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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 14
56. Jahrgang | März
Ferchows Fenstersturz
Phänomen Drogenentzug
Ich bin vermutlich jung. Es ist aber nicht lange her, dass mich
Vater, Onkel und Kriegsveteranen – teils gebissschlürfend – mit
dem Vorwurf kreuzigten: „Die Jugend von heute hält
nichts mehr aus.“ Sie wären früher durch Schnee
und Orkan 40 Kilometer zur Schule marschiert. Barfuss, weil zu
arm für Schuhe. Oft dreimal am Tag. In der Lehrzeit wurde
bis fünf Uhr früh gesoffen (nun plötzlich reich),
ab Viertel nach fünf tätowierte man sich gegenseitig
mit dem Schweißbrenner, zersägte Schweinehälften
oder ließ sich vom Meister auspeitschen. Aber wir, wir
seien richtige Heulsusen. Heute darf ich feststellen, dass sie
Recht hatten. Speziell die Phonoindustrie betreffend. Was buckeln
da nur für Rockzipfelhänger auf dem Highway to Hell?
Robbie Williams (33) lässt sich von Mama in den Drogenentzug
tragen. Den Tag versüßte er sich mit gerade mal 30 doppelten
Espressi, 60 Zigaretten und Schmerztabletten. Und bekam davon Depressionen!
Ein Keith Richards hätte sich ohne dieses Vorspeisen-Menü nicht
mal einen Schuss Heroin gesetzt. Oder nehmen wir die pralle Pop-Hupe
Kelly Osbourne (22), Tochter des „Fucking Prince of fucking
Darkness“ Ozzy Osbourne. Im Drei-Monats-Rhythmus entzieht
oder zieht sie. Lines nämlich. Schafft das alles nicht. Den
nicht vorhandenen Ruhm. Die berechtigte Ungnade bezüglich
ihrer selbstofferierten Nacktbilder im Playboy. Kelly muss deshalb
rauchen, drücken und schlucken. Da spähen wir Halbjungen
staunend auf den Uschi-Obermaier-Film und diagnostizieren anerkennend:
Da
wird ein Bong geraucht und dann geht’s weiter mit Pillen.
Und Männern und Frauen. Und protestiert haben die auch noch.
Erst gegen alles. Später gegen vieles. Hat die Uschi schlapp
gemacht? Nie.
Und nun das britische ADS-Triumvirat: Pete Doherty (27, Sänger
der unfassbar schlechten „Babyshambles“), Justin Hawkins
(32, Ex-Sänger von „The Darkness“) und Tom Chaplin
(28, Sänger der Schmusedecken-Rocker „Keane“).
Die drei fluteten die Venen mit allem, was deren Pförtner
so durchwinkte. Und weil solo schluchzen nicht halb so schön
ist wie alleine fixen, treffen sich alle drei in der gleichen Klinik,
um clean zu werden. Und gründen eine Band. Meldet die Nachrichtenagentur „Internet“.
Nachdem sie sich als unqualifiziert dafür erwiesen, ein paar
Drogen unfallfrei zu koordinieren, wird gleich noch die Kreativitäts-Spritze
injiziert und das Erlebte verarbeitet. Wie larmoyant.
Man stelle sich nur vor, Reinhard Fendrich, Harald Juhnke, Falco
und Johnny Cash liefen sich in der Betty Ford Klinik über
den Weg. Wobei Fendrich noch lebt. Dann also die letzten drei.
Was wäre das für ein Narkotisierungs-Fest geworden. Juhnke
steppt mit Restalkohol der letzten Wochen ein Weinbrandfass auf
dem Rücken balancierend in die Gruppentherapie. Im schwarzen
Anzug erwartet ihn ein bierernster Johnny Cash, den Anstaltspudding
gerade mit Bromazepam aufpäppelnd („doll, dieser Beikonsum“,
würde Biolek sagen). Und aus dem Nebengebäude wird Falco
hereingeführt. Seine Gruppenleiterin hinterherschleifend,
die Augen aufgerissen und lauthals singend: „Coming Home … I’m
coming home.“ Ein Traum. Drei Männer. Keine Tränen.
Wie sagte Keith Richards einst: „Wer sich an die 60er erinnern
kann, hat sie nicht erlebt.“ Schade, dass ich jung bin.