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Ausgabe 2007/03
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nmz 2007/03 | Seite 41-42
56. Jahrgang | März
Oper & Konzert

Wo gesungen wird, lassen sich die Avantgardisten nieder

Die Neue Musik mutiert zum Musiktheater: Stuttgarts Éclat-Festival als kleine Biennale

Es gab einmal eine Zeit, da beherrschten die Instrumentalkompositionen die Festivals der Neuen Musik. Das große Orchesterwerk gehörte Donaueschingen, die kammermusikalischen Erfindungen wurden in Witten gemacht. Seit einigen Jahren ist das anders geworden. Ermüdet von der Wiederholung des immer Gleichen halten die zuständigen Programmgestalter Ausschau nach neuen, anderen, belebenden künstlerischen Ausdrucksmitteln. Diese entdecken sie vornehmlich bei den neuen Medien. Video heißt das magische Wort. Ohne Geflimmere zu irgendwelchen Klängen und Geräuschen scheint nichts mehr zu laufen. Auch Licht wird immer wichtiger. Bei den letzten Donaueschinger Musiktagen dirigierte ein riesiges, unablässig flackerndes Rundumleuchtband von Rosalie die Klänge, die sich Georg Friedrich Haas erdacht hatte.

Der Schlagzeuger Christian Dierstein in Matthias Pintschers „The Garden“. Foto: Charlotte Oswald

Bild vergrößernDer Schlagzeuger Christian Dierstein in Matthias Pintschers „The Garden“. Foto: Charlotte Oswald

In verdunkelten Räumen finden zu getupften, klirrenden, sirrenden, aufbrüllenden Tongebilden Séancen statt, die dann Performances heißen. In Kellergewölben, Reitställen, Scheunen oder auch in Gottes freier Natur fiept, piepst, saust und braust es aus zahlreichen Schallquellen. Das sind dann so genannte Installationen. Manches von dem, was sich da unter dem Signet der Neuen Musik darstellt, besitzt, das sei ehrlicherweise zugestanden, durchaus ästhetische Qualitäten, auch so etwas wie Magie und Geheimnis. Vieles aber fällt in die Rubrik Tinnef oder Mumpitz. Man könnte alles gelten lassen und als Versuchsanordnung akzeptieren, wenn dabei nicht das autonome Musik-Kunstwerk in den Hintergrund gedrängt würde. Inzwischen bieten die Münchner Musica-viva-Konzerte des Bayerischen Rundfunks in dieser Hinsicht erheblich Interessanteres und Gewichtigeres als beispielsweise Donaueschingen. Armin Köhler kennt unsere Einwände und Bedenken, er darf nicht böse sein, wenn wir sie hier auch einmal gedruckt vorlegen.

Die Theatralisierung Neuer Musik hat inzwischen mehr und mehr auch das in den letzten Jahren immer wichtiger gewordene Stuttgarter Éclat-Festival ergriffen. Dessen künstlerischer Leiter, der SWR-Redakteur für Neue Musik, Hans-Peter Jahn, scheint geradezu vernarrt in das Thema Neue Musik und Theater, was an sich ja kein Fehler zu sein braucht. Nur bot Stuttgart in der Opern-Ära Zehelein speziell mit dem Musiktheaterforum im Römerkastell genügend Anschauungsmaterial für die Weiterentwicklung der einstmals ganz einfach nur „Oper“ genannten Gattung. Allerdings hat das Musiktheaterforum mit dem Weggang Zeheleins seine Arbeit eingestellt, eine jener unverständlichen Entscheidungen der Kulturpolitik, über die man nur noch den Kopf schütteln kann. Noch im vergangenen Jahr haben wir Stuttgart als Hauptstadt der Neuen Musik gelobt, und plötzlich ist alles nicht mehr wahr.

