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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 15-16
56. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Von Pong und Blip-o-mat bis zum Leben im Second Life
Computerspiele in der Diskussion – Zensur oder öffentliche
Förderung
Rezeption von Kunst und Kultur befinden sich stetig im Wandel.
Genauso wie Popmusik inzwischen allgemein anerkannt ist, werden
es in einigen Jahren die Computerspiele sein. Computerspiele werden
heute vor allem von jüngeren Menschen gespielt. Wer über
40 Jahre alt ist, hat seine Mediensozialisation mit dem Kassettenrecorder
und einem Fernsehprogramm mit zumeist drei zur Auswahl stehenden
Sendern erfahren. Der Computer ist ein Arbeitsmittel, welches zwar
beherrscht, aber von der Mehrzahl der Nutzerinnen und Nutzer nicht
zum Spielen genutzt wird. Wer jünger als 40 ist, hat eine
andere Mediensozialisation und spielt mit einer großen Selbstverständlichkeit
Computer- und Videospiele. Diese Spiele werden immer anspruchsvoller
und interessanter und dies nicht nur in technischer Hinsicht, sondern
vor allem auch in Hinblick auf die ästhetische Gestaltung.
Es hat sich längst ein Wechselspiel zwischen Film und Spielen
etabliert. Spiele wie Lara Croft: Tomb Raider werden verfilmt,
in manchen Spielen wird der Spieler zum Regisseur und bestimmt,
wie die weitere Handlung abläuft.
KomBlip
war der Versuch des Spielzeugherstellers Tomy mit einer
mechanischen Taschenspielumsetzung von Pong den Boom der
Heimvideospiele-Konsolen zu nutzen. Bildnachweis: Scan
Jens Brinkmann.mentar
Die Entwicklung von Computerspielen erfolgt rasant. Über das
Spiel „Pong“, heute museumsreif, können junge „Gamer“,
wie sie genannt werden, nur müde lächeln. Die Anforderungen
an die technische Ausstattung wachsen so schnell, dass es finanziell
kaum gelingt, die entsprechende Hardware zeitnah zu beschaffen.
Dieser dynamische Markt ist ein zunehmend wichtigerer Faktor der
gesamten Kultur- und Medienwirtschaft. Anlässlich des informellen
EU-Kulturministerratstreffens in Berlin am 12. und 13. Februar
dieses Jahres stellten Kulturstaatsminister Bernd Neumann und EU-Kulturkommissar
Jan Figel vor, welche wirtschaftliche Bedeutung die Kultur- und
Medienwirtschaft in Europa hat. EU-Kulturkommissar Jan Figel sprach
davon, dass Europa in der Kultur eine Supermacht ist. Grundlage
dieser Aussage ist die im November 2006 erschienene Studie zur
Kulturwirtschaft in Europa. In dieser Studie wird zwischen dem
kulturellen Sektor und dem kreativen Sektor unterschieden. Dem
kulturellen Sektor gehören neben den traditionellen Kunstgattungen
Bildende Kunst, Darstellende Kunst sowie dem kulturellen Erbe selbstverständlich
auch Film und Video, Fernsehen und Rundfunk, Videospiele, Musik,
Bücher und Presse an. Zum kreativen Sektor werden Design,
Architektur und Werbung gezählt. Zusammen erzielten der kulturelle
und der kreative Sektor in Europa im Jahr 2003 einen Umsatz von über
654 Milliarden Euro, die Autoherstellung hatte einen Umsatz von
271 Milliarden Euro (2001), der Umsatz in der Herstellung von Informations-
und Kommunikationstechnologieprodukten lag im Jahr 2003 bei 541
Milliarden Euro. Der Anteil des kulturellen und kreativen Sektors
am Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2003 2,6%, der Beitrag der
Immobilienbranche 2,1%, der Nahrungsmittel-, Getränke- und
Tabakbranche 1,9%, der Textilindustrie 0,5%, der Chemikalien-,
Gummi- und Plasteerzeugnisse 2,3%. Der kulturelle und kreative
Sektor sind also Europas Wachstumsbranchen.
Nicht umsonst hat daher der EU-Kulturministerrat beschlossen,
dem Thema stärkere Aufmerksamkeit zu schenken und gegenüber
den anderen Fachressorts in der EU die Bedeutung dieser Branchen
deutlicher zu machen. Stärker als bisher sollen der kulturelle
und kreative Sektor in die Lissabon-Strategie eingebunden werden,
die dazu dienen soll, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten
und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu
machen.
Es soll darauf gedrungen werden, dass in anderen Politikfeldern
stärker als bisher die Spezifik dieser Branchen berücksichtigt
werden. Trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung und obwohl
in den letzten Jahren Ausbildungsgänge an staatlichen Hochschulen
für die Spielebranche eingerichtet wurden, haftet dieser Branche
das Image des Schmuddelkinds an. Angefangen davon, dass geklagt
wird, dass Kinder und Jugendliche auf Grund zu häufigen Computer-
und Videospielens zu keinen anderen Aktivitäten kommen bis
hin zur aktuellen Debatte um die so genannten Killerspiele.
Zunächst ist festzustellen, dass das Klagen über Freizeitaktivitäten
von Jugendlichen nichts Neues ist. Jede Jugendgeneration macht
etwas anderes als ihre Eltern und jede Elterngeneration beklagt
in schöner Regelmäßigkeit in Verklärung der
eigenen Jugendzeit den Verlust an ordentlichem Zeitvertreib bei
der Jugend. Dieses gilt zumindest seit dem Zeitpunkt, seit von
einem eigenen Jugendalter ausgegangen werden kann.
