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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 7
56. Jahrgang | März
Magazin
Jazz aus Tausendundeiner Nacht
Mehr als die Vorzeigeband des interkulturellen Dialogs: das Berliner
Quartett Cyminology
So stellt man sich das ungefähr vor, wenn man mit einer multikulturell
zusammengesetzten Band am Tisch sitzt: Da wechselt die Unterhaltung
locker von persischer Lyrik des 14. Jahrhunderts zur Notation indischer
Musik. Nur dass bei der Erörterung der Letzteren Drummer Ketan
Bhatti (geboren in Neu Delhi) das Handy am Ohr hat und sich ausgerechnet
der Bayer Benedikt Jahnel und die als Tochter eines Iraners in
Braunschweig aufgewachsene Cymin Samawatie als diejenigen erweisen,
die davon schon einige Ahnung haben. Bhatti dazu lapidar: „Ich
habe keinen so großen Bezug zu dem Land, bin da geboren,
aber nicht aufgewachsen. Mein erster Schlagzeuglehrer hat immer
gesagt, dass man das in meinem Spiel hört, dass es indische
Bezüge gibt, und mehr und mehr interessiere ich mich dafür,
habe mich aber noch nicht so damit auseinandergesetzt; Bene macht
das jetzt für mich…“
Bringt
das Konzept und die Stimme in eine ungewöhnliche Band
ein: Cymin Samawatie. Foto: Juan Martin Koch
So stellt man sich das ungefähr vor, wenn man bei einer multikulturell
zusammengesetzten Band im Konzert sitzt: Da wechselt die musikalische
Stimmung locker von saftigen Jazzbeats zu orientalischen Vokalisen.
Nur, dass die vielleicht gar nicht orientalisch sind. „Die
Reibungen, die wir einsetzen, sind oft nicht weit von der klassischen
Harmonik entfernt, bei uns werden sie aber als persisch empfunden.“ Klar,
denn gesungen wird auf persisch und Cymin Samawatie sorgt mit unverwechselbarem
Timbre und eigenwilliger Phrasierung dafür, dass dieser Brückenschlag
nicht cyminologisch-akademisch daherkommt, sondern einfach nur
musikalisch plausibel.
Und dass die Vier von „Cyminology“ nicht nach der Vorzeigeband
des interkulturellen Dialogs klingen, als die sie bisweilen herumgereicht
werden. „Eigentlich finde ich es schön, wenn die Musik
eine Bedeutung bekommt, die über sie hinaus weist“,
zeigt Benedikt Jahnel sich empfänglich für die Verortung,
um aber gleich zu ergänzen: „Wichtig ist, dass das nicht
konstruiert ist. Es ist gut, dass so eine Band in Berlin ganz selbstverständlich
zusammenkommt.“ Und Ketan Bhatti ergänzt: „In
der Musik spielt das keine Rolle, es sind keine politischen Texte.
Wir sind einfach eine sehr zeitgenössische Band, weil wir
etwas widerspiegeln, was Realität sein soll; weg von diesem:
Kultur ist dies oder jenes.“
Auch Jazz ist nicht genau dies oder jenes, sondern erweist sich
mehr und mehr als die musikalische Sprache, die am überzeugendsten
Dialekte unterschiedlichster Länder und Regionen in sich aufzunehmen
vermag, ohne sie einfach unter einem Diktat von Swing und Groove
assimilieren zu müssen.
Doch welche Dialekte kommen bei Cyminology seit ihrer Gründung
2002 eigentlich zusammen? Man könnte es schlicht als die Verbindung
eines avancierten Jazz-Klaviertrios mit einer auf persisch singenden
Vokalistin bezeichnen, wäre da nicht diese musikalische Verzahnung,
die auf einer früheren Ebene einsetzt, der kompositorischen
nämlich. Denn es sind nicht einfach Jazznummern, die nach
Abliefern des gesungenen Themas den gewohnten Weg improvisierter
Chorusse unter Führung des Klaviers einschlagen. Samawatie
und Jahnel verstehen es, in ihren Stücken die Bögen weiter
zu spannen. Immer mitgedacht ist in den ausschwingenden Melodielinien
das Vokale, eine Qualität, die als Substanz das Zusammenspiel
mit Bassist Ralf Schwarz prägt.
Die Präsentation dieser dem Textrhythmus entweder sehr genau
folgenden oder einfach als Vokalisen gestalteten Melodien könnten
oftmals schon das ganze Stück
darstellen, weshalb sich manchmal auch ganz anders geartete Abschnitte
anschließen, die erst allmählich und scheinbar improvisatorisch
zum Ausgangspunkt zurückkehren. Rhythmische Variabilität
bringt Ketan Bhatti ein, der seinem Drumset mit Besen, Schlegeln
oder mit der Hand nicht nur jazzverwandte Beats entlockt, sondern
es auch als Klangfarbe beimischt.
So sehr sich Cyminology auch als Einheit versteht – das PopCamp
trug zur Schärfung des Bandprofils bei –, die Namensgeberin
füllt mit ihrer Bühnenpräsenz doch klar die Rolle
der Frontfrau aus. Und was mit altpersischen Gedichten anfing,
die Samawatie zunächst auswendig lernte und dann im Jazzkontext
zu vertonen begann, verleiht der Musik nun jene exotische Aura,
die als unverwechselbares Merkmal einen Gutteil der Faszination
und des Erfolges der Band ausmacht.
Die Texte, die teils von klassischen Dichtern, teils von ihr
selbst stammen und deren Bedeutung Samawatie in Konzerten ein Stück
weit andeutet, werden trotz oder gerade wegen ihrer Fremdheit zur
zentralen Kommunikationsebene neben der Musik: „Für
Iraner sind die klassischen Texte, die sie oft gut kennen, das
Verbindungsglied zu einer Musik, die ihnen eher fremd ist; den
anderen möchte ich gerne zeigen, dass es im Iran, einem Land, über
das man viel Negatives hört, auch schöne Sachen gibt,
die Sprache zum Beispiel.“
Im Iran selbst könnte die Band in dieser Form allerdings nicht
auftreten: „Ich müsste mir andere Frauen suchen, dann
könnte ich vor Frauen spielen; oder die Männer suchen
sich einen Sänger und dürften dann vor einem gemischten
Publikum auftreten. Aber der Tag wird kommen, an dem das anders
sein wird; wir geben die Hoffnung nicht auf.“ Doch auch ohne
Iran-Tournee sind Cyminology gut unterwegs: mit ihrer zweiten CD
(„Bemun“) im Gepäck, die von Frank Möbus
produziert wurde. Der hat nicht nur hörbar am Aufnahmesound
gefeilt, bei zwei Nummern steuert er auch seine ganz eigenen Gitarrenklänge
bei; vielleicht ein Ausblick darauf, welche Dialekte dieses etwas
andere Jazzquartett noch integrieren könnte.
Juan Martin Koch
Tourdaten: www.cyminology.de
Diskografie: Per se DMCHR 71043; Bemun DMCHR 71058 (Double Moon)