Der Gesang steht im Mittelpunkt von Éclat. Man könnte auch sagen: das Singen. So beginnt Hans-Peter Jahn seinen „Prolog“ im Programmbuch. Das erweckt den Eindruck, als würde hier ästhetisches Neuland für die Neue Musik betreten. Das Komponieren von Kunstliedern ist
auch in der Neuen Musik nie ausgestorben, im Gegenteil: Ein Komponist wie Wolfgang Rihm bekennt sich ausdrücklich zu dieser Kunstform. Sie sei wesentlicher Bestandteil seines Schaffens. Schon vor zwei Jahrzehnten trafen sich in der Frankfurter Alten Oper zwei Dutzend Gegenwartskomponisten zu einer Liederwerkstatt, für die sie eigens neue Werke geschrieben hatten. Aribert Reimann, einer der wichtigsten Liedkomponisten, war mit dabei. Reimann trifft man seit einigen Jahren auch regelmäßig zusammen mit Kollegen bei einer anderen Liederwerkstatt in Bad Reichenhall, wo sie zu dichterischen Vorlagen bestimmter Poeten (Schiller, Heine, in diesem Sommer Goethe) in einer Arbeitsphase neue Lieder komponieren, die dann in einem Konzert, kombiniert mit vergleichbaren Textvertonungen von Komponisten aus Klassik und Romantik, vorgestellt werden. Für den kompositorischen Rückgriff auf die Romantik mag Hans Zenders orchestrierte „Winterreise“ angeführt werden, vom Komponisten als „komponierte Interpretation“ bezeichnet. Die „Winterreise“ sowie die anderen Schubert-Liederzyklen haben auch die Theaterregisseure zu szenischen Ausdeutungen animiert, Herbert Wernicke und Christoph Marthaler seien als markante Vertreter dieser szenischen Lieddarstellungen besonders genannt.

Ohne den Éclat-Beitrag gering schätzen zu wollen, mussten die angeführten Beispiele doch erwähnt werden, um zu zeigen, dass das Kunstlied und der mit diesem verbundene Gesang nie aus der Aufmerksamkeit gegenwärtigen Komponierens verschwunden sind.

Das übergeordnete Thema des diesjährigen „Éclat“-Festivals hieß „Musiktheater“, und als Komplementärthema wäre die Gegenüberstellung des romantischen Kunstlieds mit heutigen Liedkompositionen zu nennen. Hans-Peter Jahn entwarf dazu ein „theater mit gesang“, das den Titel „alles klar“ erhielt, und im Untertitel als „eine Karambolage von Kompositionen und Szenen“ annonciert wurde. Der Begriff Karambolage ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Lieder von Hugo Wolf, Franz Schubert, Johannes Brahms, Richard Strauss und Robert Schumann stoßen beziehungslos auf neue Kompositionen von Jörg Widmann, Andreas Dohmen, Wolfgang Rihm, Hanspeter Kyburz und Matthias Pintscher. Die Musikstücke sind verteilt auf 13 Szenen, dazu gesellen sich kurze Theatersketche, gleichsam als Intermezzi, die mit den jeweiligen Musikpassagen in Korrespondenz treten.

Was ist zu sehen und zu hören? Ein Mann und eine Frau sitzen im Büro an zwei Schreibtischen, lochen Papiere und heften sie ab, monoton, endlos. Der gewöhnliche Alltag. Drei Damen, gleich gekleidet, stöckeln herein, sie wirken „etwas aufgedreht“ (so der Szenentitel), bis der Aufruf ertönt: „Die drei Rheintöchter bitte sofort zur Bühne“. Lacher im Publikum. Der Theateralltag. Dann wird ein Sänger auf einem Rollwagen etwas mühsam von einem kleineren Jungen her Andreas Dohmens „All’avvocato Arpino“ zu singen. Der Buchhalter avanciert vorübergehend zum Pianisten. Es geht um einen fiktiven Dialog zwischen Verdi und seinem Verleger. Dohmen treibt die „Szene“ ins Irrwitzig-Mechanische. Der allabendliche Opernwahnsinn. Danach bieten zwei Damen ein fadisiertes Event-Geplapper über irgendeine Kulturveranstaltung und den dabei entstandenen Getränkemüll. Der alltägliche Smalltalk in Schickimicki-Kreisen.

Goldkehlen: Das SWR Vokalensemble Stuttgart unter der Leitung Stefan Parkman singt Enno Poppes Chorwerk mit dem Titel „Gold“. Foto: Charlotte Oswald

Bild vergrößernGoldkehlen: Das SWR Vokalensemble Stuttgart unter der Leitung Stefan Parkman singt Enno Poppes Chorwerk mit dem Titel „Gold“. Foto: Charlotte Oswald

In dieser Art geht es weiter, auch ernsthafter: Wenn eine Ärztin, nachdem Christoph Prégardien Schuberts „Kriegers Ahnung“ eindringlich gesungen hat, einer Krebskranken mit unbeteiligtem Routinetonfall die Diagnose stellt. Die Patientin verhält sich hier einmal anders als in der Realität: Sie gibt der Ärztin eine Ohrfeige. Darauf hämmert und schlägt der Kontor-Pianist wie entfesselt auf den Flügelkorpus, während eine Sängerin ihre Vokalisen in den Innenraum des Flügels förmlich hineinstößt. Das romantische Lied modern: als grimmige Verzerrung. Die Satire auf „Deutschland sucht den Superstar“ gerät etwas kabarettig-flach. Hanspeter Kyburz’ „Abendlied“ nach einem Gedicht von Sabine Marienberg und Matthias Pintschers „The Garden“, ein Memento für Countertenor, Schlagzeug und Klavier auf einen Text von Derek Jarman bilden in der oft zu lose verknüpften, zu wenig szenischen Rhythmus gewinnenden Abfolge kleine Inseln einer musikalischen Verdichtung. Hans-Peter Jahn sollte bei künftigen Projekten dieser Art vielleicht doch einen erfahrenen Regisseur heranziehen.

