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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 5
56. Jahrgang | März
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Wie ein
Buch entsteht
Früher gab es noch Schilderungen, die hießen „Wie
ein Meisterwerk entsteht“ oder ähnlich und spürten
den verschlungenen Wegen des kreativen Denkens nach. Reflexionen über
den Schaffensprozess haben eine lange Tradition; sie reicht von
der Renaissance bis in die heutige Zeit, zu Komponisten wie Henze,
Lachenmann und Huber. Oft verbinden sich mit ihnen grundlegende
Diskussionen, wie etwa bei Thomas Manns „Doktor Faustus“ die
Kontroversen mit Schönberg und Adorno.
Heute sind geistige Auseinandersetzungen zu einem neuen Werk
in der Öffentlichkeit rar geworden.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht nicht mehr der kreative
Prozess, sondern der Prozess der Vermarktung. Beispielhaft dafür
ist die Vorreklame, die in den letzten Wochen für das erste
Buch der bis dahin unbekannten jungen Münchner Autorin Harriet
Köhler gemacht wurde. Der Veröffentlichungstermin Ende
Februar wurde angekündigt wie eine Uraufführung in den
performing arts und schon vorab als Ereignis gefeiert. Die Berichte
vibrierten vor Aufregung, jeder wollte ganz nah dran sein an diesem
erfolgversprechenden literarischen Take-off. Nichts wärmt
eine Kritikerseele mehr als das Bewusstsein, sich rechtzeitig auf
die richtige Seite geschlagen zu haben.
Gut protokolliert hat das die Münchner AZ, ein Blatt, das
selbst gerne Hypes lanciert und auch im vorliegenden Fall zugleich
Beobachter und Akteur war. Schon dass der lange Artikel nicht im
Feuilleton, sondern ganz prominent auf Seite drei platziert war,
machte aus dem Thema eine kleine literarische Sensation: „Ein
Debut wie ein Donnerschlag“ war da zu lesen.
Die Auserwählten, denen der Verlag das Buch vorab zur Verfügung
stellte, auf dass sie in den Medien eine verkaufsfördernde
Stimmung verbreiteten, sonderten willig die erwarteten Statements
ab: Der Kölner Publizist Martin Stankowski (62) zeigte sich
laut AZ fassungslos angesichts der Intensität, mit der sich
die junge Autorin in die Nöte alter Männer hineindenken
kann. Ex-Tagesschau-Sprecher Ulrich Wickert hat sie bereits in
seine nächste Büchersendung eingeladen, Albert Ostermeier
an das von ihm geleitete Augsburger Brecht-Festival. Und Manuel
Andrack – der Mann am Katzentisch bei Harald Schmidt – bekannte,
ebenfalls laut AZ: „Harriet Köhler macht süchtig.“
Sie alle setzten gut sichtbar ihre Chips in diesem literarischen
Roulettespiel, das keines ist, weil es ganz als Win-Win-Situation
angelegt ist. Irgendwie ging es in den medialen Statements zwar
auch noch um Andeutungen des Inhalts – eine zerrüttete
Familie von heute, was denn sonst – und der literarischen
Verfahren. Doch das ist in einer solchen Medienkampagne Nebensache.
Interessant ist nicht die erzählte Geschichte, sondern die
zu erwartende Erfolgsgeschichte. Und da muss man natürlich
dabei sein.
Das Buch ist noch nicht erschienen, und schon gilt: Les jeux
sont faits. Nichts geht mehr, denn die Medien-Prominenzen haben
die öffentliche
Meinung flächendeckend vorgeprägt. Der Kritiker, der
das Buch nun noch zu rezensieren hat, könnte sich eigentlich
gleich arbeitslos melden. Was er schreibt, sind nur noch Ornamente
am Output der PR-Maschinerie. Er hat keine Möglichkeit mehr
zur autonomen Argumentation. Entweder schwimmt er im Kielwasser
der prominenten Opinion Leaders mit, oder er schreibt, um überhaupt
wahrgenommen zu werden, einen plakativen Verriss. Doch nichts besser
als das! Die anschließende Kontroverse in den Feuilletons
wird das Geschäft nur anheizen.
Merke: Um einen Erfolg zu erzielen, muss man ihn herbeireden.
Man in-szeniert schon im Voraus einen Medienrummel und stellt dann
medienwirksam fest: „Das neue Buch erzeugt schon im Voraus
einen Medienrummel“, was ihn selbstverständlich nochmals
verstärkt.
Sodann braucht es als Sprachrohre so genannte Prominente. Ob
aus Kultur, Fußball oder Showgeschäft, ist egal – je
prominenter, desto besser. Ihre Empfehlungen sind ultimativ und
bewirken einen Sympathietransfer. Wer den Kaiser mag, mag auch
die Telefonfirma, für die er wirbt. Wer Andrack mag, mag auch
Köhler. Und als dritte PR-Regel gilt: Denk nicht zu viel über
die Inhalte nach. Das lenkt nur ab vom Geschäft.