/09 | Seite 25
55. Jahrgang | September
Verbandspolitik
Von der medialen Verlängerung der Konzertbühne
nmz-Interview mit Jürgen Stark über Pop und Popförderung
heute
Jürgen Stark beschäftigt sich seit 25 Jahren sowohl publizistisch
als auch praktisch mit der Vermittlung musikalisch-kreativer Praxis.
Als Projektleiter der Deutschen Phono-Akademie für die SchoolTour,
die unlängst mit großem Medienecho an der Berliner Rütli-Schule
gastierte, oder als Projektentwickler beim John Lennon Talent Award,
im Verbund mit der Frei-
burger Jazz & Rock Schule, konzipiert und gestaltet er neue
Modelle der Musikförderung. Er ist Mitglied im Fachausschuss
Popularmusik beim Deutschen Musikrat. Die nmz stellte ihm Fragen
zu seinen aktuellen Projekten.
Der
Coach in Aktion: Jürgen Stark bei einer School-Tour-Session
in Freiburg. Foto: SchoolTour
neue musikzeitung: Was brachte den Journalisten
zur Musikförderung? Jürgen Stark: Recherchen und Erfahrungen,
außerdem gelangte ich mit 14 Jahren über meine ältere
Schwester in die Londoner und Hamburger Musikerszenen. Mein Gitarrenlehrer
hieß Kalle Pop, war Tourgitarrist bei Alexis Korner und so
verbrachte ich bereits meine Jugend in Künstlerkreisen.
nmz: Welche journalistischen Erfahrungen waren
das? Stark: Mit Robert Biberti, Mitbegründer der
Comedian Harmonists, führte ich das letzte Interview vor seinem
Tod. Er hat mir dabei quasi sein Vermächtnis diktiert. Die
erste Boygroup der Welt stellte bereits in den 1920erJahren hohe
Anforderungen an sich: Sie musste pausenlos auf dem Dachboden proben,
gut aussehen, singen, tanzen und schauspielern – das nennen
wir heute Performance und feiern es allen Ernstes als „Neuheit“
in Casting-Shows. Meine Erkenntnisse setzten sich bei den Plattenfirmen
fort. Immer wieder kamen Anrufe der Label: „Wir haben da einen
Act, der muss nächste Woche bei VIVA auf die Couch, die können
nicht reden – kannst Du die fit für‘s Fernsehen
machen?“
nmz: Kann man das in kurzer Zeit? Stark: Na klar, auch wenn ich mir dafür meistens
mehr Zeit gewünscht hätte. Ich merkte schnell, dass rein
formales Kamera-Coaching stinklangweilig ist, kümmerte mich
mehr um Inhalte und habe mit Rappern Science-Fiction gelesen, mit
Bands über Dialektik philosophiert, Foto-Sessions an ungewöhnlichen
Orten organisiert oder unlängst einer Sängerin empfohlen,
als „größte Zicke des Weltalls“ aufzutreten.
Bei diesem Training – auch mit „Chartbustern“
bei denen viel Geld auf dem Spiel steht – fielen neben Ausbildungslücken
der Künstler auch Denkfehler beim Artist Development auf: Die
Musikproduktion ist alles. Konzepte, kreative Inszenierungen und
der finale Transfer des „Produktes“ in die Medien werden
als letzte Glieder der Kette, als Beiwerk und Dekoration gesehen
- die positiven Ausnahmen und die dafür Verantwortlichen sind
bekannt. Auf andere Genres blicken vor allem Produzenten gerne selbstherrlich
herab: Maskenbildner und Stylisten sind „Schminkkoffer“,
Kostümbildner und andere, die beim Outfit helfen, werden gerne
der „Kleiderkammer“ zugeordnet. Sprache verrät
das Denken. Viel zu spät werden andere Kreative an die Musiker
gelassen, dabei ließe sich mit Wissen und Können verhindern,
dass German Entertainment zum Beispiel beim Grand Prix wenig durchdacht
bis peinlich aufläuft.
nmz: Das klingt nach fertigen Rezepturen, aber
nicht nach Rock ‘n‘ Roll. Stark: Auch ein Anti-Star ist ein Star. Auch Billy
Idol benutzt Schminke vor der Kamera, Marilyn Manson sogar richtig
viel. Es geht nicht um Schönlinge, sondern um Typen, um Menschen,
die eine Story haben und dich mit ihrem Auftritt elektrisieren und
faszinieren. Dabei ist die verlängerte Konzertbühne bis
hinein in die Medien und das Internet zu berücksichtigen. Ein
Star muss ständig präsent sein.