Überhaupt wirkte das diesjährige Éclat-Festival oft etwas disparat, auch überladen in seinen Absichten. Die menschliche Stimme, der Gesang, Formen des Singens, das Kunstlied der Romantik, in Beziehung dazu das Liederkomponieren in der Gegenwart, dann noch musiktheatralische Erkundungen – ein bisschen viel auf einmal, zumal manche der dazu gelieferten Belegstücke zu wenig Prägnanz besaßen. Hierzu zählte besonders Jens Joneleits „Der Brand. Proscaenium emblematicum“ nach den Kirchhofs-Gedichten des Andreas Gryphius, ein Stück für vier Stimmen und Ensemble. Das Ensemble Modern und die Neuen Vocalsolisten wirkten weitgehend im Verborgenen, ihre Klanghervorbringungen wurden via Lautsprecher in den Zuhörerraum transportiert. Zu sehen gab es nur ein paar kümmerliche Videoschnipsel und am Ende den Stuttgarter Schlossplatz. Joneleits Vertonung gefällt durch einen kraftvollen Ausdruck und eine plastische Gestik, da hätte man doch wohl ein entsprechendes szenisch-optisches Äquivalent entwickeln können. Ähnliches gilt für Jürgen Mucks Kammertheaterstück „Emily Dickinsons Uhr“ mit Musik von Márton Illés. Auf der grellweiß ausgeschlagenen Bühne agieren eine Schauspielerin (Friederike Kammer) und eine Sopranistin (Katalin Polgár). Die Schauspielerin rezitiert aus einem Prosagedicht der Emily Dickinson, das Jürgen Muck ins Deutsche übertrug. Die Sopranistin verbindet sich passagenweise mit vier Klarinetten, wodurch der Textvortrag wohl intensiviert werden soll. Diese Intensivierung tritt allerdings erst ziemlich spät in der dreiviertelstündigen Aufführung ein, da gewinnen Sprachtonfall und instrumental-vokale Ebene jene Suggestion, die auch die bis dahin allzu manieriert-schematischen Bewegungsmuster der beiden Spielerinnen belebt.

Frauen unter sich: eine Szene aus Hans-Peter Jahns Theater mit Gesang „Alles klar“. Foto: Charlotte Oswald

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Kein Musiktheater, aber eine wunderbar gestaltreiche, von feinen melodischen Linien und subtilen Klangstufungen durchsetzte Musik schuf Manfred Trojahn mit seinem „Che fie di me?“ für zwei Soprane und kleines Orchester auf drei Gedichte Michelangelos: verschattete Abschiedsgedanken eines alternden Mannes, dessen Liebe zu einem jungen Mädchen gescheitert ist. Das Mädchen ist auch eine Chiffre für die Kunst. Michelangelo nimmt Abschied von seinem Leben, von seiner Kunst. Trojahn fängt den zarten, melancholischen Grundton der Gedichte sensibel auf. „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist…“: So steht es in Shakespeares herrlicher Komödie „Was ihr wollt“ – Trojahn hat sie ja in eine Oper verwandelt. Die Melancholie der Komödie findet sich auch bei Michelangelo. Trojahn hat ein tiefes Gefühl für diese Melancholie. Und noch ein Werk überzeugte, auch wenn es unter „Musiktheater“ geführt wurde: Enno Poppes dreiteiliges Chorwerk „Gold“ auf Worte von Arno Holz. „Moderne Walpurgisnacht“, „Silber“ und „Notturno“‚ sind die drei Teile übertitelt. Poppes Komponieren gewinnt eine unentwegt wachsende Souveränität und Dichte. Wie er hier mit den Sängern des SWR-Vokalensembles Klangfarben hervorzaubert, mit Textpartikeln jongliert, Repetitionen rhythmisiert und am Ende herrlich ironisch alles in sanften Kantilenen ausschwingen lässt, das erweist ihn als den wohl eigenständigsten Kopf unter den Komponisten seiner Generation.

Gerhard Rohde

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