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nmz 2007/03 | Seite 1
56. Jahrgang | März
Leitartikel
Gedankensplitter in einem Kammerkonzert
Das Alban Berg Quartett mit Beethoven und einer Rihm-Uraufführung · Von
Gerhard Rohde
Das Wiener Alban Berg Quartett absolvierte soeben seine Frühjahrstournee.
Auf dem Programm standen Werke von Haydn, Beethoven, Schönberg
und Wolfgang Rihm. Letzterer hatte für die Alban Bergs ein
neues Werk geschrieben, „Grave“ betitelt, was so viel
wie schwer bedeutet, in der Musik ein getragenes Tempo. Der Komponist
widmete es dem im Jahr 2005 verstorbenen Bratschisten des Alban
Berg Quartetts, Thomas Kakuska.
Das
Alban Berg Quartett bei seinem Konzert in der Frankfurter
Alten Oper.
Foto: Charlotte Oswald
Der Tod Kakuskas war für das Ensemble ein schwerer Verlust.
Wie würde es weitergehen? Ginge es überhaupt weiter?
Thomas Kakuska schien in seinem Können, seiner Autorität,
seiner Integrationsfähigkeit unersetzbar. Aber er hinterließ eine
Meisterschülerin: Isabel Charisius. Sie hat sich in das Quartett
der Herren Günter Pichler, Gerhard Schulz und Valentin Erben
perfekt eingefügt, bringt eine eigene Energie in das Zusammenspiel
ein.
Auf ihrer Tournee kombinierten sie wechselweise Werke der genannten
Komponisten. In der Frankfurter
Alten Oper stellten sie Rihms „Grave“ zwischen ein
Haydn-Quartett und
Beethovens Opus 130, Letzteres mit dem ursprünglichen Finalsatz:
der Großen
Fuge op. 133. Es waren grandiose Wiedergaben, Musikinterpretationen
auf allerhöchstem Niveau, wobei sich
Rihms „Grave“, für Wissende nicht überraschend,
in seiner tastenden Beethoven-Reflexion als ein Stück
großer Musik unserer Gegenwart
erwies.
Warum wir das alles hier etwas ausführlicher und sogar mit
einem Bild aus dem Frankfurter Konzert darlegen? Dazu etwas Anekdotisches:
Vor vielen Jahrzehnten hörten wir beim renommierten Musikfestival
in Aix-en-Provence einen Liederabend der damals schon bekannten,
aber noch nicht so berühmten Jessye Norman. Zuvor erlebte
man einige groß annoncierte, letztlich aber höchstens
mittelmäßige Opernaufführungen.
Normans Liederabend gab einem den Glauben an die Musik wieder zurück.
Der Kunstwert, so bezeichneten wir die Quersumme der künstlerischen
Erlebnisse, lag bei Norman unendlich viel höher als bei den
Opernaufführungen.
So ist es uns jetzt wieder beim Alban Berg Quartett ergangen.
Aus der unablässig steigenden Flut so genannter Events, die auch
das Musikleben erfasst hat, ragt ein Abend wie dieser wie eine
Insel der Seligen hervor. Hier wird noch erfahrbar, was Musik in
einem höheren Sinne vor allem ist: Gestaltung eines zugleich
sinnlichen und geistigen Prozesses, der dem Menschen wichtige existentielle
Erfahrungen zu vermitteln vermag.
Um diese Erfahrungen gewinnen zu können, sind aber Voraussetzungen
notwendig. Das Kunstwerk und dessen Vermittlung müssen auf
einer Höhe angesiedelt sein, die allein es möglich macht,
jene übergreifende kathartische Wirkung zu erzielen, wie sie
im Schauspiel die griechische Tragödie versteht. Gerade das
Theater, das Schauspiel, aber auch die Oper führen immer öfter
vor, wie sehr diese Perspektiven der Kunst allmählich aus
dem Blick geraten. Junge Regisseure, auch weibliche, die vielleicht
fünf Schauspiele inszeniert und noch nie eine Oper besucht
haben, erhalten aufgrund scheinbar kompetenter Kritiken das Angebot
für eine Operninszenierung. Sie lesen das Textbuch, finden
es interessant, ja toll, blättern auch schon mal im Klavierauszug
oder in der Partitur, und schon ist die Geschichte für sie
fertig: Ab in die Gegenwart mit „Don Giovanni“, ist
doch irgendwie eine tolle Lovestory mit Sex and Crime, ein dickes
Auto muss natürlich auf die Bühne rollen, ein Rollstuhl
für den alternden Verführer bringt ihn mehr auf den Hund
als der antiquierte Teufel, und eine handvoll netzbestrumpfter
Liebesdienerinnen lenkt die Aufmerksamkeit auf sich und von den
Hauptfiguren ab. Hauptsache, die Sache bringt Spaß, vor allem
sich selbst und den Mitwirkenden. Und einem immer größer
werdenden Teil des Publikums auch, dem aufgrund mangelnder Vorausbildung
der Durchblick fehlt. Es war doch lustig, oder etwa nicht?
So nivelliert sich alles, vor allem jedoch das Theater und die
Oper langsam, aber stetig in Richtung Eventkultur. Und weil auch
jüngere Journalisten und viele Funk- und Fernsehkommentatoren
munter nachplappern, was ihnen die ebenso ahnungslosen Damen und
Herren der Theater-Musik-Medien-Kommunikations-Offices per E-Mail
ins Büro schicken, findet sich am Ende alles sogar in einem
wunderbaren Einverständnis wieder: Kultur ist schön,
Kultur ist wichtig, Kultur ist vor allem, wenn sie ausschnittsweise
im Fernsehen aufscheint. Wen interessieren da noch ästhetische
Fragen, etwa nach den formalen Ansprüchen eines Werkes, dem
Figurenentwurf einer Tragödie oder einer Oper, oder gar, was
für ein Ansinnen, nach dem historischen Faltenwurf eines Stoffes,
der die Fallhöhe der Tragödie erst, auch psychologisch,
plausibel macht?
Das Ärgerliche dabei für die hier vor allem interessierende
Musik ist, dass die zunehmenden Erosionserscheinungen auch an ihr
nicht vorübergehen. Unausgereifte Dirigenten werden zu ihrem
Schaden an irgendwelche Spitzen hochgejubelt, klavieristische Springteufel
zu neuen Horowitzen hochstilisiert, ein halbes Dutzend hübscher
Violinistinnen gleich zu Professorinnen ernannt.
Ist das alles zu pessimistisch gesehen? Vielleicht, auch muss
das jeder für sich beurteilen. Außer den Alban Bergs erleben
wir auch immer wieder hinreißende Begegnungen mit, um nur
einige zu nennen, William Christie, Christophe Rousset, René Jacobs,
Pierre-Laurent Aimard, deren Musizieren so groß ist, weil
sie von ihrer Person ablenken und ausschließlich zur Musik
hinführen, dieser und deren Größe und Bedeutung
Ehrfurcht und Respekt erweisend. Alles Eitle, von dem so viele
Künstler heutzutage befallen sind, womit sie Medien und Publikum
oft blenden, ist allemal verdächtig.