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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 14
56. Jahrgang | März
Nachschlag
Vier Minuten
Das ist mal ein Product Placement, das sitzt: „Jugend musiziert“ prangt
auf einem riesigen Banner an jenem Opernhaus, das die Kulisse für
den finalen Showdown des Films „Vier Minuten“ abgibt.
Hier hat Jenny ihren letzten großen Auftritt, bevor sie als
Mörderin wieder – oder ist sie vielleicht gar keine? – in
die Strafanstalt zurückgeholt wird. Ihre 60 Jahre ältere
Klavierlehrerin hat sie dort herausgeschmuggelt, um ihr doch noch
die Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen. Durch brutalste
Gewaltausbrüche im Knast hatte die offenbar am Borderline-Syndrom
leidende, genialisch begabte junge Frau diese Möglichkeit
verspielt.
Und nun, da alle Augen und Ohren auf sie gerichtet sind, auch
die der ausgerückten Polizeitruppe, hebt sie an, das Schumann’sche
Klavierkonzert allein vorzutragen (so will es das nicht nur hier
ein wenig realitätsfremde Drehbuch). Dass die sich anschließende
Spontan-Performance – schnell wird das a-Moll in Richtung
Rock und Brachialavantgarde verlassen – doch eine urwüchsige,
auch musikalische Kraft ausstrahlt, ist hauptsächlich der
Darstellerin Hannah Herzsprung zu verdanken. Zusammen mit Monica
Bleibtreu in der Rolle der Klavierlehrerin Traude Krüger bildet
sie das Zentrum eines Films, der sich ansonsten in seiner Vielzahl
von Handlungssträngen fast verheddert: Rückblenden aus
Kriegszeiten, die Traudes Beziehung zu einer als Kommunistin zum
Tode verurteilten Kollegin aufrollen; der an der Grenze zum Klischee
angesiedelte Haftalltag; Jennys Vergangenheit; der Missbrauch durch
ihren Vater; der Wärter, der für eine Quizsendung Zitate
aus Opernlibretti memoriert…
Auch wenn der Film immer wieder versucht, das allzu simple Strickmuster
von der segensreichen Kraft der Musik aufzubrechen, so ist „Vier
Minuten“ leider wieder einer jener Filme, die scheinbar die
Musik zum Thema haben und ihr doch nicht wirklich nahe kommen.
Es wird dem Publikum offenbar nicht zugetraut, durch das Reden über
Musik und ihre Interpretation Einblicke in das Innenleben der beiden
Frauen zu bekommen. Stattdessen sehen wir in den Klavierstunden
einen Disput darüber, wann mal eine Spielpause einzulegen
wäre und erleben den nahe liegenden Abscheu der Lehrerin über
die Improvisationen der Schülerin – „Negermusik“.
Insofern wirkt der Konzertwettbewerb „Vier vor VIER MINUTEN“,
der im Rahmen einiger Sondervorführungen veranstaltet wurde,
ein wenig aufgesetzt. Welche Botschaft sollte von den vierminütigen
Mini-Präsentationen von Jugend-musiziert-Preisträgern
vor dem eigentlichen Film ausgehen? Mit uns wird es dank der Musik
schon nicht so weit kommen? Und wenn doch, bleibt uns wenigstens
das Instrument?
Andererseits: Welche Alternativen für einen so werbewirksamen
Auftritt im Kielwasser erfolgreicher Kinofilme hätte es in
letzter Zeit schon gegeben? Vielleicht „Vitus“, der
Film über ein pianistisches Wunderkind, dessen erste Hälfte
allerdings so klischeebeladen geriet, dass der authentische Zauber,
der von Hauptdarsteller Teo
Gheorghiu – im richtigen Leben ein junges Klaviergenie – ausgeht,
fast neutralisiert wurde. Auch dieser Film gipfelt in Schumanns
a-Moll-Konzert, das hier allerdings, von Gheorghiu live und mit
Begleitung gespielt, zum Symbol eines Reifungs- und Befreiungsprozesses
wird.
Oder die wunderbare Romanze um einen alternden Schlagersänger,
der auf Tanzveranstaltungen welkenden Paaren und einsamen Herzen
Trost spendet. Gérard Dépardieu gelingt es als selbst
singendem Darsteller, dem Trivialen seine Würde zurückzugeben;
die Musik wird zum zentralen Handlungsträger eines im Vordergrund
als Liebesgeschichte angelegten Films. Die Kategorie „Französischer
Schlager“ steht bei „Jugend musiziert“ freilich
noch aus.
Bleibt noch der skurrile, in Technik und Ästhetik der Stummfilmzeit
huldigende kanadische Streifen „The Saddest Music in the
World“. Der zur Prohibitionszeit in Winnipeg abgehaltene
Wettbewerb darüber, welches Land die traurigste Musik zu bieten
habe, wird allerdings von einer Bierbrauerei angezettelt. Kein
Platz also für weiteres Product Placement.