nmz: Ist das nicht die Aufgabe des Managements? Stark: Wenn ich eine kaufmännische Lehre absolviert
habe oder mal DJ in einer Disco war und nun für Musikmanagement,
egal wo, verantwortlich bin, dann kann ich hierbei meine Grenzen
der Qualifikation nur mit dem Handwerk anderer erweitern. Vergessen
wird oft: Pop ist Missbrauch, kreischende Rückkopplungen auf
der E-Gitarre und der Plattenspieler als Instrument. Wer hier berät,
der muss diesen Kosmos des Unbürgerlichen und der Verrücktheiten
verstehen, um wirklich Neues zu schaffen. nmz: Was können hierbei Projekte und Initiativen
verbessern? Stark: Als die Itzehoer Versicherungen mit der
Genehmigung Yoko Onos 1991 den John Lennon Talent Award starteten,
lautete die Begründung: „Wir möchten als Unternehmen
etwas für die Förderung dieser vernachlässigten Szene
tun“. Über 15 Jahre war dies ein Labor zur Erprobung
von Coaching-Varianten, mit einer Nähe zum Netzwerk der Förderkollegen,
Label, Medien – inzwischen hat sich dies kultiviert. Die Gründung
der Popakademie war eine der möglichen Konsequenzen daraus.
Heute werden Wettbewerbe mehr für Medien gemacht, relevanter
ist der langfristige Aufbau, den wir nun beim JLTA vor die Roadshow
setzen, letztlich bringt der eine grössere Nähe zu den
Anforderungen der Label mit der Perspektive einer professionellen
Produktion, einem echten Labeldeal für Newcomer.
nmz: Erst fördern, dann präsentieren? Stark: Hinzu kamen Erkenntnisse aus dem Teamwork
der SchoolTour: Wenn Experten sich auf jeden Teilnehmer konzentrieren,
selber hart mit an den Details arbeiten, Konzept und Angebot stimmen,
dann können auch musikalisch ungebildete Schüler am Ende
der Woche bei ihrer Gala eine gute Figur machen, stolz eigene Songs
präsentieren. Dieses Prinzip des Motivationscoachings lässt
sich auf Bands übertragen. Gemeinsam mit Dozenten der Jazz
& Rock Schule Freiburg und meinem Schwerpunkt „Projektentwicklung,
Image + Design“ haben wir mit Kollegen aus diversen Bereichen
gezielt Musik und Performance trainiert – unsere aktuellen
Bands machen dabei Quantensprünge, wie mitwirkende und beobachtende
Experten meinen. Bündnisse mit Firmen, wie Theaterkunst, spielen
hierbei eine Rolle.
nmz: Welche Bedeutung hat Theaterkunst? Stark: Jeder Regisseur in Deutschland kennt diesen
großen Kostümausstatter für Filmproduktionen. Als
ich dort mit Designerinnen vorstellig wurde, erfuhren wir, dass
man sich dort wunderte, warum noch nie Musiker und ihre Berater
den Weg dorthin gefunden haben. Dabei kann man dort an einem Nachmittag
sein Outfit kreieren. Es gibt Kleidung aus allen Jahrhunderten und
Stilepochen, Modernes und Altes – viele begeisterte Bands,
mit denen wir dort gearbeitet haben, sehen seither gut aus, was
sich interessanterweise immer positiv auf die musikalische Arbeit
auswirkt.
nmz: Welches Know-how ist generell wichtig für
junge Musiker? Stark: In der Populären Musik zählt nicht
Virtuosität, sondern eigener künstlerischer Ausdruck.
Wolfgang Niedecken ging wegen mangelhafter Gitarristik gleich zur
Kunsthochschule, wo er auch mehr für seine Karriere lernte.
Musikhochschulen arbeiten völlig an diesem Thema vorbei, wobei
in den Bereichen Arrangement und Songwriting Riesennachfrage herrscht.
Ein zeitgemäßer Musikunterricht, der nicht immer nur
reine Instrumentenkunde ist, ist das kommende Thema in der Dimension
sämtlicher Stationen des Lebens: Warum sollen Menschen, die
mit Popmusik aufwuchsen nicht auch noch im Alter ihre Instrumentenkenntnisse
auffrischen oder Hilfe bekommen, um mit ihren Kindern zeitgemäß
Musik zu machen?!
nmz: Aber nun gibt es Pop an den Unis und auch
die Mannheimer Popakademie. Stark: Wir haben mühsam die allgemeine Anerkennung
des Berufes „Popmusiker“ erreicht, mehr nicht. In der
Spitze wird intensiver mit Masterclass-Modellen gearbeitet, Pop
ist bei „Jugend musiziert“ zu finden, Wettbewerbe beraten
nach Auslese. Wenn wir mehr Stars und langfristige Künstlerkarrieren
wollen, dann müssen wir genau darunter das Gesamtniveau der
musikalischen und kreativen Bildung deutlich anheben. Seit Jahren
lässt sich aber feststellen, dass Newcomer immer weniger professionell
sind.
