[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 10
56. Jahrgang | März
Cluster
Geoutet
Eigentlich könnte er einem anal (das Ereignis verlangt gewählte
Ausdrucksweise) vorbeigehen. Der Wiener Opernball feiert alljährlich
die Wiederauferstehung der k. und k. Monarchie in großbürgerlicher
Verkleidung. Die Oper wird dazu tanzbodengemäß flach
gelegt, die Logenpreise dürfen im Gegenzug unermesslich in
die Höhe gehen. Die Finanzkraft zahlt und fühlt sich
geehrt. Und ob dabei die demonstrativ gelangweilte Paris Hilton
(ein Hoch auf den Gesichtsdekorateur), die bei jedem S-Laut ins
Mikrophon zischelnde und kratzende Anna Netrebko (ein Hoch auf
den alkoholisierten Tonmeister!) oder gar ein von Operndirektor/Kutscher
Ioan Holender aufs Parkett verführtes Pferd (nicht äpfelnd,
ein drittes Hoch der Pferdemedizin!) die Hauptattraktionen darstellten,
ist im Grunde auch allen schnurz. Bundespräsident Heinz Fischer,
Neu-Kanzler Alfred Gusenbauer oder wer auch immer sagen be- oder
entgeistert alle das Gleiche. Sie bewundern die Farb- und Lichterpracht
des großen Ereignisses, das jedes Mega-Event in den Schatten
stellt. Und sie bejammern die Tücken des zur Etikette gehörenden
Fracks mit seinen vertrackten Knöpfvorrichtungen, den sie
ohne die liebenden Hände ihrer Lebensgefährtinnen niemals
geschultert hätten. Und da schreiten sie schon, die schönsten
und zartest errötenden Jungfräulichkeiten zum festlichen
Einzug ins Pandämonium der Macht: zu pflückende Pflänzlein
und deren Kolporteure – ein Initiationsritus im Sinne eines
sich fortpflanzenden Status quo. Nun soll jeder so feiern, wie
es seinem finanziellen und geistigen Stand entspricht.
Das Schlimme ist nur, dass man dem gemeinen Volke vorgaukelt,
dies sei das Erhabenste, was die Hochkultur in ihrer Wohnstätte
Oper zu leisten im Stande ist (noch schlimmer freilich ist der
kräftig keimende Verdacht, dass es wirklich so ist). Die wirklich
mit einer Jahrhundertstimme beschenkte Netrebko wird zur gemeinen
Liebedienerin, der Operndirektor dekuvriert sich als pferdelenkendes
Depperl des Betriebs, die Staats- und Wirtschaftsmacht klatscht
Beifall. Und jede mediale Schaltstelle macht mit, als seien hier
die letzten Schätze abendländischer Kultur zu bergen.
Alle outen sich und man hätte nur das Gelächter darüber,
wenn es nicht im Halse stecken bliebe: weil man ahnt, dass der
Mummenschanz die Wirklichkeit ist.