Von größerer Bedeutung ist die Debatte um die so genannten
Killerspiele. Festzuhalten ist, es gibt solche Egoshooter, deren
Spielinhalt es ist, Spielgestalten teilweise bestialisch zu töten.
Diese Spiele sind geschmacklos und Schund. Sie sind für Kinder
und Jugendliche nicht geeignet. Sie sind für
Kinder und Jugendliche aber auch nicht freigegeben. Wer diese Spiele
Kindern und Jugendlichen zugänglich macht, macht sich strafbar
und muss entsprechend strafrechtlich verfolgt werden.
Wie Filme müssen auch Computerspiele die freiwillige Selbstkontrolle
durchlaufen. Laut § 14 Jugendschutzgesetz müssen Filme
und Film- und Spielprogramme gekennzeichnet werden. Diese Kennzeichnung
erfolgt durch die obersten Landesjugendbehörden, sie können
sich dafür aber auch der freiwilligen Selbstkontrolle bedienen.
Laut Jugendschutzgesetz dürfen Computer- und Videospiele nur
dann an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, wenn sie ein entsprechendes
Prüfzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)
haben. Im Beirat der USK sind unter anderem die Länder, die
Kirchen, Verbände der Spielehersteller, Wissenschaftler und
Medienpädagogen vertreten. Die USK nimmt gemäß § 14
Jugendschutzgesetz Kennzeichnungen in fünf Kategorien vor.
Auf jeder Spieleverpackung und in der Regel auch auf jedem Datenträger
befindet sich die Alterskennzeichnung der USK. Im Jahr 2006 wurden
von der USK 2607 Spiele geprüft. Davon wurden 45,7% ohne Altersfreigabe
freigegeben, 12,7% ab 6 Jahre, 20,1% ab 12 Jahre, 15,6% ab 16 Jahre,
keine Jugendfreigabe erhielten 4,0% und keine Kennzeichnung 1,8%.
, das heißt der größte Teil der geprüften
Spiele (58,4%) erhielt eine Freigabe unter 12 Jahre.
Keine Freigabe für Jugendliche beziehungsweise keine Kennzeichnung
erhielten lediglich 5,8% der Spiele. Das heißt, der weitaus
größte Teil der Computer und Videospiele ist für
Kinder und Jugendliche unproblematisch und nur ein kleiner Teil
auf Grund seiner Gewaltdarstellungen für Kinder und Jugendliche
nicht geeignet. Diese Daten sollte sich jeder vor Augen halten,
der ein Verbot dieser Spiele fordert.
Es handelt sich bei den so genannten Killerspielen um Spiele,
die ausschließlich Erwachsenen zugänglich sein sollen und
es handelt sich offensichtlich um Spiele, die als nicht so gewalttätig
angesehen werden, dass sie gemäß § 131 Strafgesetzbuch
verboten werden können.
Denn hier steht: Wer Schriften (§11 Abs. 3), die grausame
oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen
oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine
Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten
ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs
in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, 1.
verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt
oder sonst zugänglich macht, 3. einer Person unter achtzehn
Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich
macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält,
anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen
unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne
der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche
Verwendung zu ermöglichen, wird mit einer Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Unter Schriften
werden Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und
andere Darstellungen gefasst.
Das heißt, sowohl im Strafgesetzbuch als auch im Jugendschutzgesetz
finden sich Regelungen, die Kinder und Jugendliche vor solchen
Spielen schützen sollen. Dabei gelten zumindest hinsichtlich
des Jugendschutzgesetzes unsere bestehenden Grundrechte. Die Kunstfreiheit
ist nicht an Qualität eines Kunstwerks gebunden und Erwachsene
dürfen sich selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen Geschmacklosigkeiten und Schund ansehen, lesen oder
spielen. Kinder und Jugendliche dürfen jedoch zu jugendgefährdenden
Medien keinen Zugang haben.
Statt nach Verboten zu rufen, sollten
eher, wie von einigen Politikern gefordert, die bestehenden Möglichkeiten
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen besser ausgeschöpft
werden. Und sowohl Bund und Länder hätten die Möglichkeiten,
mit einer groß angelegten Kampagne die Medienkompetenz von
Kindern zu fördern, über Computer- und Videospiele zu
informieren und Preise auszuloben, mit denen besonders empfehlenswerte
Spiele ausgezeichnet werden.
Warum nicht auch mal einen roten Teppich für Spieleentwickler
ausrollen, die besonders interessante Spiele entwickelt haben?
Warum soll es nicht eine öffentliche Förderung für
die Entwicklung solcher Spiele geben, die weniger marktgängig
sind? In anderen Branchen gibt es das doch auch. Der Kassenschlager
braucht keine öffentliche Förderung, ebenso wenig wie
der bei Bastei-Lübbe oder anderen Verlagen erscheinende Arztroman,
der volkstümliche Schlager oder das Kaufhausbild. Förderung
brauchen jene kulturellen Ausdrucksformen, die noch keinen Markt
haben, die experimentell sind und eben nicht den breiten Massengeschmack
bedienen. Bund und Länder hätten ein breites Betätigungsfeld,
gemeinsam Farbe zu bekennen bei diesem Thema und damit sowohl eine
Wachstumsbranche zu unterstützen als auch die positive Entwicklung
dieses Genres voranzutreiben. Computerspiele brauchen öffentliche
Förderung und keine Zensur.