nmz: Woran liegt das? Stark: Der Musikunterricht findet in der Schule
selten attraktiv statt, in den unteren sozialen Schichten sind Musikinstrumente
etwas Exotisches geworden und höchstens in den Familien der
Zuwanderer gibt es Gesang und Lieder. Unsere Musikkultur arbeitet
zusätzlich in sich voneinander abgrenzenden Nischen, was destruktiv
wirkt. Wir benötigen als Anreiz für breitere Schichten
die umfassende Förderung der musikalisch-kreativen Fähigkeiten
mit großem Raum für Experiment und Schulung, für
Erfahrung und Weiterbildung, letztlich eine Qualitätsoffensive
der deutschen Musikkultur mit dem Blick zur Basis. Musik muss den
Stellenwert des „Breitensports“ erhalten, integraler
Bestandteil der Gesellschaft sein, was auch Leistung und Können
voraussetzt und sich klar von der dilettantischen Alibi-Schülerband
bei Bratwurst und Flohmarkt distanziert. Schlechte Musik von Neulingen,
die auch noch langweilig aussehen, gehört solange in den Übungsraum,
bis sie sich sehen und hören lassen kann – alles andere
schadet dem Image der hiesigen Popularmusik.
nmz: Wie soll der Anreiz für einen Wandel
geschehen? Stark: Die Popstars der Kids heißen Podolski,
Ballack oder Klose. Jeder Junge will derzeit sein wie diese Hel-den,
man probt den „Übersteiger“, überbietet sich
beim „Ball hochhalten“, trainiert freiwillig stundenlang.
Wenn man das mit vielen Newcomern vergleicht, die nur ihre Drei-Minuten-Songs
aber keine Sessions mehr spielen können, ist ein gestörtes
Verhalten zur Profession erkennbar. Derzeit kann die Popszene von
der Aufbruchsstimmung der Nationalelf lernen: Den teutonischen Panzerfußball
haben wir durch Spielfreude ersetzt, am Ball sind nun leichtfüßige
Trickser, die das Publikum besser unterhalten, weil hier Stars,
die auch Stars sein wollen, stolz über den Platz laufen.
nmz: Wie ließe sich das auf die Musikszene
übertragen? Stark: Was heute für junge Musiker wirklich
interessant wäre, liegt verstreut herum. Empfohlen werden Formate
und Nachahmergebote, statt Offenheit, Mut und Crossover. Das Wissen
wartet in Bereichen wie Film, Styling und Mode, bei kleinen Theatern
und in der Musicalszene, in der Bildenden Kunst, der Werbung, den
Medien oder der Literatur. Die Kunsthochschulen haben sich von dieser
Chance eher weg entwickelt, statt das popkulturelle Zeitalter mitzugestalten.
nmz: Was bewirkt hierbei die Phono-Akademie mit
ihrer Förderung? Stark: Mit der SchoolTour haben wir ein funktionierendes
Modell entwickelt, damit können wir kulturpolisch und pädagogisch
arbeiten. Weitere Modelle und Inhalte sind in der Vorbereitung,
wie Massnahmen für die Lehrerfortbildung. Die Strukturen hierfür
wurden durch die Gliederung der Bereiche Maximum Music und Talent
Support geschaffen. Man sollte hierbei aber nicht vergessen, dass
die musikalische Bildung und Ausbildung vor allem Aufgabe der Gesellschaft
und ihrer Bildungsinstitutionen ist. Zeitschriften- und Buchverlage
können auch nicht den Deutschunterricht in der Schule geben,
da sollte mehr Klarheit in die Köpfe.
nmz: Was sollten denn Projekte selbst anstreben,
um mehr Dynamik in diese Prozesse zu geben? Stark: Sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten
um mehr Vernetzung kümmern. School Jam und SchoolTour werden
zukünftig enger zusammen arbeiten, unseren Schülern können
wir so attraktive Angebote im Sinne von Nachhaltigkeit bieten. Der
Talent Award arbeitet mit der Jazz & Rock Schule zusammen und
die hat wiederum ihre Nachbarn vom Freiburger „Kulturpark“
entdeckt, wo Maler, Bildhauer, Theatermacher und sonstige Kreative
zur Arbeit an der Musik bei neuen Projekten gebeten werden. Dort
gibt es auch eine Lehrerfortbildung mit der Popakademie Mannheim
zwecks Gründung und Betreuuung von Schülerbands, die wir
wiederum mit der SchoolTour unterstützen möchten. Wichtig
wäre für alle die Erkenntnis, dass wir mehr als „nur“
Musik vor Augen und Ohren haben sollten, wenn es um Popularmusik
geht.
nmz: Welches Motto würden Sie einer Kampagne mit solcher Zielsetzung
geben?
Stark: Das wäre der in der Musikszene praktizierte „Klinsmann-Effekt“
mit den guten alten Überschriften der Popkultur: Jeder kann
mitmachen und Alles ist erlaubt! Klinsi und sein Team motivieren
vom Metropolenstadion bis zur Fußballwiese auf dem Dorf: geht
doch!